MENSCHEN




HERMANN KASACK




Opfer


i
Schrei — ach: hohl bleibt die Wölbung des Mundes, die Klage schlägt nach innen, doch zu müde ist das Blut, zu einer Trunkenheit aufzuwallen. So bleibt die Klage gefangen und das Klaglose nährt sich von ihr. Elend deckt keine Blöße: die Hände verwirren sich, erstarrt strecken sie sich hinaus, eine Schale bitterer Armut. Die Sterne, die den Einsamen grüßen wollen — ach über ihren Gruß! Sie schütten das Leuditen herab, aber nur Schnee schichtet sich um die Gestalt des Menschen. Ist es Makel, ein Namenloser zu sein? So gebt mir den Aussatz, daß die Abgeschiedeuheit ertragbarer werde durdi Zwang- Denn auch ich hatte am frühen Abend
eine Lampe entzündet, idi hatte den vollen Wind meiner Sehnsucht aufgeboten, um die Flamme lebendig zu erhalten gegen die dunklen Schwingen der Gedanken. Stets ist es ein Freund, der den reinen Saft der Feindschaft ausgießt; denn er nur vermochte die Geliebte, die ein tiefer Ruf zu mir treibt, wenn das Geschick mich heimsucht, am Wege aufzuhalten. Gleichviel, daß sie bei ihm verweilt, aber wenn ich morgen mit ihr zusammen sein werde, ist es zu spät. Der Dorn, den sie heute noch auslösen konnte, wird
morgen schon verwachsen sein; und der Kuß, mit dem ich sie heute nidit geliebt hätte, wird morgen andere Wandlungen geben. Denn immer ist morgen: zu spät.
II
Der Nebel hat sich um den Mondhügel gelegt, aus den Gebirgen bridit Mord. Es war eine Zeit, da diente ich der Einfalt und der bronzenen Sage. Aber die Heiterkeit ist in den treibenden Fluß gesunken, die Geduld ist verworren. Wenn der Gott Rosen in deinen Schoß warf, glaubtest du an Liebe. Dodi die Kraft, an Nektar und?Ambrosia dich zu berauschen, hattest du versäumt. So schlug dich die Flucht zu einer kläglichen Gebärde. Der Bogen des Lebens erlitt eine Einbuchtung, die stammelnde Säule, deren Runen mit Blut geschrieben waren, bröckelte. Es bleibt nur Eine Stunde, um deretwillen du gewartet hast, und um deretwillen du es erträgst, zu leben. Der Rauch der Lüge gibt dich frei. Du aber begehrst von dem Tausendjährigen nodi ein Geschenk?
III
Die Schiffe der Nacht haben sich vor Anker gelegt. Das Licht verlöscht, die Brandung steigt steil gegen die Stadt der Lust. Der Fremde,
sein gleichmäßiges Antlitz in die Wolken verhüllend. Empörung gegen die Verkettung von Minuten, die lächerliche Frage und Antwort abspulen, bridit nieder vor der Gewalt des Fern-Drangs. Mädchen, die den Mohnsamen


BUCHFOLGE NEUER KUNST




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6. und 13. JULI 19192. JAHRGANG




ESSAY und KRITIK