Philofophie der Literatur. Geologie, Chemie, Wtronontte, nichts blerbt
ausgefcloffen, und jedes diefer Rsnigreidje werfegt der Dichter
gleichfam in eine hdfere Region. ЯзНИфе, reflectivende Weisheit
macht das Gedicht um fo wahrhafter ju einer Blithe feines Зе
alters. Gein Snbalt tft das Datum feiner Cneftehung.“

Nachdem nun Gsthe’s Scharfblié in naturwiffenfohaftliden
Fragen, wie feine unbefangene Eutfceinung bet Alem, was би
auf rein menfchlicjem Gebiete begegnete, hervorgehoben, fo dak Ale
(8, ma8 er iiber Religion, Leidenfchaft, Ehe, Sitte, Befik, Credit,
liber det Glauber gu verfdhiedenen Zeiten, iiber Borbedentungen,
itber dag Glick und itber was fonft noch weiter gefagt hat, unver-
gelicy im Gedichtni® Hafter bleibt, wird in der Gejtaltung des
Mephifto vas merfwiirdigite Beifpiel feincs Triebes angefiihrt, jedem
Begriffe, ver im Bolte ging und gebe war, eine fdrperliche Wahr-
Heit zu verleihen. ,,€8 heist bet ihm: fein Wort, hinter rem nicht
ein Ding ftett. Das liegt aud) in den Worten: 3% Habe niemals
рой einemt Verbreden gehirt, das id) nicht felbft hatte begehen fin-
nen. Go pact er denn feinen Kobold an ver Gurgel. Er foll gu
einem wirllicjen Dinge werden, foll in unfere Beit paffer, foll ein
Guropier fein, wie ein Gentleman getleidet fein, gute Manteren
haben, fic) auf der Strafe zeigen und bas Wiener und Heidelber-
ger Seben von Anno 1820 durch und durch fennen. Go fcpleuderte
ex in feinem Mtephifto eine organifde Geftalt in die Literatur, bie
exfte, die feit Mtenfdjenaltern gefdaffen wurde, und die fo lange
als Bromethens dauern wird. 

Mit befonderer Borliebe fpricht ver Amerifaner iiber Wilhelm
	Meifter, als einen Roman in jedem Sinne bes Wortes, den erjien
in feiner Art. Reine Urbeit diefes Sahrhunderts fommt ihm aleich
	in harmonifcher Vieblichteit, feine ЦЕ fo neu, fo gedanfeneinnehmend,
befchentt die Geele mit einer folden Fille unumftiplider Gebdanfen
und fo richtiger Ginficht in das Leben, die Sitten, vie Charaftere
der Menfeyen. Gin Buch, das die Neugier genialer junger Leute
fo hoch fpannt, уме aber fo wenig befriedigt. iebhaber einer
leichten Lectitre, mwelde Darin die Unterhaltung fudjer, bie eine fpan-
nende Sntrigue gewahrt, fehen fic) getinfdjt. Anbdererfeits haben
and) Diejenigen Grund zur Kage, die e8 mit der Hoffnung in die
Hand nehmen, in ihm die grofartige Gefdhichte eine? Genins ju
finden, welchem fiir alf feine Dtihen und Entbehrungen nach ge-
rechtem Urtheil endlicy der Lorbeer gu Theil wird. Dem Helden
Heben fo mance Scwachen und Unreingeiten an, ex fudjt fo Тебе
Gefellfehaft auf, da das ernfte, miichterne englifde Bublifum an
einer Ueherfebung bes Buches wenig Gefallen fand. Unb dennod
flieBt e8 von Weisheit itber, von Kenntnif der Welt und ber Geez
febe. Gein Anhalt ift der Uebergang eines DOemotraten zur AUrifto-
fratie, beide Worte im edelften Sinne gebraucht, und diefer Ueber-
gang geht nidt in gemeiner, Friedjenber Weife wor fich, fondern bei
weit gebffneten Sligelthiiren. Der neue Stand, in welden Wil-
helm Meeifter eintritt, wird yu einer Wirklichfeit purd) die verftin-
dige Sinnesart und Rechtfdhaffenheit er Wdligen. Kein Мет,
jugendlicer Geift fann fic) dem jauberifden Cindrude entjiehen,
welden diefe handgreiflic) dargeftellten Zuftinde auf ifn ansiiben
milffen.
(Ealuk folgt in ber ndchfter Nummer.)
	Fiinfzig Lieder fiir Componiften und Freunde ded Gejangs. Bon
Julius Sdhanjz. Nebft einem Vorwort: Ueber die WUnforde-
ringen an einen Giedertert. — Leipzig, H. Mtatthes.

