Wie man oft darlegt, ist es das Wesen der Gestaltungskraft, daß sie den Künstler durch
die Gestaltung des Kunstwerks von der auf seiner Seele ruhenden Last der Vision befreit und durch diesen Konflikt hindurch zu unermeßlichen und unfaßbaren Siegen der lebendigen Seele über die tote Materie führt. Mit der Vollendung des Kunstwerks kommt der eigentliche Schöpfungs
prozeß, der mit der Loslösung der visionären Empfindung von der Persönlichkeit des Künstlers indentisch ist, zu seinem Abschluß.
Ist diese Definition, die aus Werken bisheriger Kunst und deren Genesis abgeleitet ist, noch ohne weiteres gütig? Eine Befreiung von der Vision tritt allerdings durch die Gestaltung ein, und der wahre Künstler wird nur das als Kunstwerk hin
stellen, was der Vision adaequat war, in dem also die lebendige Seele die Materie besiegt. Damit aber glaubt er den Sinn seines Kunst
werks noch nicht vollendet. Weiterwirkend im Stofflichen erzeugt die gestaltende Kraft beim Beschauer die Vision der Vision, um mich deut
licher auszudrücken: ein Nachempfinden des Vorausempfundenen. Das Kunstwerk braucht also keineswegs „vollendet“ zu sein, da unser differenziertes Nervensystem schneller und leichter reagiert als das an den Formen der Natur geschulte Auge.
Hier tritt also die typische Loslösung von aller bisherigen Kunst ein. Wir betonen, daß wir nicht sinnlich, sondern sinnlich-gedanklich wirken wollen, daß die Gestaltung zwar an eine Form
gebunden bleibt, das eigentliche Kunstwerk aber, die sogenannte Schöpfung, erst hinter dieser Form
steht, unsichtbar, undeutbar uns nur erfühlbar durch ein künstlerisches Mitschwingen.
Zur Erzeugung dieses Zustandes bedarf es nicht gewisser herkömmlicher Formen. (Damit soll aber keine Lanze für die 90°/o künstlerischer Anfänger gebrochen sein!) Die Leichtigkeit der Gestaltung wird vielmehr durch den toten Ballast der Erscheinungswelt gehemmt. Man geht zurück auf die primitive, unmittelbar zum Gefühl sprechende Form, oder man versucht, eine abso
lute Form zu finden. Immerhin sind auch hier innerhalb des Expressionismus starke Gegen
strömungen bemerkbar. Die Dichtung kehrt zur strengsten Form zurück, trotzdem oder seitdem man erkannte, daß Vers und Reim lediglich technische Errungenschaften sind, die den Gedanken
inhalt nie trüben, wie es der Impressionismus glaubte. In der Malerei kehrt man vom krassesten Radikalismus zu einer an die Erscheinungs
form angelehnten Darstellung-des Gefühlmäßigen zurück.
10.
Der Komplex der Erscheinungsformen, d. h. der durch die Sinne wirksam vermittelten Dinge
hat mit dem Ding an sich des Gefühls wenig zu tun. Er ist belastet mit dem Nebensächlichen,
das der wahren Kunst nichts zu sagen hat. Der wahre Ausdruck (z. B. die Gesinnung, der Schmerz) kann durch Charakterdarstellung in naturalistischer Manier zwar umschrieben, nicht aber eindeutig erfaßt werden. Die naturalistische Novelle und mit ihr das Drama stellen Gefühle durch Aufzeigen ihrer Begleitumstände dar. Heute ver
zichtet man auf die Realität des Dargestellten, wenn dadurch der Ausdruck klarer herauszubringen ist. Man schafft also Phantastisch - unmögliches.
Aehnlich ist der Vorgang in der Malerei und Graphik. Hier wird mit der simultanistischen Illusion, der Scheinwelt, gearbeitet. Die äußere Anknüpfung an die Welt der Erscheinungen kann aus diesem Grunde um so lockerer sein, je ver
wandter die Empfindungswelt von Schöpfer und Beschauer ist — diese Verwandtschaft war die oben als Kriterium einer Kunstbetrachtung überhaupt aufgestellte Forderung, und ist Ausgangs
und Kernpunkt der Wertbeurteilung neuer Kunst.
Kunst ist der Boden übersinnlicher (eingebildeter) Zusammenhänge, der Künstler verlangt heute ein Eingehn in diese Sphären, ohne damit eine ge
waltsame Lostrennung von der Begriffswelt, die auch diesen Erscheinungen zugrunde liegt, zu
fordern. Er malt also gleichsam platonische (absolute) Ideen und behauptet, daß jeder zu deren Erkenntnis gelangen kann. Der Weg zu dieser Erkenntnis ist ein Selbststudium, ein Betrachten der Eindrücke beim Beschauen der Er
scheinungswelt, und ein Umwerten derselben zu einem persönlichen, in die Erscheinungswelt hin
eingelegten Sinn, der EXPRESSION. Damit wäre auch der Einwand, daß jeder bei der Rezeption anders empfinden könne wie der Künstler bei der Konzestion, dadurch entkräftet, daß jede Idee als im Absoluten immanent ruhend gedacht wird, wobei die Aperzeption der Idee, vermittelt durch Außeneindrücke, letzten Endes nur vom Erfassen der dem Kunstwerk innewohnenden Expression abhängt.
