Nacht von Bethlehem.


Ich lag — Aus allen Tiefen trat das Dunkel
um mein tief gedrücktes Haus:
Es ging von allen Schluchten der Erde und
der Menschenseelen aus. Kein Stern stand darüber — aber die Menschen
kamen in langem, grauen Zug, Ein jeder Last und Leiden wie Gold, Weihrauch
und Myrrhen in zitternden Händen trug. Sie zog kein Stern, sie zog das Dunkel und
und die unerlöste Last, Die legten sie glühend nieder im Glauben und
schon halb erlösender Rast: Denn sie wußten, aus meinem lichtverlassenen
Lager wollte der Heiland werden. Dem gaben sie, was sie halten, und standen auf und gingen heim, und glaubten an den Wandel dieser Erden.
Denn sie wußten, würde der Heiland aus dem
Dunkel ins Licht eingehn, Würden sie Last und Leiden als Gold, Weihrauch und Myrrhen in seinen ausstrahlenden Händen sehn.
— Im Schützengraben — taglang Schüttelfrost
und Regen — Trat mir aus hohler Dämmerung dieser wache
Traum.
Dann kam die Nacht, und ich stand auf und
ging hinaus —:
So viel Sterne weiteten noch nie den tiefen,
lichtüberfüllten Raum. Im Anschaun sah ich ganz hinein ins Licht das
Schlachtfeld münden: Ihr Schläfer, schlagt die Augen auf! Hört, was
die Sterne künden: Milliarden Sterne — und jedem ein Weg im heiligen Chor unter allen.
Gleicher Wandel auf Erden! — Kein Fallen —
allen ein Wohlgefallen! —
Schläfer, Schläfer, hört ihr die Sternenmelodie ? ! Erlöser — Klarheit — (wachet auf und schaut!)
— umleuchtet sie! —
Tausend Schläfer hatten die Nacht von vielem
Licht einen Traum —
Tausend Wache, schüfen sie dem Licht
hinieden Raum!
Aus tausend Hütten ging dann alles Dunkel aus, Und der Stern von Bethlehem stünde überm Haus!


Aus der Nachtl


Auch diese Nacht! Bin ich auf hartem Kriegeslager um härtre Menschenschicksal aufgewacht.
Ich schreib’, und was ich schreibe, seh’ ich nicht. Schrieb ich in’s Licht! — O, wir sind alle viel zu sehr
Franzosen, Russen, Engländer und Deutsche
geworden 1 So endet nie das Morden.
Und ich sinne und sinne marterschwer,
(Als wenn das Denken eine Dornenkrone wär), Ob nicht zu finden sei, was uns vereint. Komm Feind —
Hör doch in deiner Brust auf den erdrückten Schrei, Laß doch die blutigen Gewänder fallen!
Mensch sei!
Denn der lebr in uns allen.
Mensch sei. Ueber allen! Mensch, schüttle dich frei! —
Kommt, wir wollen einander helfen aus unsren
harten Hüllen Und unser hochschwingendes Menschenschicksal
erfüllen!
Wir wollen den Panzer niederlegen Und wollen unsere Seelen wie Schwingen regen, Völker, wir wollen einander befrein Und Menschen sein!
O, Nacht,
Dann bist du Labequelle ganz und Schlaf! Denn keiner wacht,
Zu spähn, wie er den andern tödlich traf. Dann ist die Welt nur Gabe, du beschenktes Kind. — Wie reich der Menschen Tage und Nächte sind.


Alfred Günther




Österliche Stadt.


Wer sprengte die Gruft aus Gram, Frost
und Not Und rief die Menschenschatten an, die bang
erstarrten!
Die Stadt steht brennend in Licht von Blau und Rot. Ihre Himmel klingen in entzücktem Erwarten. Alle Häuser haben offne Fenster und Türen.
Die Augen sind zu den Vögeln im Wind empor
gehoben. Versucht nicht schon ein Mädchenlied den Früh
ling zu loben? Die Straßen sind so, als könnten sie ins Wunder
bare führen. Könnte jetzt nicht unter all diesen Menschen,
den unbekannten
Generälen, Ärzten und Schiffskommandanten, Fürsten, Millionären und Rechtsanwälten,
Fuhrleuten, Schauspielern und Kontorangestellten Ein Heiliger sein?
Und würde hier mitten unter uns gehn!
Und auf die Leiden der Seele mit solchen Augen
sehn,
Daß jedes Sein sich bis ins Herz verwandelt Und alle reinen und guten Dinge auferstehn!


Walter Rheiner




Ode der Verkündigung (1916.)


Noch brennt die Nacht. Und Ufer der Schmerzen dehnt sich endlos hin. Ein Mond schon zerfetzt der Brust erhabne Grotte. Schwarz zerstürzen flatternden Angesichts wirre Haine.
Die Hand stirbt hin an Teichen verlorenen Worts. Das Haar versinkt! O! einst ein traum
haftes Meer, beschleicht der Sonne kalkne Maske trübesten Horizonts toten Rücken.
Selbst wir: — Phantome! . . . Fremd, transparent gemalt, wir schwinden dünn in Teppichen fernen Grunds, derweil die Tage wüster Taifun, grausig zerstampfen Verzweiflungs-Hirne!
Doch ich, ich grüß euch Pinien - Gestade neu! Verschwendet euch in menschlichster Inbrust Sang! Es klinge Säule gläsern wider dieser verfinsterten Seelen Springquell!
Geripp der Landschaft: — rosenes Blut pulst auf! Planeten-Tag goldnem Kothurn stürmt her! In Wald und Abends-Schlafes-Buchten Schädels melodisches Netz sich bildet!
Zu Häupten wallt uns Schleier, gewirkt aus Fluss und Frauen-Traum und kreischender Städte Tanz! Palast schon wachsen wir symphonisch! sprühend Posaune die Sonne ruft uns!
(Aus einem unveröffentlichten Gedichtbuch „Das schmerzliche Meer“.)


