Ein neuer Artikel stellt sich vor . . .
Wenn ein neuer Artikel am Markt erscheint oder wenn dem Kaufmann ein neuer Artikel, den er bisher nicht führte, angeboten wird, gerät er zumeist in eine Stimmung des Rätselratens.
Für seine alten Waren bietet ihm die Lagerkontrolle und Verkaufsstatistik eine Richtlinie für seinen Einkauf.
Wenn ihm aber ein bisher nicht
geführter Artikel angeboten wird?
Alle Lagerkontrolle und Verkaufsstatistik hilft dann nichts. Zwar gilt es auch hier, eine Reihe von Über
legungen anzustellen. Schließlich aber wird der Punkt kommen, wo man eine Entscheidung treffen muß, obwohl man für deren Richtigkeit keine unbedingte Gewähr hat. Und wie man sich an diesem Punkte benimmt, das ist eine Frage der Weisheit des Einkaufes. Von alten und erfahrenen Kaufleuten können wir in dieser Hinsicht manches lernen.
Es ist eine von vielen Vertretern bestätigte Tatsache, daß der Großteil der Kunden auf das Angebot eines neuen Artikels zuerst fast immer ablehnend reagiert. Der Haupteinwand lautet meistens:
„Es ist doch unmöglich, immer neue Artikel aufzunehmen. Das bedeutet die Investierung neuen Kapi
tals, bedeutet die Vergrößerung des Lagers. Wer sagt mir aber, daß mein Umsatz steigt, wenn ich diesen
Artikel auch noch auf nehme?“
Wenn man aber einmal versucht, den Dingen mit einer einfachen kaufmännischen Überlegung auf den Grund zu kommen, wird man zu dem Ergebnis kommen müssen, daß diese Einwendungen mit dem angebotenen Artikel als solchen gar nichts zu tun haben.
Es ist natürlich richtig, daß die beständige Aufnahme neuer Artikel zu einer untragbaren Lagervergrößerung führen muß, wenn ... nichts weiter geschieht. Aber wenn man schon an die Aufnahme eines neuen Artikels denkt, dann muß man eigentlich gleichzeitig überlegen, ob man dafür nicht
einen anderen alten Artikel aufgebeii kann,
der nicht mehr lohnt. Es ist erwiesen, daß in vielen Geschäften jahrelang Artikel mitgeschleppt werden, die längst keine Daseinsberechtigung mehr haben. Wer Verkaufsstatistik nicht nur führt, sondern aus dem gewonnenen Zahlen
material auch die lebendige Nutzanwendung zieht, wird sich immer wieder vor die Frage gestellt sehen:
Welche Artikel bringen nicht mehr den entsprechenden Umsatz, und durch welche neuen lassen sie sich gut
ersetzen?
Wer so denkt, wird eine ganz andere Einstellung zu dem angebotenen neuen Artikel finden, und er wird — wenn er sich nach reiflicher Überlegung zu der Aufnahme desselben entschlossen hat, auch dafür sorgen, daß er durch zugkräf
tige und sinnvolle Reklame beim Publikum eingeführt wird. Man kann dann sehr oft die Erfahrung machen, daß der Artikel von Anfang an viel besser geht, als man dachte. Das hat sehr oft gewichtige Gründe:
In jedem Geschäft, das viele Stammkunden hat, wird dieser oder jener Artikel nach einer gewissen Zeit „abgedroschen“ sein, weil die Aufnahmefähigkeit des Kundenkreises für ihn erschöpft ist. Diese Geschäfte sind darauf angewiesen,
alte Artikel durch neue zu ersetzen.
Außerdem erwartet die Kundschaft von einem fortschrittlichen Geschäft, daß es immer wieder Neues bringt und anbietet.
Wenn man zu dieser Einsicht gekommen ist, muß man aber auch noch einen Schritt weitergehen und ... die Ver
treter, die einem die Angebote unterbreiten sollen, an sich herankommen lassen.
Auch der vielgeplagte Kaufmann sollte zur Entgegennahme von Offerten ständig bereit sein. Wer kann wissen, ob er mit der Abweisung eines Vertreters nicht gleichzeitig ein Angebot ausschlägt, das ihm einen wirklichen Nutzen gebracht hätte!
Daß man nicht bei allen Firmen kaufen kann, ist klar, aber ein freundliches Wort muß sich auch jederzeit für den
Vertreter finden, dem man nichts abkaufen konnte. Das prägt sich ein. Wenn der Reisende dann einmal etwas Besonderes anzubieten hat, dann wird er seine Schritte bestimmt zuerst dorthin lenken, wo er immer eine gute Aufnahme gefunden hat.
Ladenhüter an Laufkunden?
Das Leben bietet unendlich vielen Anlaß zur Abweichung von der normalen Mittellinie. Kommt ein fremder Kunde in den Laden, so ist mancher Verkäufer gern geneigt, ihm schlechtverkäufliche Ware zu verkaufen, denn an irgendwen und irgendwie. müssen ja die „alten Sachen“ verkauft werden. Der Stammkundin X oder dem Stammkunden Y wagt man sie nicht zu verkaufen, weil da zuviel Gründe sind, die dagegen sprechen,.
Es gibt aber Kunden, die gern lagerhängige Ware kaufen, aber dafür verlangen sie auch eine entsprechende Preis
ermäßigung, die der Verkäufer gern gibt und wohl auch geben muß, weil der Kunde an sich mehr wert ist, als es der augenblickliche kleine Geldvorteil sein würde.
Man verkauft aber viel lieber die Ware dem Laufkunden Z zum normalen Preis und freut sich, daß die Kasse kein Loch erhalten hat. Ist das aber auch richtig gehandelt?
Ganz gewiß nicht, denn das erste Bestreben eines guten Geschäftsmannes ist,
aus gelegentlichen Kunden Stammkunden zu machen,
und das erfordert immer eine bevorzugte Bedienung der
Laufkunden, bzw. der gelegentlichen Kunden, vorausgesetzt, daß nicht nur Laufkunden vorhanden sind. Man muß es sich zum Prinzip machen, den fremden Kunden sogar das Beste der betreffenden Preislage zu verkaufen.
Sorgfältige Beobachtungen haben ergeben, daß aus diesen Kunden dann der Zugang an Stammkunden in größerem Maße erfolgt ist, als der Abgang der Stammkunden auf der anderen Seite beträgt.
Die Kundschaft ist niemals stabil. Durch Wegzug, Krankheit, Tod usw. findet immer ein Abbröckeln statt, wofür Ersatz geschaffen werden muß. Und dieser Ersatz muß eben durch eine ganz besonders bevorzugte Bedienung herangezogen werden.
Der Mut besteht nicht darin, daß inan die Gefahr blind übersieht, sondern daß man sie sehend überwindet.