geiftige Bild eines Runftlers aus feinen etmelnen Offenba-
Tungen zufammenzufuchen und die disjecta membra ju einer
Geftalt yu verbinvden, gletchviel ob man am Ginelnen
Gefallen oder Miffatlen findet. Dak damit jedenfalls etwas
gewonnen wird, abnen dte Wenigiten.

Welhes nun auch vas Sehtejal dev Hirglid) in einer
Gefammtausgabe erfehienenen Hebbelfden Gedichte * fein
midge, jo viel wird ihnen die ent{chiedenfte Whneigung ein-
rdumen milffen, Daf fie das fcharfgezeichnete Bild des Dtch=
ter enthalten, ja in bewuftem Gegenfag zu einer gewiffen
flauen, felbjtlofen und conventionellen Lyrif den woblfeilen
Pug derfelben verfeymahen, unt mit derber Umunwunden-
бен die nacte Seele des Dichters yu enthitllen. те п
gewshnlicve fubjective Macht tritt uns Мег entgegen, die
uns swingt, ein entfchiedenes Verhaltnif mit thr eingugehen.
ES ijt nicht zufillig, Dak das gefellige Led faft ganglic)
БН ино das Gefiihl der Cinjamtcit fich vielfach Luft macht.
Aber je hbher wir die Kraft de lyrifchen Betenntnijfes
anfelagen, je mebr bedanern wir, fogleid) hinguleken gu
	mitffen, dak diefe Kraft durch ein Sich-Selbftiiberbreten dre -
	einfache Wirkung verfeblt, die der lebte Wlabitab der wahren
Shinheit tft.

Dent ver Weg vom Herzen auf die Lippen де
bei Hebbel regelmdpig durch den Berftand, und was dem
Dramatifer unerlaklid) ift, wird eine SMippe filr den
Qyrifer, der vor Wem рат yu forgen hat, da, mach
einent alten frdftigen Wort, ,die Nunft nidt die Matur
auffreffe” 5 denn Stimmungen, Gefithle, Letdenfchaften, die
beim Dichter jenen Umrweg gegangen find, werden beim
Hirer den umgetehrten Weg durch den Verftand gum Hers
zen fuchen miiffen, und die Gefabr liegt nahe, Daf fie unter-
wegs ftecten bleiben. Hebbel hat Leidenfrhaft, hat Stime-
mungen, hat ein Herz; aber — um e8 mit Cimem Wort
gu fagen — er hat feine Freude daran, ehe er den aus
dtefen Quellen fliefenden Reidhthum im Ropf ibervechnet
und ein Yogtfches Bacit Daraus geyogen bat.

&8 fann un8 nicht Wunder nehmen, dah der Drama-
tifer, wenn et die eignen Leiden und Leidenjdaften ausftrdmt,
die Gewohnbheit einer dialettifden Urtitulirung der Natur-
ие aus feinen Tragddien in die Welt des eigquen Snnern
hinitberbringt. Nur dirfen wir, wenn fein Geniiith gewiffer-
mafen zur Bithne fiir feine eignen GErlebniffe wird, e8 bez
Hagen, Da er felbft allgu befliffen ijt, fie in Scene 3u feben
und SKritif an ihnen yu tiben, anjtatt die widerftreitenden
Stimmen unbejdhrantt austinen und Verfdhnung fudyen зи
Yaffen. Da8 GSineinreden in das Getitmmel der Leiden-
jcaften, das verftdndige, zurweilen faft wiffenfdaftlide Selbjt-
zergliedern bringt uns um die Sflufion und erfiltet den
Antheil. Der ible Cindruc wird nur fehlinner, wenn wir
hie und da ju erfennen glauben, dak diefer Mange! an
Selbftvergeffen und naiver Hingabe an den Moment micht
alfein auf Redyuung der herwiegend dialeftifehen Wnlage
Hebbels tomme, die Bewufthett alfo nicht unbewuRt in
ihm walte, Гопреги dak ev fic) etwas Dammit wiffe.
Das harte Wort muf hier gefagt werden, рай dev renonte
miftifche Bug, der Hebbels Dramen entftellt, aud) dure) jeine
lyrifchen Dichtungen geht, jenes fid) Briijten mit Manntid-

