wahren Gefidtsgiige der Perfinlicdteit nur hinter der Mtasfe ves
Syftems fpielen gu Laffen.

Nicht, al ob mir dem Gingelnen ivgendwie verargen fdun-
ten, feine Anfdhauungen und Tendengen anf wiffenfdaftlidem
BWege gufammengufafjen und vorgutragen. Im Grunbve ift vies
und nidis Anbderes bei jeder fyftematifden Wusbreitung ver Fall.
Wes, пота eS anfommt, ift aber natiirlid) bas Wie. Wir
wollen bie Arbeit und vie Witrde, ven Geift und die Kenntnif
fehen, die dad Wert feiner Stelle werth maden. @оий entbhehrt
e8 itherhaupt der Beredhtigung, und je anmafender 8 anftvitt,
— pefto entfdiedener mu} e8 gurildgewiefen werden, —

Was Gottfhal mit feiner Poetif gunddhft gemollt hat,
braudjt man nicht gu fudjen; in feiner Borrede fpridjt ex fic Нах
genug davitber aus. Dort betont er, da e8 uns an einem
wiffenfdaftliden Werke feble, weldyed ven neuen dichterifdyen Be-
ftrebungen als Fahne dienen, die Gleidftrebenden um fic) ver-
fammeln fonnte, und wilnfdjt, раб {еше „ое reformatorifd
cufiveter, dak fid) We, meldje die moderne Poefie in feinem
шие auffaffen, mie ein ftarfer Phalane um ihr Panter jam-
шеи бен. Wud) glaubt er, , bah id) dies Werk burch iber-
fidtlidhe Form als Handbud fiir Schulen und hihere Biloungs-
anftalten empfieblt.  ,,Die propucirenden RKrafte ber Gegenwart
founten gemig mande Unregung, wenn nidt aus meiner Beland-
lung, fo dod) aus der Giille des mitgetheilten Stoffes fchipfen,
die Lagestritif aber fefte Grundfage, vie ihr gum grofen Theil
fehlen und burd) fonderbare, oft mit unfehlbarer Giderheit hin-
geftellte Behauptungen erfegt werden.” Der Verfaffer will fid)
fajlieplich aud) damit bejdjeiven, einen wirklid) gefebgebenden Codex
der Poetif nur angubahnen, ,,indem ev die didjterifdye Arbeit bes
Beitgeiftes felbft gu feiner Grundlage madt und als ihr Inter-
pret auftritt, flatt eine willtitrlidje Dictatur nach felbfterfundenen
Regeln augguitben,“ und erwartet von der Poefie der Gegenwart
nur die Anerfennung, dah er fiir ihre Beftrebungen und Lei-
fiungen die ridjtige Gormel gefunden.” —

Bom Standpuntt der Neugeit alfo, wie fajon der Titel ves
Buches angah, will Gottfdall fein Syftem ег Poefie gu еде
bringen, Zweierlei ift demnad) gu thun: vas Allgemeine in wifjens
[Aaftlidher VBegriindung hinguftellen, und dem Bejondern йбегай
die moderne Farbung gu geben, die ber Tenbdenz des Budes arf
die Beine БИН. Fix das Grftere ift leicht geforgt. Seit Solger
und Hegel treibt fic) fo viel Mefthetif in Biidern und im Bee
wupifein ver gebildeten Welt herum, dak e8 fiir einen empfang-
lichen Ropf wie Gottfdall nicht fejmer iff, aud) fein Theil von
Philofophie und Wiffenfaaft gufammenzubringen. G8 gab eine
Beit, wo die jungen Begriffe und Wendungen ver Aefthetif noch
nidt fiir Jebermann verftdndlid) waren; dicfe Bett ift langft vor-
liber. Heutgzutage fommt e8 nur nod) auf die Gabe an, diefen
leichten Niederfdylag philofophifder Biloung aud) gelaufig nach
aupen hin gu formuliven, und, was man eben gelernt bat, mit
eleganter, leidtverftindlider Beredtjamfeit wieder vorgutragen.
Und and) dviefe Gabe ift feine Raritat mehr. Die ausgereifte
Sprade didtet und dent flir uns, wie Sedermann wei, und
man braudt fic) nur ihren Reidhthum mit einiger Geweglidteit
und etwas angeborenem Gefchid gugueignen. Das Cine wte das
Undere ijt uns an Gottfdall langft befannt; als formengewand-
ter Poet verfteht er aud) das Gebheimniz, vie abftracten Begriffe
der Philofophie’ dem finnlideren Gefeymad des Publifums mund-
geredt yun maden und in iippige und pitante Vilderfpracye gn
iberfegen. Ueberdies darf man ihm nicht nadhfagen, bag er fid)
in Ddiefen Dingen nist ernftlich umgefehen. Sm Gegentheil er
hat fid) Bieles angelefen, und mit per im eigenen lebbaften
Gmpfanglidfeit; fo ift e8 denn auch nicjt gu verwundern, daf
man ein biibfdes Stic nenerer Wefthetit in vem alfgemeinen
	Lhetl jeines Buches beifammen findet. Gr felbft nennt uns in
der Vorvede Bifher, Rofentrang und Carriére, von denen er
naligenetne Grundbeftimmungen adoptirt’ oder denen er ,cine
Hille von Anregungen verdante.” Nimmt man nun fein си
fhiedenes Gefdhicé hingu, das Angeeignete in fic) wieder fliiffig
gu machen und gelaufig, anfdaulic) und gewandt gu reprobduciren,
fo fann dev harmlofe Laie fajon feine Freude daran haben, mit
welder eleganten Mebdfelighit, welder farbigen Bilderfitlle und
weldem MReidthum von emphatifden Ausrufungszeichen ver Vers
faffer feinem gemifdjten Publitum” eine folde Mtenge iiberrafcjen-
der Dinge vorgutragen weif.

