ohne Züge der Liebe, der Leidenschaft, des Schmerzes, das Gesicht ohne Prägung der Seele. Das Gerechte läuft in eisernen Zuckungen grinsender Äutomaten.
Der Gerechte kennt keine Liebe, denn Liebe ist grenzen- und schrankenlos, ist unbedingt und fraglos. Der Gerechte aber ist begrenzt vom Gerechten und seine Liebe ist beherrscht von diesen Grenzen. Deshalb ist seine Liebe ein blindgeborenes Kind. Ihr Blick steigt nicht rein zum Äther, er schielt zur Grenze. Ihr Sang ist nicht stürmendes Pochen an Gott, er ist nur die Skandierung abgemessener Verse und wenn ihr Weg wo in das wilde Tal der Stürme und des Aufruhrs führt, dann biegt sie um und sagt: Ich
bin dir gefolgt bis an den Rand des Zulässigen, weiter verbieten es mir Recht und Sitte und Ordnung. Die Liebe des Gerechten ist nur Gunst des Pedanten. Sie schreckt vorm Äußersten zurück und so schreckt das Äußerste an Glut vor ihr zurück. Die Liebe des Gerechten verliert sich nie ins Unendliche, denn er ist endlich und eng.
Ihr sagt, der Gerechte sei milde und gnädig und weise. Äber seine Milde trägt Filzpantoffeln und riecht sauer aus dem Bart und lugt belehrend zwischen Paragraphen hervor. Es ist nicht die Milde, die aufzittert wie Tau aus Gräsern im noch gedämpften Licht des Morgens und weinend die blassen Wangen kost. Und die Gnade ist das wohlwollende Geruhen des feisten Gönners: Wenn er auf seine Hohlheit klopft, fließt sie wie fade Salbe zähe herab. Und die Weisheit ist trocken und muffig, sie gibt Brot und Salz dem, der nach Honig und Milch dürstet.
Die Gerechtigkeit hat nur eine Trieblinie: Gesetze zu finden und solche aufzustellen. Sie hat die Tendenz zum Allgemeinen, will alles unter gewisse Koordinaten bringen. Ein solches Allgemeines aber ist der Tod des Be
sonderen (insofern dieses eben zum Allgemeinen beschnitten wird und nicht unter Wahrung seiner selbst eine Allgemeinheit synthetisch produziert). Ein solches Allgemeines ist der Tod alles Bewegtseins, alles Aufstiegs,
welcher immer ein überschreiten der Grenzen ist. So ist Entropie des Gerechten Endprinzip.
So wird er auch unendlich grausam. Er will nicht wissen, daß ein Vers aus tiefsten Kratern geschleudert, ein Blick aus dem Mittelpunkt zuckender Seelen gerissen, Farben und Formen hingeschleudert aus klaffenden Zerspülungen zum Zentrum der Wertung eines Menschen werden können.
Der Gerechte kann es niemals verzeihen, daß Goethe gewisse Grenzen überschritten hat; da der Gerechte aber auch feig ist, wird er aber niemals zum Ankläger werden; er wird es nur als Tatsache „erwähnen“. Hinter
diesem „Erwähnen“ jedoch verbirgt sich die ganze Schleimigkeit seines kriechenden Gesäßes und gärt die ganze verhaltene Masse seiner übelduftenden Absonderung.
Der Gerechte kann grausam sein, weil er die Macht hat. Aber es ist nicht die Macht, die dröhnend vom hohen Fels donnert, nicht die Macht, die dahinstürmt in unwiderstehlicher Urwildheit ungebändigter kosmischer Kräfte, nicht die jubelnde, alles verachtende Riesenkraft, die eben einfach ist in
unbestreitbarer Größe, die nicht gewertet werden kann und nicht gewertet werden will, es ist vielmehr die Macht einer trägen, verschleimten Masse, die am Boden kriecht, unsauber, schielend, Netze ziehend, Fallen und Stricke legend. Sie hat kein donnerndes Dröhnen, nur ein fauchendes Zischen, es ist die Macht der jämmerlichen Schwäche. Aber sie ist furchtbar, denn wer in die klaren Lüfte blicht, den bringt sie zum Fall und dann läßt sie ihn nimmer los, bis er ln ihrem schleimigen Gezeter erstickt. Nur Suhlsäue, Oberlehrer und andere staatliche Existenzen gedeihen wie Schimmelpilze in ihrem Bereich.
