Original-Holzschnitt von Felixmüller, Dresden Autorenportraits des Felix Stiemer Verlag:
Die Verwunschenen.
In den Armen der Mühle hängen die bleichen
Verwunschenen, drehen langsam den Stein des Brotes unendlich geduldig.
Rings im Lande jagen die Prasser
aber die bleichen Verwunschenen mahlen unend
lich geduldig das Korn. Fängt ein Sturm ihre langen Aermel
sinken sie stumm in die heilige Erde, schicken von nnuem bleiche Gesellen den Armen der Mühle. Geduldig, unendlich Verwunschen.
Original-Holzschnitt von Felixmüller, Dresden
Autorenportraits des Felix Stiemer Verlag:
Bin nun hier Militärkrankenwärter Felixmüller. Betone aber Krank und Felixmüller. Will zuerst mich und meine Kranken befühlen. Güte, Herz und Gefühl aufbringen. Habe ja immer noch Herz und Seele um zu fühlen. Es ist Nacht. In zwanzig Betten um mich herum aufgebahrte kranke Soldaten. Krank im Gehirn, Epileptiker, Irrsinnige, Gelähmte, Verwundete. Alles Menschen wie ich. Fleisch, Körper, Beine — komische Formen, mal weich, mal hart. Schmerzen über
all, hauptsächlich im Kopf (hat doch mir vor drei Tagen der Arzt mit Hämmeilein den Kopf zerschlagen — d. h. ich habe Zertrümmerungs
schmerzen). Alles von Blut durchsickert. Glühend und rot wie flüssiges Eisen. Lunge, Brust, der ganze Körper mit Aederchen voll dieser mikro
skopischen Feinheiten. Strotzender Bauch von blauen und roten dieser dünnquellenden Aeder
chen durchzogen. Grünschweflig schimmernde Därme, endlos lang angefüllt mit blähendem Brei, von Fleisch wie mein Fleisch, blutdurchzogen und vom Tier. Eklig (fühle Fülle) treibt hoch
— ekelt mich — möchte erbrechen — kann nicht. Ein Rollwagen fährt über meine Glieder.
Und strenge mich an mit diesem meinen Körper andren ebensolchen Körpern, Kranken, Verwundeten, Irren zu dienen. Aufgebahrt in 20 Betten. Stehen plötzlich alle diese Menschen in Carbolwolke gehüllt, neblich und zeitweise verschwindend, in blutigen, eitrigen Verbänden vor mir. Bin nun erst selbst alles um zu ver
stehen und zu helfen: bin krank, verwundet, irr, fiebre und bekomme Eispackung an die Beine.
Habe überall rotbrennenden Ausschlag. Wächst fühlbar schnell von Tupsgröße zu Handtellergroße
— zuletzt bin ich nur ein einziger brennender Ausschlag. Und kann nicht liegen, nicht schlafen. Wache Träume. Erst im Gefecht von Patronen
bepackt, fast erdrückt — und bald im rasenden Roten Kreuz - D-Zug. Rast dröhnend. Liege in gespenstischem Weiß. Rote - Kreuz - Schwestern, weißkittlige Wärter und Aerzte vor meinem groß
geblähtem Gesicht — Aufgehend alles Gefühl entschwindet. Sause in tiefe, dunkle Uuendlich
keit. Höre noch schönes Knistern wie Glas von schneidendem Messer durch Haut in Fleisch, zer
schneiden Sehnen wie Leder. Sägen Beinknochen wie Holz — Ab! — Blut spritzt rotbogen zum Fenster über Städte, Dörfer, Felder. Felder Ver
bandfetzen fliegen vorbei, verbinden meinen Stumpf. Und sause mit Zug in dunklen roten Tunnel.