Dak ein Komponift — er fet ein [prifeher oder pramatifder —
iber Mtangel an gute Texte flagt, wird heutsutage febr hanfig ge
	Бу. Was die jungen Lyrifer anbetrifft, fo liegt jener Wrangel off
	Sie fehen ven Zufammenhang ver Dinge, wo bie grofe Merenge
mir die eingelnen Bruchftiice vor Augen hat. Bhre Eriftens und
ihre Beftimmung find von Anfang an vovgefehen und wurden beim
ееи Фив der Dinge vorbereitet. Der Sehriftfteller ift feine де
Duldete, nur zufallige Erfcheinung. Wl ein orgawifcer Theil dev
Natur, bilbet er mit feines Gleiden einen von den Stinden ihres
weiter Reiches, eingefeyt und beredtigt von undenflicjen Zeiten her,
pamals als die Faden der Dinge zum grofen Weltgewebe in ein-
ander verfnotet wurden. — Der Schriftftelfer ift ver Mann aller
Betten; dennocd) mug er mit dev feinigen-im rechten Berkehr ju
ftehn wiinfden. Sn den Augen des oberflidlichen Bolkes ти
fretlid) auf ihm und auf dem ganjen Stande ein Gehein von
Licherlichfeit, der eben exft dann Bedeutung gewinnen witrde, wenn
man fic) daran fehrte. Die Menfdjheit hat eine fo feft etngerammte
Hinneigung gu innerer Grleuchtung, daf ein Ginfiedler ober ein
Mind) viel zur Veriheidigung feines Lebens vorbringen fonnte, wel-
hes er mit Nachdenfen und mit Gebeten ausfiillt. Cine gewiffe
einfeitige Harinadigkeit, ein Verluft des allgemeinen Gleichyewichts
find die Folgen einer jeden Handlung, die Steuer, weldje fie be-
zahlen mug. Handle, wie 8 Dir gut fdjeint, aber Ou thuft es
auf Deine Gefahr. Nenn/ mir einen Maun, dev etwas that, ohne
bas Opfer und der Sclave feiner Handlung geworden gu fein. Die
Hevabfesung der idealen Anfchauung wird niemals von denen ihren
Wunsgang nehinen, weldje bie Leiter der Dinge find, fondern vor
untergeordneten Perfonen. Die Gefellfchaft hat wahrhaftig fein gri-
fered Snteveffe, als bas Wohlbefinden der fchretbenden Rlaffe. Wie
aber fann ber Sdbviftftelfer in hohen Chren ftehn, wenn ev fich in
perv gemeinen Menge verliert? Wenn ev nicht mehr ‘ein Gefes-
geber, fonder ein dffentlicjer Schmeidhler iftP Diefen Fragen lap
fich aber pennod) etwas entgegenfiellen, wenn wir die Lifte derer
iiberbliden, die in unferemt Sahrhundert als Mtinner von literari-
fchem Genius dafiehen. einem Namen begegnen wir unter i}nen,
ber uns fo gut die Macht und die Pflidt des Gelehrten oder Schrift-
ftellers zur UAnfchauung bradte, als Githe. 

Der Auffask wenbdet fich nun fpecielfer feinem Gegenftande ju.
Wenn Goethe indeh hier gleich im Anfang und fpater nod) einmal
» Dichter ftatt ,Sehriftftetfer genannt wird, fo erfdjeint 3, wie
wir aug dem Weitern fehen werden, faft wie ein lapsus calami,
Bunichft wird nun die Beit bei Goethe s Wuftreten chavatterifirt.
Cine allgemein verbreitete Bilbung hatte die fcharfen Ranten alles
indivibucllen Leben abgeftumpft; ein in Bebhaglidfeit aufgeldfter
Buftand ver Gefellfdhaft jede hervifde Regung erftidt. Dichter gab
e8 uit, wohl aber Oubende von poetijirenden Sehrififtellern, fet-
nen Columbus, aber Hunderte von Poftcapitinen, welche ausgeritftet
init Fernrohr, Barometer, concentrirtem Gemiife und Fleifahzwiebad
in voller Sicherheit gwifden der alten und neven Welt hin und
her fubren, feinen Mann, der ein grofer Gelehrter war, Societiten
nagegen, billige Biicher, Lefemufeen und Lefefriangchen, Whles in der
grifiten Mannigfaltigteit. Niemals exiftivte ein folded Ourdein-
ander bon Thatfaden, eine Fille von Dingen, dak man eins fiber
bem andern vergeffen ив. Goethe ift pas verfdrperte Shftem
piefer unenblider Menge. Gin Mann, heimifd) in feiner Beit, ihre
Luft athmend, ihre Fritdhte geniefend, unmoglid) vor ihr, und durd
feine ungeleure Arbeit den Vorwurf der Sdwadye vernicjtend, der,
Hitte Goethe nicht gelebt, auf den geiftigen Erfcheimungen feiuer
Periode Геи мое. Mit hundert Armen, mit ninmermilden
Augen begabt, glitdte e8 feiner gewandten Natur, jenes mie gum
Abfehluk fommende Detail gu iiberwaltigen und jeden Cinjelnen
leicht die Stelle anjuweijen, wo e8 am beften ju benugen war. Dev
Stellung, welde ex einnahm, verdant er nichts, fondern er trat in
bie Welt von feiner Geburt an als cin freier Hherwachender Genius.
Helena oder dev zweite Theil bes Fault ift eine in Profa gefewte