KLABUND




Brigitte




Ein modernes Mysterium


Personen:
Frank Cotta, dramatischer Dichter. Elias Unversorgt, ein Jüngling.
Dr. Ärtur Bodenlos, Privatdozent für Literaturgeschichte an der Uni
versität Tschermeisel. Brigitte.
Adolf, ein Totenkopf. Ein Südseeinsulaner. Ein Prolog.
Der Prolog tritt vor den Vorhang: Meine Damen und Herren, ich möchte vorausschicken, daß bei diesem Stück nur das Publikum durchfallen kann, nicht aber der Autor!
Stimme hinter dem Vorhang (sie ähnelt der Frank Cottas): Der Mann scheint an sexuellen Zwangsvorstellungen zu leiden. Der Vorhang geht auf.
Wohn- und Arbeitszimmer bei Frank Cotta. Links Tür in ein Schlafzimmer, rechts Tür auf den Korridor. Behagliche bürgerliche Eleganz. An den Wänden hängen sehr viel goldgerahmte weibliche Akte.
Elias Unversorgt steht in der Mitte des Zimmers, ein Blatt Papier und einen Bleistift in der Hand. Zwanzig Jahre, kurz geschorenes, blondes Haar,
Kneifer, Sportkostüm mit kurzen Hosen. Er hat das Gesicht nach links, nach der Schlafzimmertür, gewandt.
Elias: Frank . . . Frank (aus dem Schlafzimmer): Ja . . . Elias: Frank, hörst Du? Frank: Ja . . .
Elias: Du, ich habe etwas ganz Großartiges gemacht ... Frank: So?


Elias: Paß mal auf, also . . .


Frank: Mein Gott, laß einem doch wenigstens erst in Ruhe die Zähne
putzen. (Man hört ihn gurgeln.) Elias: Bei Gott, die Kunst geht vor.
Frank (man hört ihn rumoren): Geputzte Zähne sind besser als ungeputzte Gedichte. Außerdem ist es für die Gesundheit bedeutend besser, ja förderlicher, seine Zähne zu putzen, als schlechte Gedichte zu schlucken, schlucken zu müssen. Zu müssen, du hörst doch . , . (man hört ihn wieder gurgeln). Elias: Du bist abscheulich, Frank.
Frank: Um Gedichte ordentlich zu verdauen, müssen die Kauwerkzeuge in
Ordnung sein (gurgelt). Elias: Deine Logik ist wie immer äußerst anfechtbar. Sie ist die eines
Orang-Utang, der auf einem Pflaumenbaum sitzt und Kokosnüsse frißt. Frank: Sakrament, also lies — du Humorist (gurgelt).
Elias: Willst Du vielleicht so gut sein und die Weihe der Stunde nicht mit
Deinen geräuschvollen Rachenlauten verunzieren? Frank (hört auf zu gurgeln) Das ist doch, um mit der Jungfrau zur Decke
zu fahren: Los.
Elias (deklamiert): Ja, so geht es in der Welt,
Alles fühlt man sich entgleiten: Jahre, Haare, Liebe, Geld,
Und die großen Trunkenheiten.


MENSCHEN




BUCHFOLGE NEUER KUNST




XI. (70/71)28. September 1919.2. JAHRGANG