Immer tiefer — Achtung — Kopf weg — er reißt ab — stürzen. in Abgrund bis — fühle Bett. Schreck zuckt mich. Wandschatten in abgehende Schwester (vom Roten Kreuz) sich auflösen. Kamerad hantiert mit glühender Zigarette im Dunkeln und ich grüble — wo mag man nur mein Bein hingeworfen haben ? Unter eitrige, blutkrustige Verbände: unter Kot, beißenden Urin? — Wo dieses grünschwarz schillernde, gibbergallernde, zitternde Bein — totes Bein — abge
schnitten — wohin geworfen? Wenn ichs nicht finde, wenn der Wärter mir es nicht sagt — Du Hund — wenn ich dich rasend anfalle, Fäuste trümmernd in Fenster schlage oder dir dein Bein ausreiße! Wenn du nicht hörst, so sehe ich doch durch Fenster blickend — blaues Fenster, darinnen matter Mond unter Schneefeld! erkennend wunder
blaue Stahlfarbe — Fenster—! Du—! mein—! Stahlblock! Würde mich so herzlich gern durchs Fenster in kühlenden Schnee werfen, wenn es nicht vernagelt wäre. Man sollte aus meinem Block Stahlnägel machen. Fußgroße wie zur Kreuzigung Christi. Noch größer (wozu schreit Kamerad im Wachsaal — wird er ans Kreuz ge
nagelt mit meinem schönen Nagel?) Ich wüßte besseres mit meinem fußgroßen blauen geschliffe
nen Nagel. Halte ihn schon lange vor mir, während Lichtreflex vom Fenster des gegenüberliegenden Krankenhauses über meine vorgehobe
nen Hände fährt. Meine Hände haben an den Fingerspitzen Hornhaut und fühlen nicht so sehr die scharfkantigen Flächen. Halte den Nagel ganz nah an meinen Kopf — an die Schläfe — berühre sie ganz zart kitzlich — ah - - wie
schön die Spitze die blau- und rotgeäderte Schläfe sticht! Die Haut und dünne Schädelschläfe eindrückt. Der dicke 2 cm quadratische Silberstahlnagel durchstößtl Und wie sicher ich die schmerzen
de Gehirnstelle treffe! Jene, die der Arzt mit
Hämmerlein fein berührte — durchstoße zur andren Seite herausziehe mit ihm zerrissene Aederchen und Gehirn —! Blut perlt an beiden Schläfen — perlt rot tropfend in den Hals.
So schön ist Blut----?! kann so schön rinnen, tropfen!
Wenn — ich — nun — allen — 20 — Kameraden — diese — selbe — Freude mit meinem Silberstahlnagel machte? denselben kopfschmerz
befreienden Kitzel brächte ? Ihr Bewußtsein ebenso löschte? Wenn ich einem nach dem Andern meinen Silberstahlnagel blau, jetzt blutigrot angefärbt in die Schläfe drückte?!
Warum auch nicht? Habe doch noch kein Blut vergossen! Habe doch noch kein Bajonett in Darmgeschling-Bäuche gestoßen! Mit Gewehren Schädel eingeschlagen! ?
Also tue ichs gleich sofort. Wenn nur alle ruhig schliefen. Sollen am Morgen überrascht werden. Jeder in seinem zarten Rinnlein Blut liegend.
Es ist gut, daß Nacht zu Ende ist — und Kamerad Wärter zum Waschen ruft.
Ich werde mich heiß waschen — weil ich zu sehr friere und Kopfschmerz habe. Und langsam aufstehe — zum Waschen.
Und nun werde ich aufpassen, daß sie mir kein Paralyt geben (soll Tropfen nehmen).
Zerrüttet von aufgeregter Nacht. Die ganze Nacht ein Tobsuchtsanfall. Erst ein Bett — dann beide daneben — dann vier Betten — alle Betten, und der große Wärter — rasten.
Vor zwei Tagen schafften sie einen Kameraden in die Zelle — jetzt bringen sie ihn von Kokain noch ganz betrunken wieder. Ich gehe zu ihm. Bringe ihm Zigaretten und bitte ihn Grammophon spielen zu lassen. Ein Couplet: „Malongo vom Kongo“ — er soll heiter werden, nach mißglücktem Fluchtversuch. Er erzählte mir von seiner Entdeckung des Feuerfensters — ein Fenstergitter durch starken Druck aufgehend, am Bettuch hinablassend flüchten! Ich flüchte mit. Bin doch nicht verrückt!
Seit gestern glaubte man bei mir an Wutanfälle — weil ich — na — die Schwester Emma sagte (während ein Tobender mit dem Gesicht zur Wand klatschte) „Ueberall kann der Wärter nicht sein“ — und da brüllte ich: — Nun will ich heraus. Um Euch zu sagen, daß wertvollste Menschen in trostlosen schwarzen Gittern sich verfangen. Verzweifelnd ihre hilflose Schuld mit Nervensträngen abwürgen. Gerade dieses Ab
würgen ist typisch. Wie der Nahkampf Wahn wird und rasend Kameraden ihren Wärter nieder
prügelnd unaufhörlich töten wollen — sich selbst verzehren um darnach wie Kindlein zu weinen.
