15. Juni 1918. — Nr. 4.
MONATSSCHRIFT FÜR NEUE KUNST
Jüngste Literatur — Graphik — Musik — Kritik
Herausgegeben von Felix Stiemer (verantwortlich für den gesamten Inhalt)
Freiburg i. B., Schwarzwaldstraße 29.
Schriftleitung: Heinar Schilling, Dresden-A., Robert Kochstraße 9.
Die Zeitschrift erscheint am 15., Redaktionsschluß am 1. jeden Monats. Bezug direkt vom Verlag oder durch die Buchhandlungen. Abonnement 1918 (10 Nummern) Mk. 4,—, Nr. 5—10 Mk. 2,50. Einzelnummer Mk. 0,50 (zuzüglich Porto bez. Bestellgeld).
— Einsendungen nur an den Verlag, Abteilung „Menschen“. —
Rücksendung unverlangter Manuskripte nur bei genügendem Rückporto.
Die Monatsschrift „MENSCHEN“ ist als Flugblatt Ausdruck von Dichtern, Literaten, Malern und Musikern, denen Kunst ein Mittel zur Änderung der Menschen und Ruf zur Einung und Sammlung bedeutet. Von der Fixierung unseres Lebensgefühls, das man heute mit dem Worte EXPRESSIONISMUS bezeichnet, bis zur legten Konsequenz, der Tat, enthält diese Folge vor
wiegend Beiträge, denen Cliquentum und Radikalismus bisher den Weg versperrten. Verbunden mit den uns nahestehenden der älteren Generation, die wir als Voraussetzung unseres Handelns erkennen, hoffen wir auf die Propaganda derer, die ihrerseits in uns Jungen die Vollender (nicht die
Vollendeten) sehen.
FELIX STIEIER VERLAG, DRESDEN
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Heinar Schilling
Absage an die Stadt.
Ihr Freunde, Gleichnis
ist noch Befreiung nicht, immerhin hebt kristallnen Klang das Fühlen
als Mahnung!
Bräunlicher Sonne Glanz auf weißem matten Straßenstaub, Baumreihen kahl
von der Gebärde „traumhinan“ ganz übergossen.
Und in die Vorfrühlingssonne hineingestellt
mein großer Wille „berghinan“, übergeflossen
von Sehnsucht der Freiheit, der weitesten Welt.
Langsam steige ich die Lehnendes Hangs, an mir gleiten ruhig vorbei graue Häuser der Großstadt. Getön schwillt ab. — Da — Lerche! Wie Befreiung vom durchsonnten Feld. — Aufatmend steht
der Mensch in mir. --- Jäh wende ich mich gegen die Stadt.
Und nun schaue ich übergespreitet
über Dächer, Essen, Ferne, Wald und Tag:
dunkelsten Dunst, gelbbraun ziehend, schwer, gedrückt, Dunst, der in Wolken sich breitet
über eure Stirnen, Freunde, über Sein und Schein, über die ganze elendige Stadt, die uns frißt.
Vampyr beschattet sie uns, Ausgeburt unsres Alltags, Wolke Dunst aus Kohlendreck und zuviel Menschen. Kriecht über alle eure Sonnen, Brüder,
schlingt alle eure ersten Blumen, Mädchen
und vergiftet unsern Frühling, unsern Frühling!
Einsam steh ich nicht hier in freiestem Bereich, Menschen ziehen immer mit mir.
Glaubt mir, Freunde, die Zeit der toten Häuser ist vorbei, es sehnt aus jagendem Rythmus stählerner Dinge und bleierner Luft das Herz in unendlichen Mai.
Ihr Freunde, Gleichnis
ist noch Befreiung“nicht, doch — hofft! Schon starb zerbrochnen Stammellauts die Großstadtseele, Schon singt die Welt wieder wie Brunnen und Bäche.
Glaubt mir, ihr Freunde, tiefstes Urgefühl
quillt nicht mehr aus dem pöbelhaften Haufen,
dem Massennotquartier, der engen Hölle der Mühsal. Herrlich steigt uns auf ein neuer Morgen,
fern jenem Unrat, jeder Unrast fern.
Der Mensch mag wieder träumen an letzten Quellen ewiger Erlösung. Lerchenlied,
urerste EXPRESSION, durchschauert uns
die wir schon jenseits eurem Dunste schreiten.