GERHARD AUSLEGER:




Tod des blauen Reiters Franz Marc


Jüdin (für Kurt Heynicke)
Ich trage weit im Herzen die Süßigkeit verschütteter Heimat: mein Haar ist Nacht und Rauschen und ein Duft der starken Stämme Libanons und meiner Augen Schein
ist das Verborgensein und alle Einsamkeit der toten Ufer toten Meeres. Um meine Schritte
— fremder Vögel weißes Wandern, das verzückt! — sind die Blüten der Gemäuer und der kleine Lärm Jerusalems. <0 sanfte Stadt der tausend Palmen!)
Schwefel. Blitze. Blut und hart Gebrüll: Kanonen. Leiber rotgerissen. Und Granatengrüfte für den Tod: zu wohnen. Fleisch und Fetzen vom Soldatenvolke —
Plötzlich: ist der blaue Reiter breit von Licht geschlagen: ist hineingetragen; ist hinaufgetragen,-
bersten seine Hufe Splitter von beglänzter Wolke. Erde rollt darunter. Rollt gewaltig in die Nacht.
Ich könnte Jaël sein: in kleiner Freude müden Mannes Schlaf zutode bohren ,- ich könnte sein Deborah:
gluthaft über die Erschlagenen Tänze tragen und ein frohes Wort zu
Tempeltoren —
aber immer geht das Drängen meiner weißen Brüste zum Geliebten. O, du leise Nacht verschollner Brunnenrande:
Blau kommt Mond aus meinem Haar und starker Duft der Stämme Libanons: um meine Schritte sind die Blüten der Gemäuer und der kleine Lärm Jerusalems: Geliebter, ich will Licht sein,-
laß mich scheues Flackern sein und Dir ein zitterndes Licht.
Alle Wälder und die blauen Berge werden in meiner Seligkeit hüpfen.
Aufgebracht
auf stracken Vorderbeinen
richtet groß das Roß sich am grünen Himmelsgarten. Drinnen: tausend treue Tiere ihren treuen Herrn erwarten sanft in Felsgestürzen und verblauten Forsten: Bären und verhaltne Lämmer „bitter weinen,-
alle Tiere als aus dem Legendenbuche scheinen.
Lautlos, endlos: Feder, Vieh und hingestreckte Felle.
Geht vonrosse nun der blaue Reiter
und zu Ruhe über Himmelsgartenschwelle:
alle Tiere heben die behaarten Brüste heiter, ist: als ob sie läutend lachen,
daß sie treue nun dem Herrn seinen großen Schlaf bewachen.