Ich habe den Aerzten gesagt: „Laßt sie frei — laßt sie rasen — meinetwegen auch totschlagen“, — es ist besser, diese Menschen
würgen den Hilfefaulen, Trägen, verantwortungslos Schuldigen ab, — denn durch Eure Schuld nicht für diesen Euren Brudermenschen zu sein, der nun hier rast, tobt, sich den Schädel einrennt, gerichtet abtritt für Euch! nur um Euretwillen ! weil Ihr nicht verhindert!“
Alle würden sofort gesund und glücklich sein, wenn man ihnen sagte: „Krieg ist vorbei“ — ihnen sagte: „wir erlösten Euch durch uns davon — weil wir wissen und erkannt haben, daß Du und Du unser Brudermensch bist, für uns unsere Schuld gefressen hast, rast und wahn
sinnig bist“ — Wenn man ihnen sagte: „Wir lieben Euch, Mitmenschen, — und machen ein Ende.“
O — ich weiß wie ich zu handeln habe, daß ein jeder durch meine Winzigkeit sein Glück auf dieser unsrer Erde zu sein — kennt Ich muß sprech en!
Ungeachtet meines sich nun entwickelten Stromes, der, wenn er mich auch verschlingt — hinreißen muß!
Mit Liebe Wände eiskalter Herzen erwärmen ! Starrsinnigen Egoismus kapitalistischer Schmoks sprengen für diese Menschen hier in dieser Eiterbeule Europas.
Kein Mensch ist dein Feind — noch im irrsinnigen Blutstumpf sollst du deinen Bruder
menschen erkennen, dich selbst — denn D u bist
der Irrsinnige, Tobsichtige, Rasende, der Mörder im Kriege!
Original-Holzschnitt von Felixmüller, Dresden
Autorenportraits des Felix Stiemer Verlag: Heinar Schilling
Vortrag für den dritten Abend des Felix Stiemer Verlag
gehalten am 21. 1. 1918.
„Expressionismus“ ist ein Schlagwort der Gegensätzlichkeit unsrer neuen Kunst. Aus Opposition sind noch bisher alle Fortschritte hervor
gegangen, und wir wollen diese bewußte Lösung von aller Tradition, dies nur in uns fußen, nur aus uns schaffen immer wieder betonen. Aus Kompromissen wird keine innere Einheit geboren,— krassesten Radikalismus, den man uns vorwirft, wollen wir lieber verwirklichen, und auf die augenblickliche Anerkennung unsrer Unbedingtheit ver
zichten, als schon im Beginn eine Klassik künstlich erstreben, die kommen wird und muß, um die Sackgasse zu vermeiden. Dilettantismus, meinet
wegen wie Däubler sagt: genialer Dilettantismns
treibt die Formen und Formulierungen oft ins Absurde, — wenigstens für den Standpunkt des künstlerischen Bourgeois. — Das sagt aber nichts gegen das Können. Man kann nicht zerlegen und erklären, man kann durch noch so sorgfältige Didaktik für Zurückgebliebene im Sinne Einsteins auch bei bestem Willen nicht deutbar machen,
was undeutbar ist. Die heutige Kunst, das heutige Leben will nicht gedeutet sein, sondern erlebt, es kommt auf Wahrheit an, auf die Gestalt an sich, auf das Absolute.
Schon versucht man, diese Worte wiederum zu Schlagworten zu stempeln. Jede Kritik müht sich, Abhängigkeiten, - epigonenhafte Aehnlichkeit bei uns zu finden. Als ob es nicht Expressionismus in jeder Kunst und Zeit gegeben hätte, als ob wir negierten, wo wir nur betonen, herausheben, unterstreichen.
Absolute Gestalt ist Resultat einer deduktiven Methode, und diese Klärung und Ableitung der Erscheinung vom gefühlten Erleben ist uns die Wahrheit, die unberührbare Wahrheit, der Sinn des absoluten Gedankens. Es ist deshalb grundfalsch, zu sagen, — Däubler — daß der Expres
sionist die Wesenheiten seines Objects haarscharf und mit Temperament herausschäle. „Mit Tempe
rament“ begreift schon eine Subjectivität in sich, und schließt somit das rein Wesenhafte der Objekte
aus. Das persönliche Gefühl ist Mittelpunkt der Betrachtung, die Wesenheiten des Objects spiegeln
Bess Brenck - Kalischer
Die Verwunschenen.
