MENSCHEN




Vor Bildwerken von Gela Forster


Die große Welt hat alle menschlichen Proportiones, Divisiones, Partes, Membra wie der Mensdh ... So nimmt der Leib des Mensehen den Leib der Welt an, wie ein Sohn das Blut vom Vater . . . Der Mensch ist mehr als die Natur. Er ist die Natur, er ist auch ein Geist, er ist auch ein Engel ...
Theophrastus Paracelsus
Du mußt, Künstler, das Letzte wagen. Nur Gewalt kann befreien. Rüttle an den sanft glänzenden Mensdienleibern, die in ihrer bellen Haut ruhen wie reife Früchte! Sprenge sie auf! Zerre ihre Glieder auseinander! Brich sie aus ihren Gelenken! Reiße sie aus ihren Achselhöhlen! Kann es genügen, die schönen Glieder zu strecken, Muskeln und Fleisch anschwellen machen zu Fülle und Kraft, sie zu biegen und zu drehen, sie zu umrauschen mit Gewändern, in denen ihre Musik auf klingt? Kein empfindsam gewendetes Haupt, kein sehnsüchtig gerechter Leib, keine hallende Gebärde kann aussprechen, was in dir brennt. Was dein rasendes Blut schreien macht, deine wildeste Phantasie bedroht.
Der Leib des Menschen ist grauenhaft. Im Menschenleib innen wohnen alle Dämonen. Er ist allein mit der Welt. Gott ist noch nicht geschaffen. Alle Schrecknisse des Daseins einbrechen zu fühlen durch das Offene der Leiber! Sie herausbrechen zu fühlen aus Blich, Gebärde, Atmen, Schreiten, Begier und Verschmachten!
Dies, erst im Werden sein,- noch nicht vollendet sein. Erwachen aus Dumpfheit. Befallen werden vom kreißenden Chaos. Emporgerissen werden von steiler Energie.
*
Die Plastiken dieser Frau wollen das Letzte. Sie haben die Natur überwunden, indem sie ihre Formen vergewaltigen. Sie brauchen nicht mehr die Architektur des Körpers. Sie zerstören sie, um aus Gebilden, die einst menschliche Leiber oder
Glieder waren, neue Architekturen zu bauen. Türmen auf, wölben weit, spannen hoch. Barocke Wucht lastet. Monumentalität sprengt die zu kleinen Maße dieser Formen.
Da ist ein Turm: Es ist der Leib einer Frau, plump aufgerecht, tierhaft, der niederhängende Arm eines Gorilla, das Gesicht eine grauenhafte Maske, eine Vision aus dem Untergrund des Irdischen: »Erwachen«. Es ist ein Turm.
Da ist eine aus mächtigen Rundungen sich gipfelnde Pyramide aus dem Leibe einer Schwangeren. In ungeheuer breiten Schenkeln ruht wie in einem gewaltigen Fundament die Kugel des Leibes. Die Brüste machen eine Gebärde wild geschwungener Arme (die diesem Leibe fehlen), ein Kopf senkt sich über dem Mysterium, kein Gesicht, nur noch eine dicht verhüllende Larve: »Empfängnis«.
Da ist eine geheimnisvolle sich aufschwingende Architektur: »der Mann«. Schenkel wie Pfeiler einer Brüche gespannt. Arm ist eine Säule. Breitflügelnde Schultern reißen über schmalen gedrehten Lenden einen gespannten Leib empor.
Stücke eines riesigen Baus, den keiner sieht. Ein Kopf? Über Säulenstumpf ein Ball.
*
Das Wagnis Gela Försters gelingt, weil sie ihre Geschöpfe beseelen kann mit Sinnlichkeit, die in diesen Formen braust. Diese Torsi leben in einer Sphäre des Geschlechtlichen, die ihnen eine bedrohliche Existenz verleiht. Sie machen erschrecken, weil sie das Blut beschwören. Es bleibt unbegreiflich, daß es Hände einer Frau sein sollen, die so gewalttätig mit der Natur zu ringen vermögen. Erstaunlich, daß eine Frau diese Kraft haben soll, Plastik für unerhörten Aus
druck aus noch immer starren Formen zu sprengen, die Statue des Menschenleibs zu unterjochen, daß sie souverän mit ihr schalten kann. Welches Temperament! Eine Bau»Meisterin! Inmitten der kleinen Schar derer, die wahrhaft an der plastischen Expression dieser Zeit bilden, diese Frau!
Alfred Günther
Copyright 1919 by Dresdner Verlag von 1917, Dresden»A. 20. Schriftleiter: Heinar Schilling. Sämtliche Reproduktionen mit Genehmigung von Emil Richter, Kunsthandlung, Dresden.


BUCHFOLGE NEUER KUNST


2. JAHRGANG
4. MAI 1919
III (NR. 37)


GELA FORSTER HEFT