Prolog


zum Gedichtbuch „Das tönende Herz” 1917. (Der russischen Oktoberrevolution gewidmet.)
Quo usque tandem . . . ?
. . . Am gebirgigen Absturz jener ruchlosen Straßen, meine Freunde, stand ich, über denen, rote Maske, eine donnernde Sonne kreiste, aus dem Osten hergeschritten: illuminiertes Gespenst, violette Wolken waren ihre flammende Haar- Mähne. Sterne wirbelten im Hellen, in Ohr, Augen, Nase, Mund und Brust schlüpften sie mir, Fische, die sich verflechten im Ozean. Der Abend
wälzte sich über meine Braue, die Nacht stieg mir schwarz an den Mund. Fern sähe ich Wälder im Tal sich erheben, Fichte an Fichte, Eiche an Eiche gereiht, und ein erdhafter Choral orgelte auf zu dunklem Azur, der über Menschenhäuptern
sich schwang. Rhythmisch begannen finsterste Haus-Hallen zu pochen und zu tönen, und im Riesen-Ausmaß ein starres Gesicht senkte sich magisch auf den kreiselnden Platz hernieder. Ja: die Planeten reihten sich Krone um meine Stirn,
und Bogenlampen flochten sich himmlischer Efeu um Hals und Brust. Meine Hände (magnetisch gereckte) lagen in der Ferne und mischten sich dem wolkigen Horizont. Die tückische Stadt schäumte hoch an meine zitternde Knie, die Alleen bogen sich in meinen Mund: — trunkene Fahnen heiß zwischen knirschenden Zähnen schmetternd.
— Ein Dom nahe zcrsank; graue Steine waren finster vergehendes Gesicht, und seine Türme bogen sich wehe Arme, da er stürzte — stürzte! Es war ein gischender Fluß von heulenden Menschen unter mir: ich sah mich selbst klein dabei. . . Mein Mund brannte. Sirius, der ewige Stern schien hell. Karren wankten. Züge hoben sich von den Schienen in die Luft und umarmten
sich mit Häusern, Wald, Fluß und Gestirn so über mich kam : — finsterstes Netz, zürnender Schleier, dräuender Vorhang hangend zwischen Nacht und Morgen. Golgatha! Golgatha gebar sich! Edel
stes Menschenantlitz heulte im Schmerz, da Brüder tausendfach krampften, heulten, sangen, schrien, starben und stürzten.
Brüder! Meine Brüder! Erd-Bürger! Sternen-Söhne! Mütter-Söhne! Kinder des geliebtesten Erd-Gestirns, des heimatlichen Planeten! Citoyens! ö mon frère! Vater! Mutter! Schwester! Geliebte! Du meine Frau ! Jesus! Dich, Dich und Dich, Dich, — Euch, Euch, Euch alle rufe ich! (Dichter) Seht!: —
Petersburg, Petrograd, wölbt! Newa dröhnt! Zittert Moskau! Erwacht Paris 1 Hebt sich Berlin!
Jubelt Rom! Braust London! — Heimate, Heimate! — Die Straßen biegen sich! (. . . und wieder, wieder und zum dritten Mal: schon Barrikaden bau’n sich himmlischer Mutter-Leib! Unter
grundbahn bricht herauf! Bahrlhof knallt! . . .)
Türme sich neigen, Glockenfschwingen heulend, Abendrot, Abendrot schwillt, See kreist,
Sonne tost!: — beginnt! beginnt! —: Stimmt an! Stimmt an, und halle brausender Gesang aus Wälder-Orgel, Städte-Pauke, Gebirge-Tympanon!
— Schart euch! Sammelt euch! Ausschreitet firmamenten! Umarmt den Tag, die Sonne, umarmt euch und
beginnet, beginnet!


Dietrich




Erblindet.


Ich hielt wohl lange in der Nacht die Augen offen und sah nach stilleren Sternen aus,
ich stand wohl oft in neuem Hoffen, ich fänd nach Haus,
und manchmal irrte ich in späten Gassen,
wo giftig Licht und schwüle Lust gedieh, — und blieb doch immer wieder wie verlassen und schrie und schrie,
mein Gott! — bis ich die Köhlerhütte
des Todes in der Morgendämmerung fand; — nun ist es Winter, Schnee bedeckt mein Land,
mein Blick ist blind; wer führt die letzten Schritte mich bis zum Himmelsrand? . . .
Original-Holzschnitt von Felixmüller, Dresden Autorenportraits des Felix Stiemer Verlag:


Erich H. Müller


Leiter der Musikabteilung des Verlags.
Original-Holzschnitt von Felixmüifer, Dresden
Autorenportraits des Felix Stiemer Verlag:
Original-Holzschnitt von Felixmüller, Dresden
Autorenportraits des Felix Stiemer Verlag: