one fie ift e& um jene innere Wahrheit gejdelhen, die uns alletn
eine ftete Befdhaftigung ves Didjters mit feinem Ic) merfwiirdig
und erfreulid) madjen fann. Wher aud in der Tugend foll be-
fonntlid) Mah gehalten werden, und wer die Tugend der Chr-
lichfett in ber Poefie ibertretbt, wird — was er am wenigfter
werden mibdjte — profaifh. Die Beobadtungen, die er an fidy
madt, die Sdidfale, Triebe und Leivenfdjaften, die das wed)-
felnude Leben an ihn heranbringt, gewinnen fir ihn einen abjo-
luten Werth, ver ihm valltg dariiber verblendet, ob diefe Erleb-
niffe poetifc) werthvoll find, ob er fic) mit ihnen ,,in jene
Regionen” wagen darf, ,,wo vie reinen Formen wohnen”. Wo
aber bie nadte Thatfade anerfaunt mird, da beginnt das Ieid)
ver Profa, und in bdiefem Ginne wird jeder Dichter, dev fein
Snnerftes blind por uns ausfdjiittet, mag er aud) die Form fo
meffterhaft behervfdhen wie Dingelftedt, gegen das Wefen der
Poefie immerdar verftofen. Der Dichter will uns feine ,,Fleden”
ober Schatten’ nidjt vorenthalten. Wohl! Sie gehdren zum
Bilde, Wer aber vankt e8 ihm, wenn er uns fein Bild vorbalt
gerabe ans einer Beit, wo eine geiftige Kvantheit 8 entftellt,
eine voritbergehende Ueberveigung vie Bilge abfdredend verhag-
licht hat? Wir wiinfden thn имен зи lernen wie and einem
gelungenen Bilonif, ungefdmeidelt, aber aud) nidht abfictlidGy tm
unigiinftigften Moment aufgefakt Es ijt fretlid) faft Laderlidy,
aber dod) aud) redyt ernfthaft, dag man den abgedrofdenen Gab
immer von neuem binftellen muG, die Boefte gehive gu ven
fdinen Kinften und wo das CSharalteriftifde in ihr fid) bis
zum Mtivelang fteigert, miiffe vie Diffonan; wenigitens aufgelsst
werben. Uber wir fithlen uns hier um fo mehr gedrungen, died
Nbece wieder anfgufagen, weil ver weit tiberwiegende Theil der
Dingelftedt’jdyen Gedidte von dem feinften Tact fitr den Wobl-
laut ber Geele Zeugnifg giebt, und die mebrfad) erwabnten Fleden
und Sdatten felr argerlicd) abfichtlid fic) Meithe geben, einem
bie Freude gu verderben.

Der Tavel, der varin liegt, тов мух eine gewiffe Whfidt-
lidfeit in ber Schaitenfeite diefes Buches finten, wird mehr
alg aufgewogen durd) die davin liegende Confequenz, da rie
HaKligfett unferm Dichter nidht watiivlic fei. Er ift feine Фо
pelnatur, wie Heine, in weldhem bas Edhte und Sdledjie unauf-
{88lid) verfdjlungen war, den man daher entweder mit feinem
Guten und Vijen als einen argen Gitnder und grofen Poeten
annehmen, ober berwerfen mug. Dingelftents Sinn fiir bas, mas
pentfd&e Poefie heikt, ift von Hanfe aus fo fiart und gefund,
dap dte frangbfijde Blafirtheit, bie ihn freilich zettweife gefangen
nah, nur fetnen Kopf befchaftigte und bas Gemilth nidt anzu-
trinfeln vermedjte. Gonjt [Нет die weiden und die greilen
Tine nidt fo unvermittelt neben einander, und e8 ware gu einer
Coalition swifden beiden Clementen gefomimen. Ctwas von einer
foldjen finbet fich allerdings. Wher die eigenthiimlide Wrt diefer
Mifehung beftdtigt nur unfere Wnficht, pak ver Poet in Dingel-
ftedt vennoc) dem Mann ber Mtode, dem Bigling ver Franjzofen
itberlegen ift. Sn Mtitten aller pifanten Wufregungen, die er in
dem Syelus ,ein Itoman ” mit felr behaglider Gritbelei, mit
allem Gurus eines ariftofratifd) vermihnten Galonpocten fdjifvert,
fann er fic) bie gahnende Leere eines and blogem ,,Ennui und
Unnatur” erwadjenen Berhiltniffes nidt oerhehlen. 31809
fanft er den Dumas und Muffet aus der Schule und befinnt
fic) auf den fehr feperifeyen Gage, day Emotion nod) nidjt Lei-
denfdjaft fei, dap alle tropifde Glut feiner braunen Sdhinen ihm
pie reine Glamme einer heinathlidjen Liebe nicht exfesen fdnne.
Ex gefteht e fic) nicht obllig cin; aber ein fentimentales Unge-
niigen, weit unterfdieden von den unbehagliden Anwandlungen,
pie wir in Heine s Liebesgediditen finden, und der webmiithige
SGaluk ves ganzen itbermiithiqen Whentewrers beweifen, vaf er
	fampflos aufs Neue an Rom und eine romifd) gefiunte
Priefterfhaft ausliefern; noch yirnendber wo miglid) denen,
welde im Schoofe de8 Proteftantismus felbjt ein neues
Pabfithum pflanzen michten; den Flixften, die ihr Belteben
sum Gefek erheben; pen Gelehrien, nenen Verhaltniffe und
Rickfichten iiber die Wahrheit gehen. Er flamme al’ Hak
in uns auf gegen alled Undentfce, Unfrete, Unwabhre, aber
giihe aud) al8 Begeifterung in unfern Herzen fitr die буре
und Grife ves BVaterlandes; er fei der Genius unfjeres
Polls, wenigftens fo lange, al8 diefem ein girnender, ftra-
fender, mabnender Schuggeift Moth thun wird, —
	Gedidte von Fran; Dingelftent. Bweite Auflage.
Stuttgart und Augsburg. J. ©. Cotta}dher Verlag.
1858.

