= ® орех 1858. =
			Schiller als Philofoph.
	Die Wiffenfdaft ver Wefthettt hat Gdillers grope Oerdienfte
auf ihrem Gebtete nie verlengnen finnen; — das Publifrm
aber, dag ben Didter mit fo grofer Herglidjfeit vevehrt, hat
fid) um die Thatigheit ves Philofophen wentg genug betiime
mert. Faft wie zwei verfdjiedene Lebenswege gehen den Meiften
pte еше und die andere Wirkfamfett neben einander her; Mandem
evfdjeint aud) wohl der Philofoph wie eine Laft, die ev exjt weg-
wiken mug, um das Bild ves Didjters unentiftellt 3u gentefer,
oder gar wie ein Borwurf, wie ein Mafel, dev an feinem Lor-
beerfranz baftet und mum fretlid) nicht megguleugnen ift. Dak
aud in einem PBhilofophen einmal eine poetifde Ader fcjlagen
finne, begreift man nod); — daf einer der griften Dichter eine
Reihe von Jahren gletchfam unter ven PhHiojophen gelebt und
fic auf ihren Bahnen wie einer ver Ihrigen bewegt hat, ift eine
au auffallende, gu unnatitrlide Grfdheinung, als dag man nit
Meithe haben follte, fie unbefangen und gevecht zu wiirbdigen.

Und rod) miifte e8 eine Art von Herzensangelegenbeit fiir
ung fein, diefen eingelnen Vorgang aud) in feiner allgemeineren
Bedeutung gu begreifen und begriffen gu fel. Micht allein, wie
ex fic) gu Sehillers, de8 verehrien deutfdyen Didters, Gefammt-
perforlicjfeit ftellt und pas Bild derfelben abfdlieRt und voll-
endet, — ober andrerfeits, wie er in die Entwidelung dev Wiffen-
fdaft fivderid eingreift: fonbern gunddft und vor Wem, mie er
in fid) einen Grundzug unferes Wefens auf bas Bebdeutjamfte
abfptegelt und ben Gharatter unferer poetifcben Literatur erfliven
БИН. Unfern Didjtern wird in der Ptegel ver eigenthitmlid) teo-
logifche Eniwidelungsgang nidt erlaffen, er die Wege einer ge-
funden, naiven flinftlerifden Wnsbilpung freugt und verwirrt.
Junere Unlage und augere Cinridjtungen treffen meift gufammen,
um den Bruck gwifden Geift und Natur gu vollziehn, per den
haltlos gewordenen Productionsirieh yu taufend Jrrungen vers
leitet. Che der Qwiefpalt fidy Ldst, Gehalt und Form [id wieder
gitfammenfinden und ihre Diffonang im gereinigten Munfttrieb
harnonifd) austint, ijt off pas Feuer der naiven Phantafie er-
Lofden, und die Spuren de8 miibfam Vermittelten find ans
der Phyfiognontie der Production nidt mehr hinwegzutilgen.

Was aber heutsutage der Cingelne in folder Weife mit
fic) ausgufedten hat, gab vovdem einer gangen Periode unferer
Literatur ihren eigenthiinilidjen Charatter. Die ttefe Kuft gw
{Феи ben fcjeinbar widerftreitendften Elementen ausgufiillen und
fie auf bem friedlidjen Tummelplag der Kunft gefellig gu ver-
einigen, dazu bat e8 einer Reihe von hervorragenden Nraften
	bepurft, ме шеи Kampf fenntltd genug an ber Stirne tragen.
Man hat das merfwitrdige Schaufpiel aufgefiibrt, dag man vom
Begriff, von ver Wbftraction, von ver Megel ven gangen Weg
mit Logifer Conjequeng ritdwarts gemadt, — zunddft guy Воейе,
Da wo fie an den Gringen ihrer Wirkfamfeit fid) von Boeen
fiimmerlidy und jweifelhaft nabrt, bis gu ihren reineren und
reinen Uusdrudsformen hindurd), — und dann. am Ende and)
gu ben ibrigen Kiinften, wie fie ftufenweife weiter in das Gebiet
de8 finnlidjen Lebens hiniiberfiihren. Wuf diefem angen Weg,
vert die deutjde Nation mit grofer Griindlidfeit ausgemeffen,
ftehen wie Denfpfeiler monumental die beften Saipfungen unferer
befferen Mteifter, — Werfe, vie als Thaten betradjtet fein
wollen, wenn ihnen volle Gerechtigteit wirerfahren fell. Sa and)
Goethe’s und Sdhillers Dichtungen verleugnen, bis gu ihrem
Hihenpuntt hin, diefen Charafter nidjt; und grade in Shiller,
реш gulebt Geborenen, fam diefer Lauf der Dinge nod) einmal
gum umfaffenden und daraftervellfter Unsorud. Was Wunder,
pay man ifn ebendaber fo oft verfennt! Sft e8 pod) feinen Bor=
gangern nod) weit fcdlimmer ergangen. Hat man body nidt um-=
hin finnen, effing wegen feined iibermapiqen Berftandes dad
Dichterthum abgufprechen; und nod) heute halten e8 adtungs-
werthe Winner flix thre Pflicht, ihn gegen viefen Vorwurf allen
Grnfted in Schus зи nehmen. Kopftod fann Ntemand mehr
lefex, und Wieland veradtet man gern als einen deutfden Bhi-
lifter, der mit frangififder Viifternbeit heidnijde Gefdhidten gee
jhvieben; — ven UAndern zu fodweigen, die mit nod) gweifelhafe
teven Uungen angefehen werden. Schiller aber, dev anerfannte
Haffifdje Mteifter, ver ehrwiirdige Sanger feiner Nation, be-
frembet gum minbeften nidt Wenige vurch fein wngebithrlides
HiniiberfGweifen in die abftracten Megionen, denen er lange foftbare
Xahre — und, wie fie meinen, um feinen fonderlid) hohen Pres
— geopjert. Denn wer wollte ihn mehr als einen Philofopher
zwweiten Ranges nennen? und wer bitte auc) von bem Poeten
mehr ermarten diirfen ?

Зи unfern Tagen, wo man fo vielfad) bemitht ift, flir das
bequeme VerftandnifR der Gebildeten gu forgen und der ftrengen
Wiffenfayaft den Schweiff ver Urbeit abjutrodnen, feblt es and)
an einem Gerfuch nicht mehr, den Pbhilofophen Sdyiller in ge-
winnender Weife feinem Publifum naber gu bringer. Cin Bor-
trag von Kune HFifder * verfolgt piefen Gegenftand in aus-
fithrlider Grbvterung. Unb natitvlid) wieder mit dev ihm eigenen
	* GHiller als Philofoph. Bortvag, gehalten tm ber Role yx Sena
am 10. Mtivg 1858, — Frankfurt a. №. Soh. Chr. Hermann’fder
Verlag.

16 =
	ИИС
	Заргдано.
	Deutjdhen Munithlattes.
	Rediqirt von Panl Heyfe in Minden.