Noch eines aber könnt ihr sagen: Die Gerechtigkeit nahe sich doch labend dem, dem Unrecht geschehen. Das aber ist vielleicht der schlimmste Trug! Laßt einmal euch von Zügellosigkeit durchpulsen 1
Nehmt eine arglose Seele, laßt alle Grenzen fallen, werdet mit Wollen zügellos, werdet mit Wollen grausam, laßt euch verführen von dem was noch zu innerst an Tierheit in euch zuckt, entladet mit Lust all dies ver
nichtende Unwetter auf eine Seele, laßt euch durch ihre Verstörtheit und Qual stets neu entflammen. Und wenn dann jene Seele vor euch liegt, blutend, bis zur letzten Hülle entkleidet, todeswund, mit Augen, die ein einziger Frageschrei an euch, an die Welt, an Gott und Himmel sind, dann wird des Schmerzes Macht sich öffnen vor euch wie ein geborstner Berg; dann werdet ihr erkennen, daßi wenn ihr nun Gerechtigkeit walten lassen wolltet, ihr nur ein übelriechendes Pflaster gäbet, daß Ausgleichen hier nichts ist als Hohn, in seiner engen Dürftigkeit und seiner kärglichen Abgemessen
heit, tausendfach mehr schmerzend als wildeste Grausamkeit. Dann erkennt ihr, daß ihr etwas Positives, Absolutes, Reiches, Volles geben müßt, nichts
Ausgleichendes, sondern ein bedingungsloses „Mehr“, daß es nur eins gibt was wahrhaft gut ist, aus sich selbst Kräfte schöpfend und Kräfte verteilend, nur eins:
Die Gnade.
Welche hinwiederum ein funkelnder Strahl ist am Glanz der Liebe.
(Oktober 1917.)
Der Gerechte kennt keine Liebe, denn Liebe ist grenzen- und schrankenlos, ist unbedingt und fraglos. Der Gerechte aber ist begrenzt vom Gerechten und seine Liebe ist beherrscht von diesen Grenzen. Deshalb ist seine Liebe ein blindgeborenes Kind. Ihr Blick steigt nicht rein zum Äther, er schielt zur Grenze. Ihr Sang ist nicht stürmendes Pochen an Gott, er ist nur die Skandierung abgemessener Verse und wenn ihr Weg wo in das wilde Tal der Stürme und des Aufruhrs führt, dann biegt sie um und sagt: Ich
bin dir gefolgt bis an den Rand des Zulässigen, weiter verbieten es mir Recht und Sitte und Ordnung. Die Liebe des Gerechten ist nur Gunst des Pedanten. Sie schreckt vorm Äußersten zurück und so schreckt das Äußerste an Glut vor ihr zurück. Die Liebe des Gerechten verliert sich nie ins Unendliche, denn er ist endlich und eng.
Ihr sagt, der Gerechte sei milde und gnädig und weise. Äber seine Milde trägt Filzpantoffeln und riecht sauer aus dem Bart und lugt belehrend zwischen Paragraphen hervor. Es ist nicht die Milde, die aufzittert wie Tau aus Gräsern im noch gedämpften Licht des Morgens und weinend die blassen Wangen kost. Und die Gnade ist das wohlwollende Geruhen des feisten Gönners: Wenn er auf seine Hohlheit klopft, fließt sie wie fade Salbe zähe herab. Und die Weisheit ist trocken und muffig, sie gibt Brot und Salz dem, der nach Honig und Milch dürstet.
