DAS KUNSTBLATT




HERAUSCEBER PAUL WESTHEIM




Friedrich Ahlers-Hestermann: Liebe zu Bildern


Die Künstler — dies Wort bezeichnet eine Gruppe von Menschen, die heute vielleicht weniger als irgendwelche Angehörigen eines andern Berufes miteinander gemeinsam haben, weder eine gültig feststehende Ausbildung noch eine Bindung an eine be
stimmte Lebensform oder gar eine gemeinsame Idee. Höchstens, daß die Abwesenheit aller Sicherungen in ihrem Leben, ihr völliges Dazwischenstehen ihnen gemeinsame Züge leiht, und allerdings die Tatsache, etwas zu tun, was ihnen aus inneren Gründen not
wendig erscheint, obwohl selten jemand außer ihnen diese Notwendigkeit einsieht, die kompakte Majorität der Zeitgenossen es sogar für durchaus überflüssig erklärt oder erklären würde, wenn nicht noch Reste eines überkommenen und daher selten nachge
prüften Vorurteils sie davon abhielte. Sie sind lauter einzelne „Fälle“, und sie sind sich dessen bewußt. Sie haben daher eine Scheu vor Verallgemeinerungen und vor aller Systematik. Dies ist der Punkt, worin der Künstler — wenn wir denn von ihm als von einem Typus reden dürfen — sich vom Wissenschaftler scheidet, denn das Wesen des Wissenschaftlichen besteht eben in der Einordnung der empirischen Einzelfälle unter allgemeine Begriffe. Für den Künstler dagegen gibt es eigentlich nur immer den empirischen Einzelfall, den er bejaht oder ablehnt, beides gewöhnlich mit Ausschließlichkeit, tyrannisch und mit einer gewissen Familiarität, denn er glaubt wenigstens vergleichs
weise zu wissen, wie, von innen betrachtet, eine Malerei oder eine Plastik entsteht, fühlt sozusagen den Kollegen selbst über Jahrhunderte. Wenn er nicht sehr umfassend gebildet ist, ist sein Gesichtswinkel so subjektiv-verengt, daß seine Aussprüche zwar anregend sein können, weil eine Anschauung dahinter steht, aber gleichzeitig überaus verwirrend in bezug auf ein größeres Ganze. Er bewegt sich gern in Paradoxen. Das Paradox nun wirft sein magnesiumartiges Licht mehr auf den, der es ausspricht, als auf die Sache, von der die Rede ist, und viele Aussprüche großer Künstler sind daher in erster Linie interessant als Selbstcharakteristiken. Aber es bleibt als wirkliches Positivum seine innere Verbundenheit mit dem Leben der Dinge selbst.
So sind denn Gespräche oder Vorträge über Kunst, besonders solche ohne die Möglichkeit unmittelbarer Anschauung, Hand aufs Herz, gewöhnlich unbefriedigend, außer vielleicht für den, der seinem Herzen Luft macht. Die Mißlichkeiten bei den Expekto
rationen der Künstler habe ich eben angedeutet, wenn wir nun die Kunsttheoretiker betrachten, müssen wir auch dabei von vornherein die Vergröberung abziehen, welche jeder Verallgemeinerung anhaftet
Der zeitgenössische Kunsthistoriker beschränkt sich nicht auf die Geschichte der Kunst, er hat auch das Gebiet der Ästhetik und Kunstphilosophie, sowie das des Werturteils und des organisatorischen, ja des propagandistischen Wirkens übernommen. Also Forschung, Deutung, Wertung und Wirkung. Die Bücher, die einen breiteren Leserkreis finden, die Vorträge, die vom Laienpublikum und den Künstlern besucht