Gs ift begeidnend fiir diefe Gedidite, ba man bei ihrem
Erfdeinen in zweiter vermebhrier Wuflage ben Trieb fihlt, ihren
Werth gang von Frifdhem yu peiifen. war ftattet der Didhter
in der ,Sueignung’” feinen Dank dafiir ab, da man thn ,,mit
Gunft aufgenommen” habe — „зи giinftig faft, da id) bee
gann” —; aber fo viel wir wiffen, wurde diefe Gunft vornehm-
lid) bem in feiner Wet Haffifden ,Nachtwadter’s gu Theil, wah
rend die ,,Gedidte’ und die ,,Ienen Gedichte’ einen febr gwei-
felhaften, ja im eigentlichften Sinne gwetdentigen Cindrud mad-
ten, und von ihrem Gublitum verlangten, Рав e8 fics auf die
Widerfpriiche, die fie enthielten, einen Bers madden folle. Das
ift aber des lichen Publifums Gade nidjt. 8 verlangt, рав
per Dichter felbft pen Vers auf ficy made, oder ed 8 Ши
ftehn und wenbdet fid) einfacheren Naturen gu, deren Phyfiognomie
einen beharrlideren Wusdruck zeigt. Mun enthalt allerdings diefe
neue Wusgabe bie namliden wunderlic) einander widerftrebenden,
ja fdeinbar ausfdliefenden Elemente; aber vie Gegenfage ftehn
bretter, compacter neben einanber und regen ent[diedener dazu an,
pas Wort fix das Rathfel gu finden.

Muf den erften Blick fcheint e8 gar nidjt etnmal fo fdywer.
Wer fid) nur eine Strede meit in das Bud) hineingelefen, wird
mit den weitgegriffenen Nategovien von Wig und Sentimentalitat
ausgufommen meinen und durch “das Unklingen an den Heine’fden
Ton diefe VBerfdmelzung aud) Нос erflart finden. Bald
aber zeigen fic} neue Seiten, je felbftftindiger ber Charafter des
Dichters fid) etfaltet. Dict neben einer Wlfred ve ие Фен
Blafirtheit flehen Beuguiffe ves waderften dentiden Famtlien-
finned; Srivolitat und Wairme, moderner Effect und Goethe’fde
Simplicitat reiben fic) hart aneinander und wir find bald ver=
judt, das Bud) weggzuwerfen, bald, e8 als ein fehr merthes Bee
figthum willfommen gu Бефен.

Wir fagen dem Dichter felbfi vamit fojwerlich etwas Neues.
Gr ift fic) bewuRt, dak viefe Blatter ein ФН Mtemoiren ent-
balten ;

Go manden Schatten ober Flecken,
Den mir in Weg das Leben warf,
Hab’ id), anftatt thn yu verdeden,

Mit abgezetdnet, fehwarz und fcbarf;
Mir galt’s vor allem, wahr und offen,
Und) in Verivrungen gu fein,

Unb fiibner ale nach fremben Stoffen
Griff ich ins eiqne Herz binein.
	Diefe Chrlichkett fteht einem Xyrifer wohl an, ja fie ift filr
bie ganje grofe Sdhidht per Lyrif, die wir die Confeffions-Lprif
su nennen pfleqen, die erfte und widtiagfte Bedingung. Denn