In den Armen der Mühle hängen die bleichen
Verwunschenen, drehen langsam den Stein des Brotes unendlich geduldig.
Rings im Lande jagen die Prasser
aber die bleichen Verwunschenen mahlen unend
lich geduldig das Korn. Fängt ein Sturm ihre langen Aermel
sinken sie stumm in die heilige Erde, schicken von nnuem bleiche Gesellen den Armen der Mühle. Geduldig, unendlich Verwunschen.
Original-Holzschnitt von Felixmüller, Dresden
Autorenportraits des Felix Stiemer Verlag:
Felixmüller
Militär-Krankenwärter Felixmüller XI, Arnsdorf.
Bin nun hier Militärkrankenwärter Felixmüller. Betone aber Krank und Felixmüller. Will zuerst mich und meine Kranken befühlen. Güte, Herz und Gefühl aufbringen. Habe ja immer noch Herz und Seele um zu fühlen. Es ist Nacht. In zwanzig Betten um mich herum aufgebahrte kranke Soldaten. Krank im Gehirn, Epileptiker, Irrsinnige, Gelähmte, Verwundete. Alles Menschen wie ich. Fleisch, Körper, Beine — komische Formen, mal weich, mal hart. Schmerzen über
all, hauptsächlich im Kopf (hat doch mir vor drei Tagen der Arzt mit Hämmeilein den Kopf zerschlagen — d. h. ich habe Zertrümmerungs
schmerzen). Alles von Blut durchsickert. Glühend und rot wie flüssiges Eisen. Lunge, Brust, der ganze Körper mit Aederchen voll dieser mikro
skopischen Feinheiten. Strotzender Bauch von blauen und roten dieser dünnquellenden Aeder
chen durchzogen. Grünschweflig schimmernde Därme, endlos lang angefüllt mit blähendem Brei, von Fleisch wie mein Fleisch, blutdurchzogen und vom Tier. Eklig (fühle Fülle) treibt hoch
— ekelt mich — möchte erbrechen — kann nicht. Ein Rollwagen fährt über meine Glieder.
Und strenge mich an mit diesem meinen Körper andren ebensolchen Körpern, Kranken, Verwundeten, Irren zu dienen. Aufgebahrt in 20 Betten. Stehen plötzlich alle diese Menschen in Carbolwolke gehüllt, neblich und zeitweise verschwindend, in blutigen, eitrigen Verbänden vor mir. Bin nun erst selbst alles um zu ver
stehen und zu helfen: bin krank, verwundet, irr, fiebre und bekomme Eispackung an die Beine.
Habe überall rotbrennenden Ausschlag. Wächst fühlbar schnell von Tupsgröße zu Handtellergroße
— zuletzt bin ich nur ein einziger brennender Ausschlag. Und kann nicht liegen, nicht schlafen. Wache Träume. Erst im Gefecht von Patronen
bepackt, fast erdrückt — und bald im rasenden Roten Kreuz - D-Zug. Rast dröhnend. Liege in gespenstischem Weiß. Rote - Kreuz - Schwestern, weißkittlige Wärter und Aerzte vor meinem groß
geblähtem Gesicht — Aufgehend alles Gefühl entschwindet. Sause in tiefe, dunkle Uuendlich
keit. Höre noch schönes Knistern wie Glas von schneidendem Messer durch Haut in Fleisch, zer
schneiden Sehnen wie Leder. Sägen Beinknochen wie Holz — Ab! — Blut spritzt rotbogen zum Fenster über Städte, Dörfer, Felder. Felder Ver
bandfetzen fliegen vorbei, verbinden meinen Stumpf. Und sause mit Zug in dunklen roten Tunnel.
