Plastik wie die Malerei entstammen direkt einem inneren Trieb zum Bilden, und wenn wir nach Vater- und Mutterschaft dafür suchen wollen, so kann für beides jeden
falls nicht die Architektur in Frage kommen. Brauchte der Urmensch, der seine grandiosen Zeichnungen in die Felsen ritzte, die Architektur, und sind die Symbole der Göttlichkeit früher Kulturstufen aus den Tempeln hervorgegangen, oder nicht vielleicht
diese erst als Schutz und Wandung um jenen Kern herumgebaut? Der Asiate rollt seine zarten Schöpfungen auf, Schöpfungen, deren Samen er von der Natur, den Dichtern und der Überlieferung empfangen hat, aber niemals von jenen grazilen Holzwänden, an die er sie manchmal hängt. Wie überhaupt die Malerei der Dichtung viel eher ver
wandt ist als der Architektur. Selbst die Werke, auf welche sich jener Satz besonders bezieht, die Fresken des Mittelalters und der Renaissance, sind nicht einmal äußerlich
aus dem Raum entstanden, denn jeden erstaunt es, wie ungünstig sie sitzen und wie man sie eigentlich, untereinander angebracht, ablesen muß wie die Strophen eines Gedichts, die Giottos in Padua wie die Ghirlandaios in Florenz. Und wollte jemand im Ernst behaupten, daß der gleichgültige Raum der sixtinischen Kapelle Mutter und Gebärerin eines der gewaltigsten Werke des menschlichen Geistes sei, dessen Donner durch die Jahrhunderte rollt? Die Kunst des 19. Jahrhunderts endlich wäre mir Beweis genug, denn seine Malerei erreicht die Kammhöhe der größten Epochen, und es hatte nach den ersten drei Jahrzehnten überhaupt keine Architektur mehr.
Das Gebiet der Mosaiken und der Wandmalerei, der religiösen, der repräsentativen und der schmückenden, und ihre sehr verschiedenartigen Beziehungen zum Raum müssen wir hier übergehen, es ist ein Thema für sich. Ich möchte mich heute nur mit dem
FRIEDRICH AHLERS-HESTERMANN: RHEINANLAGEN. 1930