3
	Dod е8 fommt tm lesten Grunde auf einjelne theoretifdje
Neuferungen tiberhaupt nit an. Gollen fte dev congruente Wus-
prud ber Sdiller’fden Weltanfdjauung fein, fo miiffer fie vor
Wem in fenen dramatifden Gchipfungen thre Berfsrperung gee
funder haben. Und died behauptet Fifder, wenn er den Dra-
matifer Schiller fo birect in Vergleich) mit den Grieden und
Shakefpeare ftellt; wenn ev auf die ,,poetifdye Noth’ und die
pirembartigen Motive’ hintweift, die in рег Ниче Фен Unwen-
puny diefer Weltanfdyauung yu Tage treten miifter. Den Зе
wets ift er uns noch fculdig geblicben. Gr fpridjt fic) indeffen
felbft baritber aus: ,,wir haben jest in unjerm Didter nicht den
Riinfiler, fontern den Philofophen vor Augen, und wir wollen
dev Unterfudjung nidt vorgreifen, die wir abgefondert von diefer
uns fiir ein andered Mtal aufheben. Mur an ver Grange der
gegenwirtigen Unterfudung fei die Frage aufgeworfer: weldjen
Effect das Afthetifdye Ideal in ver dramatijden und namentlid)
in der tragifden Didstung haben wird?’ —

Wir haben feine Veranlaffung, feiner Beantwortung ета
felben vorgugreifen; aud) wiirde eine GCrivterung Ddiefer Frage
purdaus zu weit filhren. Wir erwarten mit lebhafteftem Inter
effe, wie der Verfaffer тете Aufgabe in feinem Sinne ldfen wird.
G8 ijt wabr, dah Sdjillers Dramen aus einer andern al8 der
Shakefpeare’fden Weltanfdauung hervorgegangen find. Es ift
wabr, рав die Afthetifde Greihett, vie fdjine Humanitat in
Goethe s Iphigente ihren ivealften Ausdrud gefunden hat, — wo
vie Conflicte fid) vein und vollfommen anflijen, durd) ем тетей
Willen gelduterter Menfclicfeit. Wher fiir Sdhillers Dramen
foun diefer Mafftab nidt ausreiden. Зи derfelben Wnfdauung
pes Beales wurgeln fte, — aber fie gehen davither hinaus, das
Abfiractum, in dem e8 Form gewinnt, bleibt nicht dasfelbe.
Shillers Afthetifche Selbftertenninif liegt in jetnen philofophifden
Abhandlungen nod) nicht befdjloffen. Die Pertode ded fubjectiven
poctifdjen Schaffens wie die dev fid) vertiefenden Speculation
finnen fic) noc nidt aller Ginfeitigteit und Unfertigtett ent-
Gugern; erft in dem gereiften Didjter, dev die gefundenen Gefege
feiner Kunft vertdrpern gelernt, vollendet fic) die hervlide Er-
{deinung. G8 war nod ein tribes Clement in dem Bemithen,
pas Sveal der Kunft unmittelbar in die Erfdeinung gu ftellen;
per Philofoph ftand mit bem Dichter nod in Widerfprud. Grit
der Meifter auf dev Hdhe feimes Konnens hat diefern Widerfprud
itberwunden. Gr giebt eS auf, bas Soyll oder die Tragiie
fdretben gu wollen. Gr шеф, daff dag eingelne RKunitwerk den
reinen Geguiff ver Gattung nicht evfiillen fann; daf das Drama,
pie Tragidie nicht vagu da ift, Das Afthetifde Ideal in За 9
und Bogen auszufpredien. Der reine Menfdh tft fo mwenig dra
	  anatifdes Object, mie der abfolute Gott, Wohl aber vex um
	SGchidfalsfener gereinigte еп, цифр dev Фон, dev in der
Bruft des Sterbliden revet. Go bletbt die Weltanfdhaunng
Shillers nidt vie rein fubjective mehr: vie praftife Thatigtett,
per er fo Lange entfloh, lehrt ihn mieder, feine Speale in die
reale Welt gu verfenten, da die fdjbue Humanitdt nur in der
gefammten Berfinlicfeit, in dev SGumme ihrer Thaten den wabr-
haften Wusrrud fintet. Und in diefem Ginne ift Schiller iber
jene Afthetifde Weltanfdauung hinausgegangen. Er weift itber
fid) hinaus, und wenn ev fid) nicht, wie Goethe, harmonifd) in
fid) vollenden fonnte, fo hat er gleidfam in die Butunft binein
gebaut, пир {еше Weltanfcpauung hat mit ber unfern den Bu-
fammenbang nod) nicht verloren.
		mit dem hichften, wonad der Menfd) gu vingen bat, fret oon
Reidenfdjaft gu fein, immer far, immer rubig um fide und in
fic) зи [ojauen, itherall mehr Zufall als Sdhidfal gu finden, und
mehr iiber Ungereimtheit gu laden, al8 itber Bosheit gu giirnen
oder gu weinen. 