Immer tiefer — Achtung — Kopf weg — er reißt ab — stürzen. in Abgrund bis — fühle Bett. Schreck zuckt mich. Wandschatten in abgehende Schwester (vom Roten Kreuz) sich auflösen. Kamerad hantiert mit glühender Zigarette im Dunkeln und ich grüble — wo mag man nur mein Bein hingeworfen haben ? Unter eitrige, blutkrustige Verbände: unter Kot, beißenden Urin? — Wo dieses grünschwarz schillernde, gibbergallernde, zitternde Bein — totes Bein — abge
schnitten — wohin geworfen? Wenn ichs nicht finde, wenn der Wärter mir es nicht sagt — Du Hund — wenn ich dich rasend anfalle, Fäuste trümmernd in Fenster schlage oder dir dein Bein ausreiße! Wenn du nicht hörst, so sehe ich doch durch Fenster blickend — blaues Fenster, darinnen matter Mond unter Schneefeld! erkennend wunder
blaue Stahlfarbe — Fenster—! Du—! mein—! Stahlblock! Würde mich so herzlich gern durchs Fenster in kühlenden Schnee werfen, wenn es nicht vernagelt wäre. Man sollte aus meinem Block Stahlnägel machen. Fußgroße wie zur Kreuzigung Christi. Noch größer (wozu schreit Kamerad im Wachsaal — wird er ans Kreuz ge
nagelt mit meinem schönen Nagel?) Ich wüßte besseres mit meinem fußgroßen blauen geschliffe
nen Nagel. Halte ihn schon lange vor mir, während Lichtreflex vom Fenster des gegenüberliegenden Krankenhauses über meine vorgehobe
nen Hände fährt. Meine Hände haben an den Fingerspitzen Hornhaut und fühlen nicht so sehr die scharfkantigen Flächen. Halte den Nagel ganz nah an meinen Kopf — an die Schläfe — berühre sie ganz zart kitzlich — ah - - wie
schön die Spitze die blau- und rotgeäderte Schläfe sticht! Die Haut und dünne Schädelschläfe eindrückt. Der dicke 2 cm quadratische Silberstahlnagel durchstößtl Und wie sicher ich die schmerzen
de Gehirnstelle treffe! Jene, die der Arzt mit
Hämmerlein fein berührte — durchstoße zur andren Seite herausziehe mit ihm zerrissene Aederchen und Gehirn —! Blut perlt an beiden Schläfen — perlt rot tropfend in den Hals.
So schön ist Blut----?! kann so schön rinnen, tropfen!
Wenn — ich — nun — allen — 20 — Kameraden — diese — selbe — Freude mit meinem Silberstahlnagel machte? denselben kopfschmerz
befreienden Kitzel brächte ? Ihr Bewußtsein ebenso löschte? Wenn ich einem nach dem Andern meinen Silberstahlnagel blau, jetzt blutigrot angefärbt in die Schläfe drückte?!
Warum auch nicht? Habe doch noch kein Blut vergossen! Habe doch noch kein Bajonett in Darmgeschling-Bäuche gestoßen! Mit Gewehren Schädel eingeschlagen! ?
Also tue ichs gleich sofort. Wenn nur alle ruhig schliefen. Sollen am Morgen überrascht werden. Jeder in seinem zarten Rinnlein Blut liegend.
Es ist gut, daß Nacht zu Ende ist — und Kamerad Wärter zum Waschen ruft.
Ich werde mich heiß waschen — weil ich zu sehr friere und Kopfschmerz habe. Und langsam aufstehe — zum Waschen.
Und nun werde ich aufpassen, daß sie mir kein Paralyt geben (soll Tropfen nehmen).
Zerrüttet von aufgeregter Nacht. Die ganze Nacht ein Tobsuchtsanfall. Erst ein Bett — dann beide daneben — dann vier Betten — alle Betten, und der große Wärter — rasten.
Vor zwei Tagen schafften sie einen Kameraden in die Zelle — jetzt bringen sie ihn von Kokain noch ganz betrunken wieder. Ich gehe zu ihm. Bringe ihm Zigaretten und bitte ihn Grammophon spielen zu lassen. Ein Couplet: „Malongo vom Kongo“ — er soll heiter werden, nach mißglücktem Fluchtversuch. Er erzählte mir von seiner Entdeckung des Feuerfensters — ein Fenstergitter durch starken Druck aufgehend, am Bettuch hinablassend flüchten! Ich flüchte mit. Bin doch nicht verrückt!
Seit gestern glaubte man bei mir an Wutanfälle — weil ich — na — die Schwester Emma sagte (während ein Tobender mit dem Gesicht zur Wand klatschte) „Ueberall kann der Wärter nicht sein“ — und da brüllte ich: — Nun will ich heraus. Um Euch zu sagen, daß wertvollste Menschen in trostlosen schwarzen Gittern sich verfangen. Verzweifelnd ihre hilflose Schuld mit Nervensträngen abwürgen. Gerade dieses Ab
würgen ist typisch. Wie der Nahkampf Wahn wird und rasend Kameraden ihren Wärter nieder
prügelnd unaufhörlich töten wollen — sich selbst verzehren um darnach wie Kindlein zu weinen.