* Stuttgart und Angsburg. $5, G. Cotta’jder Verlag 1857.
	fett, ftarfen Merven, die aud bet Dem BWiderwartiaften ge-
Taffen bleiben, jenes damonifehe Augenroflen und Nijftern-
gittern, Das aber fogleich wieder durch eistaltes Raijonnement
реп Заре 8 liefert, wie weit e8 von wahrer Vefeffenheit ent-
fernt tft. Wer die Beit bedenkt, in welder Hebbel auftrat
und aus der die meiften diefer Gedichte ftammen, wird be-
qreifen, wie diefer Hang in der Geele de8 Dichter’ immer
fefter wurgeln fonnte. ©8 galt, fid) vor der Srauenhaftig-
fett Der neucren Poefie gu fchiigen, die Rechte de} Gedane
fens auc in der Lyrif zu vertheidigen und den Mannern,
die mehr und mehr der fcdnen Literatur den Mirden wanbd-
ten, fich entfchieden wicber зи ndbern. Die Wbficht ver-
diente allen Dank, hatte fie fich nur nicht durch ihre Wh-
fichtlicdfeit felb{t vereitelt.

Denn vie wahre Lyrif Hat etwas Gefehlechtslofes.
Cinfeitige Mannhaftigtert widerfagt ihr eben fo fehr wie
einfeitige Verweiblicung, Darum gerade war Goethe der
grofe Lyrifer, weil aus dem ,,ewig wetblicjen”, стра
nibvollen Schoo der Seele thm vas Lied mit dem ganjen
Ungeftiim der Sitnglingstraft hervordrad. Wir miiffen
Hebbel nie Gerechtigkeit widerfahren laffen, in einer {chine
Strophe feines ,, Spaziergangs in Paris” naB Bekenntnif ver
Unterordnung unter den echten yrifer niedergelegt 3 haben:
	„Фе ging heim. Das Diabet jerfprang,
Das achyig Sabre feine Stirn ини.

Nun zeigt gwar Mander ein Guwel daraus,
Dod) wer verflidt fie abermals gum Strauh?
Wer ift es, ber ben Geift und bie Natur,
Wie er, ergreift auf ungetrennter Spur?
	Hiermit hat Hebbel das begeichnende Wort uber fein
eignes Streben gefprodjen. Jn der richtigen Ueberzeugung,
Dak nur die innigite Verfchmeljung von Natur und Geift
wabhre Lyrit fei, ringt er nad) derfelben mit vergweifelter
Jnbrunjt. Aber cx vergift Daritber, рав diefer Bund nicht
qu erzwingen iff, Da dtefe She, wie alle echten, tu Him-
mel gefeloffen werden mug, рав die Matur defto jprdder
fich verfehlieft, je hervifdyer der Geift feine Rechte auf fie
geltend zu machen fucht. Denn die Фа, ре diefer Che
waltet, ift nur bie Freude.

Wir nennen diefes Wort zum gweiten Mal, und е8 Ш
Bett, uns dariiber gu erfldven, dak wir damit jenc harmlofe
Wallung des Gebliits nidt meinen, die fid) in Frithlings-
und Turnerliedern und noch fo anmuthigen Rheine, Weine
und Wandermardhen vergniiglich Luft macht. Wher wir
wiinfden auch nicht dahin mipverftanden ju werden, als
wollte wir dem echten Фут einen Bergicht canfinnen
auf da, was fein fEdftlichftes Borrecht ijt, ,3u fagen,
was er {eide.” Nur haben wir ein Recht gu fordern,
dak auch det swildefte Sdmery durd) Die Schdubett jur
Luft verflirt werde, oder, wenn wir das Clement der
Form worerft nod) bei Seite laffen wollen: die Stimmunyg
tiefer Erjdhiitterung wird ert Dann wabhrbhajt yu finjtteri}dyer
Ausiprache reif fein, wenn jugteich Das Gefiiht einer reichen
Фета ние in der Geele des Dichtenden enwadht ift, und
gerade die Gewalt, mit der der Schmers in ihm tobt, die
ticfen finnlichen und geiftigen IMtrajte aufregt, die uns mit
dem Hand einer tiberjepwanglichen Gejundheit anwebhen.
Sit das der Fall, fo tberwiegt die ciqne Freudigteit ves