werden, behandeln fast ausschließlich die drei letztgenannten Gebiete, auf welchen Meinen und Wähnen, kurz subjektive Anschauung des Vortragenden einen viel größeren Spiel
raum haben, als es die vergleichsweise objektive Basis der reinen Wissenschaftlichkeit ermöglichen würde. Dabei hat sich auch die innere wie äußere Gestalt des Kunsthistorikers verändert. Während früher der Gelehrte ein Mann war, der neuen Erscheinungen und Gegenwartsströmungen meist neutral, skeptisch oder ablehnend gegenüberstand — ein Bild, das in karikierter Form noch heute unserer Vorstellung eingeprägt ist — hat er sich seit dem Kriege erstaunlich verjüngt. Er ist ganz vorn und ganz up to date, und seine Propaganda gilt den neuesten Erscheinungen. — Die Betrachtungsweise, die solchen
mündlichen oder schriftlichen Äußerungen zugrunde liegt, nimmt, kurz gesagt, das Kunstwerk wesentlich als Symbol oder als Symptom für eine dahinterliegende Lebens
erscheinung geistesgeschichtlicher, soziologischer, volkspsychologischer Art. Es werden Hypothesen aufgestellt und bewiesen, Kurven, Bindungen, Zusammenhänge konstruiert,
Belege beigebracht, die sich mittels der Deutung auf dem ungeheuren Gebiet immer finden lassen. Der staunende Laie wird durch alle Zonen und Zeiten getrieben, so daß er schließlich den Eindruck bekommt, es handle sich wirklich um pflanzenhafte Erscheinungen und nicht um Werke von Menschen.
Der Künstler aber, als welcher es in seinem Leben nicht so sehr mit dem Denken wie mit der Anschauung zu tun hat, fühlt dem gegenüber ein vages Unbehagen. Denn es wird immerhin oft ein geistiges Gespinst gewoben, das allmählich zum Selbstzweck wird, und die Dinge, um die es sich ursprünglich handelte, werden sachte zurechtgebogen,
bis sie in die Gedankenornamentik des Webers passen. Es meldet sich das Mißtrauen gegen die Systematik als einer Geistesform, die dem Begriff zuliebe dem eigentlichen Leben der Dinge zu oft wehtun muß, ja, die Systematik deformiert nicht nur die Sache, sondern rückwirkend auch den Geist dessen, der sie anwendet und oft ihr Gefangener wird, und so fühlt man sich versucht, in den anarchischen Ruf auszubrechen: Eigentlich gibt es gar keine „Kunst“, eigentlich gibt es nur Kunstwerke. Und eigentlich sollte jedes einzelne darauf angeschaut werden, was es ist und nicht daraufhin, was sich daraus schließen läßt, mit anderen Worten, es sollte nicht ein Ausgangspunkt, sondern ein Endpunkt der Betrachtung sein, wie es ja der Endpunkt eines künstlerischen Schaffens
vorganges ist. — Auch ich bin tief davon durchdrungen, daß alle Manifestationen menschlichen Geistes nicht nur einfach „sind“, sondern auch darüber hinaus noch etwas „bedeuten“ — aber hier möchte ich diese Einsicht einmal umkehren und sagen: Alle diese Kunstwerke „bedeuten“ etwas, aber zunächst „sind“ sie einmal, eine Figur auf ihrem Sockel, ein Relief an der Tempelwand, ein Bild in der Grenze seiner Rahmung, und
zunächst soll man sie ganz unbefangen aufnehmen mit dem Organ, an das sie sich wenden, mit dem Auge. Ist das Auge aber nicht unbefangen, sondern schon im Moment der Aufnahme durch Ziel- und Zwecksetzungen des Intellekts getrübt, so ist es unfähig, das Ganze zu sehen, und sieht übertrieben deutlich nur diejenigen Teile oder Eigenschaften, deren es zu seinen Schlüssen bedarf, ja, da jede Absicht die reine anschauliche Erkenntnis verdunkelt, so ist es in Gefahr, diese Dinge hineinzusehen oder durch Deutung zu übertreiben.
Wir haben zuviel geistigen Zwischenhandel. Man soll sich nicht in seinem direkten menschlichen Verkehr mit den Werken stören lassen durch Erwägungen, ob es sich um Abstraktion oder Einfühlung, dionysisch oder apollinisch, Eros oder Logos und der
gleichen handle. Ein Bild von Renoir duftet und blüht wie ein Gartenbeet im Juni, mag es sich immer um eine Emanation des „bürgerlichen Zeitalters“ handeln, dem man heute alle Scheußlichkeiten anzuhängen pflegt. Es ist mit diesen Begriffen, wie wenn