Die Gerechtigkeit hat nur eine Trieblinie: Gesetze zu finden und solche aufzustellen. Sie hat die Tendenz zum Allgemeinen, will alles unter gewisse Koordinaten bringen. Ein solches Allgemeines aber ist der Tod des Be
sonderen (insofern dieses eben zum Allgemeinen beschnitten wird und nicht unter Wahrung seiner selbst eine Allgemeinheit synthetisch produziert). Ein solches Allgemeines ist der Tod alles Bewegtseins, alles Aufstiegs,
welcher immer ein überschreiten der Grenzen ist. So ist Entropie des Gerechten Endprinzip.
So wird er auch unendlich grausam. Er will nicht wissen, daß ein Vers aus tiefsten Kratern geschleudert, ein Blick aus dem Mittelpunkt zuckender Seelen gerissen, Farben und Formen hingeschleudert aus klaffenden Zerspülungen zum Zentrum der Wertung eines Menschen werden können.
Der Gerechte kann es niemals verzeihen, daß Goethe gewisse Grenzen überschritten hat; da der Gerechte aber auch feig ist, wird er aber niemals zum Ankläger werden; er wird es nur als Tatsache „erwähnen“. Hinter
diesem „Erwähnen“ jedoch verbirgt sich die ganze Schleimigkeit seines kriechenden Gesäßes und gärt die ganze verhaltene Masse seiner übelduftenden Absonderung.
Der Gerechte kann grausam sein, weil er die Macht hat. Aber es ist nicht die Macht, die dröhnend vom hohen Fels donnert, nicht die Macht, die dahinstürmt in unwiderstehlicher Urwildheit ungebändigter kosmischer Kräfte, nicht die jubelnde, alles verachtende Riesenkraft, die eben einfach ist in
unbestreitbarer Größe, die nicht gewertet werden kann und nicht gewertet werden will, es ist vielmehr die Macht einer trägen, verschleimten Masse, die am Boden kriecht, unsauber, schielend, Netze ziehend, Fallen und Stricke legend. Sie hat kein donnerndes Dröhnen, nur ein fauchendes Zischen, es ist die Macht der jämmerlichen Schwäche. Aber sie ist furchtbar, denn wer in die klaren Lüfte blicht, den bringt sie zum Fall und dann läßt sie ihn nimmer los, bis er ln ihrem schleimigen Gezeter erstickt. Nur Suhlsäue, Oberlehrer und andere staatliche Existenzen gedeihen wie Schimmelpilze in ihrem Bereich.
Noch eines aber könnt ihr sagen: Die Gerechtigkeit nahe sich doch labend dem, dem Unrecht geschehen. Das aber ist vielleicht der schlimmste Trug! Laßt einmal euch von Zügellosigkeit durchpulsen 1
Nehmt eine arglose Seele, laßt alle Grenzen fallen, werdet mit Wollen zügellos, werdet mit Wollen grausam, laßt euch verführen von dem was noch zu innerst an Tierheit in euch zuckt, entladet mit Lust all dies ver
nichtende Unwetter auf eine Seele, laßt euch durch ihre Verstörtheit und Qual stets neu entflammen. Und wenn dann jene Seele vor euch liegt, blutend, bis zur letzten Hülle entkleidet, todeswund, mit Augen, die ein einziger Frageschrei an euch, an die Welt, an Gott und Himmel sind, dann wird des Schmerzes Macht sich öffnen vor euch wie ein geborstner Berg; dann werdet ihr erkennen, daßi wenn ihr nun Gerechtigkeit walten lassen wolltet, ihr nur ein übelriechendes Pflaster gäbet, daß Ausgleichen hier nichts ist als Hohn, in seiner engen Dürftigkeit und seiner kärglichen Abgemessen
heit, tausendfach mehr schmerzend als wildeste Grausamkeit. Dann erkennt ihr, daß ihr etwas Positives, Absolutes, Reiches, Volles geben müßt, nichts
Ausgleichendes, sondern ein bedingungsloses „Mehr“, daß es nur eins gibt was wahrhaft gut ist, aus sich selbst Kräfte schöpfend und Kräfte verteilend, nur eins:
Die Gnade.
Welche hinwiederum ein funkelnder Strahl ist am Glanz der Liebe.
(Oktober 1917.)