Goll das Alte immer von Nenem gefagt werden diirfen, fo
mug e8 gunddft fo gejdehen, alg ob e6 neu wire. Dag es
dabei auf umftdtige Kritit nicht antommen fann, verfteht fic) von
felbft. Man darf e8 dem Berfaffer vaber nidt anrecnen, wenn
er etwa wiederbolt ergzablt, „рег Орон ves Urchilodjos, ves erften
Sambendidjters, fei fo heftig gewefen, dag die bavon Betvoffenen
fic felbft as Leben nahmen,” — wo er uné trenbergig Кена,
eitte alte gut erfundene Unefdote auf die gange unglidlide Schaar
der von UArchilodos Verfpotteten auszudehnen; — oder wenn ev
un8 getroft verfidjert, ba ,,oon ven 130 Tragdbien bes iberans
frudjtbaren Gophokles fid) nur 7 erhalten haben.” Be unbefan-
gener man dergleicjen gelehrte Motizen hinwirft, defto treubergiger
glaubt bas Publifum. Wud) hat e8, nad unfern obigen Anreu-
идет, п mehr auf fid), wenn man in feiner Poetif den
mannigfadften Wiederholung en begegnet. Der Drang, ein Gidh
gu fcbreiben, veigt den Berfaffer fort — und es wird dann um
fo Чех. Eben dahin gehirt dann aud, wenn Gottfdall e8 fic
angelegen fein [agt, Namen, gelehrte Citate, Beifpiele aller Art
in umfaffender Weife angubdufen: Wlles unverddtliche Mitel,
feinem Buche die nbthige Maffivisat gu geben.

Uber damit ift e8 nod) nidjt gethan. Gs foll nicht mur ein
gewidhtiges Volumen und eine gelehrte Farbung, — auch die
Gunft des Publifums foll gewonnen werden. Gott{dall weif,
dag in unfern Tagen eine Gefahr vor allen andern gu vermet=
den ift: die der Langweiligen Gebdiegenheit. Unfre vielfad) iiber-
reigte und niit wiffenfdaftlidem Stoff gefattigte Beit wil wobhl
belehrt, aber ohne Anftrengung belebrt, liebenswiirdig unterhalten
werden; foll fie ihve Gunft bereitwillig fpenden, fo verlangt fie
bas Pifante, dad finnlic) Anklingende, — und, wenn e6 fein mus,
das Ubfurde. Dem Berfaffer fteht vied WMes gu Gebot. Man
Юлию eine gange Blumenlefe von ББ pifanten Ausfpriiden
aus feiner ,Boetif’ gufammenftellen. Go, wenn er von Freilig-
rath fagt (SG. 42): , Hat man Fr. den van Aken ver Poefie
genaunt: fo gilt dies infofern mit Iecht, als er guerft gleidfam
feinen bidterifden Ropf der Thierwelt in den Maden ftedte und
ibn unverjehrt wieder herauszog. Cr hat Limen, Sdjlangen und
Walififce vidjterifh courfahig gemacht.” Over wenn ev Laube
(in feiner ,,Grafin Chateaubriand’) den Gropins рег полз феи
Luftfglaffer, — wenn ev Kallines einen jonifden Herwegh, oder
Tyrtios Sparta’s Kirner nennt. Dergleiden ift allerdings nod
nidht oft gefagt worden. Wie erleidjtert e3 dem Publifum das
Urtheil itber vie unbefannteften und fernltegendften Dinge! —
Von nod griferem Cindruc ift es freilid); wenn folde Funten ves
Geiftes gleich gu Haufen wie ein Feuerwert vor unjern Wugen ver:
pufft werden. Wer finnte widerftehen, wenn unfer ,,Poetifer” indem
Kapitel ikber bas Wefen der Lyrif (SG. 263) die rentfdjen Didter un-
ferm ,, Gefdmac in die finnlidfte Nahe gu bringen wetg: ,,Soethes
Cyrif ift ,flarer, ecjter IRheinwein in gefdliffener Flafde,” fredengt
in den guitnliden Msmern; Shillers Lyrif feuviger, fdjwerer
Burgunder in reiden Pofalen; vie Lenau’s heifblitiger Lofayer,
pie Herwegh’s mouffirender Champagner. Platens Lhrit evinnert
an  ben Halermer des Horaz und die Heine’s an den Chier des