Ich habe den Aerzten gesagt: „Laßt sie frei — laßt sie rasen — meinetwegen auch totschlagen“, — es ist besser, diese Menschen
würgen den Hilfefaulen, Trägen, verantwortungslos Schuldigen ab, — denn durch Eure Schuld nicht für diesen Euren Brudermenschen zu sein, der nun hier rast, tobt, sich den Schädel einrennt, gerichtet abtritt für Euch! nur um Euretwillen ! weil Ihr nicht verhindert!“
Alle würden sofort gesund und glücklich sein, wenn man ihnen sagte: „Krieg ist vorbei“ — ihnen sagte: „wir erlösten Euch durch uns davon — weil wir wissen und erkannt haben, daß Du und Du unser Brudermensch bist, für uns unsere Schuld gefressen hast, rast und wahn
sinnig bist“ — Wenn man ihnen sagte: „Wir lieben Euch, Mitmenschen, — und machen ein Ende.“
O — ich weiß wie ich zu handeln habe, daß ein jeder durch meine Winzigkeit sein Glück auf dieser unsrer Erde zu sein — kennt Ich muß sprech en!
Ungeachtet meines sich nun entwickelten Stromes, der, wenn er mich auch verschlingt — hinreißen muß!
Mit Liebe Wände eiskalter Herzen erwärmen ! Starrsinnigen Egoismus kapitalistischer Schmoks sprengen für diese Menschen hier in dieser Eiterbeule Europas.
Kein Mensch ist dein Feind — noch im irrsinnigen Blutstumpf sollst du deinen Bruder
menschen erkennen, dich selbst — denn D u bist
der Irrsinnige, Tobsichtige, Rasende, der Mörder im Kriege!
Original-Holzschnitt von Felixmüller, Dresden
Autorenportraits des Felix Stiemer Verlag: Heinar Schilling
Expressionismus.
Vortrag für den dritten Abend des Felix Stiemer Verlag
gehalten am 21. 1. 1918.
„Expressionismus“ ist ein Schlagwort der Gegensätzlichkeit unsrer neuen Kunst. Aus Opposition sind noch bisher alle Fortschritte hervor
gegangen, und wir wollen diese bewußte Lösung von aller Tradition, dies nur in uns fußen, nur aus uns schaffen immer wieder betonen. Aus Kompromissen wird keine innere Einheit geboren,— krassesten Radikalismus, den man uns vorwirft, wollen wir lieber verwirklichen, und auf die augenblickliche Anerkennung unsrer Unbedingtheit ver
zichten, als schon im Beginn eine Klassik künstlich erstreben, die kommen wird und muß, um die Sackgasse zu vermeiden. Dilettantismus, meinet
wegen wie Däubler sagt: genialer Dilettantismns
treibt die Formen und Formulierungen oft ins Absurde, — wenigstens für den Standpunkt des künstlerischen Bourgeois. — Das sagt aber nichts gegen das Können. Man kann nicht zerlegen und erklären, man kann durch noch so sorgfältige Didaktik für Zurückgebliebene im Sinne Einsteins auch bei bestem Willen nicht deutbar machen,
was undeutbar ist. Die heutige Kunst, das heutige Leben will nicht gedeutet sein, sondern erlebt, es kommt auf Wahrheit an, auf die Gestalt an sich, auf das Absolute.
Schon versucht man, diese Worte wiederum zu Schlagworten zu stempeln. Jede Kritik müht sich, Abhängigkeiten, - epigonenhafte Aehnlichkeit bei uns zu finden. Als ob es nicht Expressionismus in jeder Kunst und Zeit gegeben hätte, als ob wir negierten, wo wir nur betonen, herausheben, unterstreichen.
Absolute Gestalt ist Resultat einer deduktiven Methode, und diese Klärung und Ableitung der Erscheinung vom gefühlten Erleben ist uns die Wahrheit, die unberührbare Wahrheit, der Sinn des absoluten Gedankens. Es ist deshalb grundfalsch, zu sagen, — Däubler — daß der Expres
sionist die Wesenheiten seines Objects haarscharf und mit Temperament herausschäle. „Mit Tempe
rament“ begreift schon eine Subjectivität in sich, und schließt somit das rein Wesenhafte der Objekte
aus. Das persönliche Gefühl ist Mittelpunkt der Betrachtung, die Wesenheiten des Objects spiegeln