EIN VIERTELSTÜNDCHEN STATISTIK


(Zu unseren Bildern)


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ie Frage, die heute das Denken der Allermeisten in Deutschland bewegt, ist nichtnur was sie am nächsten Tage essen sollen — sondern, ob sie morgen überhaupt etwas zum Essen, zum Wohnen, zum Heizen, zur Kleidung haben werden. In diesem Zusammenhang ist es interessant, was in der Oktobernummer des „Deutschen Ökonomisten“ Herr Löwe im Artikel „Deutsches Wirtschaftshoroskop“ schreibt:.............Schätzt man
nun die Gesamteinwirkungen dieser drei Faktoren (Rückgang des Eigennahrungsmittelertragcs Deutschlands; Rückgang des Nahrungsmittelimportübcrschusses; Rückgang der Importkaufkraft der deutschen Wirtschaft) netto auf nur 30%, so liegt auf der Hand, daß das deutsche Volk, unter dem furchtbaren Zwang dieser Ver
hältnisse keinen Anspruch auf eia Sattwerden , sondern nur auf effektiven Hunger haben kann; wobei es gleichgültig ist, ob linksradikale Demagogen den irregeleiteten Massen vorspicgeln, daß eine kommunistische Staats- und Wirtschaftsform uns sättigen könne. Der durch unabänderliche (!) (d. Red.) Koeffizienten be
dingte Ernährungsstatus einer Volksgemeinschaft läßt sich weder durch Demonstrationen noch durch Terror, sondern nur durch eine Veränderung der ihm zugrunde liegenden Be
dingungen wandeln, entweder durch eine Verminderung der deutschen Bevölkerung um za. 30% (1!) (vingts millions de trop“ — „20 Millionen zuviel ) oder durch eine Hebung der deutschen Gesamtproduktion um 30%. Sehen wir uns nun die von Herrn Löwe erwähnte „Volks.Gemeinschaft“ etwas näher an.
Der Berliner Korrespondent der „Chicago Tribüne“ schreibt seinem Blatt am 1. XII. 23: „. . . Wenn man die Gesamtbevölkerung Deutschlands (zu 6) Millionen gerechnet) nach ihrer Ernährung eintcilt, so ergeben sich folgende Klassen:
1. Landwirtschaftliche nnd verwandte Berufe (die 23 Millionen Menschen umfasssen, etwa „Selbstversorger“).
2. Die Bemittelten (Großindustrielle, Kaufleute, höhere Beamte in Zivil usw.; begüterte Ausländer, die vorübergehend oder dauernd in Deutschland wohnen (7 Millionen Menschen).
3. Hochqualifizierte Arbeiter und Angestellte sowie Kleinhändler, die eine eben tureichende, aber nicht mehr die Vorkriegsration konsumieren (13 Mill.).
4. Die unqualifizierten Arbeiter, männlich und weiblich, die Erwerbslosen, die freien Berufe, Künstler, die durch die Inflation expropriierten Kleiereutncr, die völlig Verarmten, die Kriegs
opfer. Nicht imstande, sich weder eine Vorkriegsration noch überhaupt das Existenzminimum zu erwerben (20 Mill. Menschen)“. Nach genauer Berechnung der auf jede Person der vier vorer
wähnten Klassen kommende jährliche Kalorien, cL h. „Nährwertseinheiten“zahl kommt der Amerikaner zu folgendem Schlüsse: Gemäß amerikani
schen Berichten sind 52,250 Milliarden Kalorien dieses Jahr in Deutschland verfügbar, von denen die 20 Millionen zählende vierte Klasse nur 4,070 Mil
liarden Kal. (— weniger als 1ha) wird verbrauchen können. Die Getreidemenge, die importiert wer
den müßte, hänge mit davon ab, ob die deutschen Landwirte ihre Ernte auch ans Vieh verfüttern, oder sie zu niedrigen Preisen der Gesamt-Bevölkerung opfern werden.
Dies bedeutet, daß: Klasse 1 (die 36,5% der Gesamtbevölkerung umfaßt — 55,1%; Klasse 2 (die 11,1% der Gesamtbevölkerung umfaßt) 16,8%, Klasse 3 (die 20,6% der Gesamtbevölkerung umfaßt), — 20,7%; Klasse 4 (die 31,8% der Gesamtbevölkerung umfaßt) 7,4% der ge
samten in Deutschland verfügbaren Nahrungsmittclvorräte verbrauchen würden. Wir müssen allerdings die Angaben des Amerikaners leicht berichtigen: Im Jahre 1907 betrug, laut Reichsstatistik, die landwirtschaftliche Bevölkerung — nur 28,7% der Volkszahl; selbst bei einer Annahme einer gewissen prozentuellen Vermehrung ist die landwirtschaftliche Bevölkerung mit 30% hoch genug veran
schlagt; daraus ergeben sich bei entsprechender Verteilung die auf
unserem Bild dargestellten Zahlenverhältnisse. — Kommentar überflüssig. Unser anderes Bild, die Zahl der Arbeitslosen, ist natürlich auch nicht nur unter dem Gesichtspunkt der unge
heuren Verelendung dieser Werktätigen, Arbeitsfähigen zu be
trachten, sondern auch in bezug auf den unerhörten Ausfall der Produktion, den ihre Arbeitslosigkeit bedeutet. So zeigt uns dieser kurze Blick, daß auch die Statistik der werktätigen Klasse — in Stadt und Land — viel zu sagen hat. Es war allerdings kein Statistiker, aber dafür ein Dichter, der es in die Worte zu
sammenfaßte: „Du mußt herrschen und gewinnen — oder dienen und verlieren, Leiden oder triumphieren — Hammer oder Ambos sein!“ —ff.
Arbeitssuchende in Deutschland