Aber viefe Aenferung Schitlers hat fiir uns nidjt bas be-
geugende Gewidt, ras der Verfaffer in ihr findet. , Dak Sdhil-
fers Weltanfdhauung in ihrer movalifdyen Grundlage das © Фе
fal, in ihver Afthetifcjen Gntwidelung die Tragddie hinter
fic) zuvitdlaffe’: diefe Behauptung erfdetnt ung mit den an-
gefiihrten Worten Sdhillers nod) nicht gevedjtfertigt. Seine eit=
zelnen Weuferungen find, wie wir fcyow betonen muften, nidjt
Ausfliffe eines purdgearbeiteten Syftems, Gein Bheal der
reinen Kunft, wie e8 die reine Speculation entdedt, hat er nidt
pialectifd) in bad Reid) der Exfdyeinungen und feine concreten
AusvruCsformen hinitbergeleitet; vielmelhe fpringt ev wiillfiirlid)
genug hiniiber und heriiber, und fo winerfahrt бт, рб ПФ ее
Begriff des reinen Sveals in die dev inbdividuellen Urten ver-
wirrend eindrangt. Derfelbe ivrende rteb, der die Did tfunft
mit der hidhften Form jenes abftracten Joys befdenten wollte,
verfiihrte ihn aud), dem Drama, deffen blofe Criftens {don
foldjen Ubftvactionen widerfprad), die etnfeitigfte Gewalt angu-
ihun, und, da ev e8 einmal nidjt verbannen fonnte, ihm die Kunft
ves fanfteren Pathos, die Komddie, vorgugiehn, die thn dod)
зи anberen Seiten um ihred flacjeren Gebhaltes willen abfties,
wie fie iiberhaupt feiner ganzen dichterifdyen Wilage fo fern Lag.
Und fo hat er mehr als einmal, um nur die finftlerifden Snter-
effen mit den wiffenfdaftliden nidjt gu confundiren, aus hober
Reinheit ver Gefinnung, fein befferes Wiffen im einfettigen Spiel
ber Whftvaction verlengnet. Wher an anderer Stelle jpringt es
Dann wieder ungehindert hervor und verfdiebt die Griinjen, die
man г @фШег фен Weltanfdanung fteden midjte. Gein
Verhiltnig zum Sdidfal — und fpectell gum Sdidfal der
Griedjen — пи dod) auc) aud folgender Stelle entnommen
werden, die nicht. weit von jener Definition ver Tragidie, viel-
mehr in verfelben Unterfudung fteht: ,, ... Cine blinde Цит
wiirfigfeit unter das Sdidfal ift immer demilthigend und tranfend
fiir frete fic felbft beftimmende Wefen. Died ift e8, was uns
aud) in den vortreffltdften Stitden dev griehifden Bihne etwas
gu wiinfdjen brig lft, weil in allen diefen Stiiden gulest dn
pie Nothwendigtett appellirt wird, und fir unfere Bernunft for-
pernde Bernunft immer ein unaufgeldfter Knoten guriidbleibt.
Uber auf der hicften und lebten Stufe, weldje рег шота
gebiloete Menfd) erflimmt, und зи weldjer die rithrenbe RKunft
fic exheben fann, 188 14 aud) diefer, und jeder Gchatten von
Unluft verfdwindet mit ihm. Dies gefdhieht, wenn felbft diefe
Ungufriedenheit mit dem ФФ hinwegfallt und fic) in bie
Ahrung ober Lieber in deutliches Berwufifein einer telenlogifden
Perkniipfung ver Dinge, einer erhabenen Oronung, eines glitigen
MPillens verliert. Dann gefellt fich gu unferm Vergnitgen an
morali{der Uebereinfitmmung die erquidende Vorftellung der voll-
fommenften Bwedmapigtett im grofen Gangen ber Natur, und
pie {deinbare Berlegung derfelben, weldje uns in bem eingelnen
Falle Sdmerzen erwedte, wird bles ein Stadel fitr unfere Ver-
nunft, in allgemeinen Gefegen eine Redhtfertigung diefes bejon=
pern Falles aufzufuchen, und ben einjelnen MtiBlaut in der grofen
Harmonie anfzuléfer. Bu diejer reinen Hohe tragifder Rith-
rung hat fid) vie griedjifdje Runft nie erhoben, weil weber die
Polksreligion, nod felbft die Philofophie ver Grieden, ihnen fo
weit voran leudjtete. Der nenen Kunfi, шее den Bortheil ge-
nieft, von einer geliuterten Philofophie einen veinern Stoff 3u
empfangen, ift e8 aufbehalten, aud) diefe hidfte Forderung gu
erfitllen, und fo dite gange movalifde Wiirde der Kunft gu entfalten.”

GiteratureBlatt. 1858.