DAS KUNSTBLATT HERAUSGEBER PAUL WESTHEIM




Bildhauer in Frankreich.


Im Erdgeschoß des Louvre steht der überlebensgroße Torso der samischen Hera (Tafel S. 88). Ein Fund geradezu, wenn man eben die Ateliers der jungen Bildhauer durchwandert und mit ihnen über ihre funktionellen Absichten debattiert hat. Ich wage nicht anzunehmen,
daß sie ihre Einsichten gerade vor diesem höchst instruktiven Stück Plastik entwickelt haben, obzwar der Künstler in Paris auch heute noch nicht der Blasiertheit verfallen ist, alles schöpfen zu müssen aus der Unergründlichkeit seines genialen Ichs, worin Ingres schon eine Gefahr erkannt hat, die Gefahr, zum Plagiator an sich selbst zu werden; ja man hat es in diesem Künstlerkreis geradezu als Barbarei, vermutlich sogar als
„boche“ empfunden, als man kürzlich einem deutschen Kunsthändler anriet, seine anmaßlichen Ansichten über Kunst ein wenig im Louvre auf ihre Stichhaltigkeit zu kontrollieren und darauf mit der Napoleons=
geste, die bei uns zu Lande ihren Eindruck nicht zu verfehlen pflegt, die lakonische Antwort erhielt: »Nicht modern genug!« Wie dem auch sei, ob einer von denen, die jetzt nicht ohne Interesse und nicht ohne Ge=
winn die benachbarte Abteilung der ägyptischen Großplastik studiert haben, einmal auch an diesen Torso geraten ist oder nicht, überraschend bleibt auf jeden Fall, wie sehr er Bestätigung ist für Intentionen, zu
denen die Gegenwart ganz aus ihren bildnerischen Strebungen heraus gelangt zu sein glaubt. Was ist diese Marmorgöttin anderes als vollkommenste Verwirklichung jenes 2 1/2 Jahrtausende später formu= lierten, eine Kunstrevolution einleitenden Lehrsatzes von »Kubus, Konus
und Cylinder«! Auf kreisrunder Sockelplatte baut sich ein mächtiger Cylinder auf, der nach unten und oben, nach Sockel und Schulter hin
sich kegelförmig verbreitert. Der einzige erhaltene Arm, eine korrespon=