11.
Das Erfassen oder Nachfühlen (Rezeption) eines Kunstwerks — wobei Kunst-werk als etwas Vollendetes gedacht ist, da etwas Unvollendetes
zunächst nur Mach-werk ist — sollte eben die Grundlage der absoluten Kritik sein. Der Kritiker — immer noch nach O. Wilde derjenige, der ein
Kunstwerk in ein anderes Material zu übertragen befähigt ist — muß also wahrhaft mitschwingen.
Gelingt ihm das nicht, weil er der wahren Ideenwelt, dem Absoluten, noch zu fern ist, so darf er eben nicht kritisieren. Die Tatsache, daß er ein Kunsiwerk nicht in ein anderes Material (das logische Wort) zu übertragen vermag, kann eben
sogut (öfter) an seiner Unfähigkeit, wie am Unwert des Kunstwerks liegen, weil dem nicht Mitschwingenden jedes Kriterium zur Kunstbetrachtung fehlt.
Damit kehren wir an den Ausgangspunkt unserer Betrachtung zurück, man werde sich klar,
was man als Kriterium seiner Kunstbeurteilung wählen will. Die Wertung des historisch Ge
wordenen zeigten wir als belanglos auf, es bleibt also bloß die absolute Kritik, zu der ein Mit
schwingen erforderlich bleibt. Wer nun aber nicht nachzufühlen vermag, wem der Begriff und die Idee des Absoluten noch nicht im Nerven
system bedingt sind, der verzichte solange auf jede Stellungnahme, bis ein Kunstwerk ihn zum Mitschwingen veranlaßt. Dieser Augenblick kommt für Jeden, früher oder -- später.
12.
Zusammenfassend bliebe über die Form zu sagen, daß sie noch stark im Werden ist. Hier
her gehören die Maniriertheiten des Stils, das
peinliche Vermeiden jeder Unoriginalität, das fast an Monomanie grenzt, und die übertriebene Sucht nach Absonderlichkeiten. Diese Kinderkrankheiten werden überwunden werden, und zwar zuerst von den wahrhaft freien Expressionisten, zu denen man nach dem Ueberfürchtenichts und der Winter
ballade den genialen Wedekind und den größten
Meister Hauptmann wohl zählen darf. Das stärkste Talent von uns Jüngsten, Hasenclever, ist in seiner formalen Stellung noch unklar. Als typisch sind vor allem Franz Jung und Mynona zu nennen, ersterer im ungünstigen, letzterer in gedanklichem
Sinne. Die verdienstlichen Helfer der AKTION sind in der Mehrzahl zum wahren Fortschritt kaum befähigt genug. Rubiner und Einstein gaben das wertvollste Theoretische. Nur etwa ein Dutzend der Allerjüngsten berechtigen zu großen Hoffnungen.
In der Graphik gelingt viel Gutes, aber nichts Endgiltiges. Kein Name nach Chagall und Pi
casso hat dauernd Geltung erkämpft, viele mühen sich um wirklich Gutes, in erster Linie stehen vielleicht nur Melzer, Beyer, Meidner und einige Aktionisten. Derjenige von allen, der zuerst zur Klassik des Expressionismus gelangt, wird wahrscheinlich die dauernde Führung übernehmen.
Als Abschluß dieser Gedankenreihe weise ich auf die Technik, die in Zukunft erstrebt werden muß, hin. Alles Beiwerk fiel weg. Man erreicht Wirkung durch Nebeneinander von Posi
tivem. Man beschränkt sich auf dichterisches Bild nnd Vergleich in krassester Anhäufung. Hier liegt die Größe und Stärke der Wirkung, aber auch die Gefahr. Der Expressionismus muß die Cliquentechnik (Arno Holz, Stefan George,
Aktion, Sturm) vermeiden, wenn er universelle Geltung erlangen will, (d. h. nun aber nicht Kurfürstendammgeltung, sondern absolute und
zeitlose Anerkenntnis). Das kaleidoskopartige Nebeneinander und Nacheinander,dasdie schlagen
de Wirkung der neuen Lyrik verstärkt, darf nicht zu gesuchtem Spiel mit Effekten werden, wie das bei den meisten jüngeren Talenten jetzt zu be
fürchten steht. Es gilt die Grenzen der Kunst zu wahren, die mit dem Begriff „schön“ im Sinne der absoluten Idee untrennbar verknüpft sind, Wir überschritten, getragen von dem Glauben an den höheren Organismus des jetzigen Menschen, die Grenzen der normalen Aperzeption, und setzten
damit eine gewisse veränderte Funktion der Sinnesorgane voraus. Nicht eine Verfeinerung,
sondern eine Erweiterung war das Ziel unserer Bestrebungen,
Der oft vorgebrachte Vorwurf, daß man nur die inneren Grenzen der Kunst verwische, ist nicht von der Hand zu weisen. Die psychologische Wirkung von Linien und Massen war von jeher der alleinige Inhalt baulichen, kunstgewerblichen und ornamentalen Gestaltens! Der Versuch der Ver
wischung dieser Grenzen ist eine Gefahr, ebenso die Verwendung der Bewegung in der Malerei, die vom Impressionismus aufgebracht wurde.
Letztere bleibt vergebliches Experiment, weil die theoretisch denkbare Höchstleistung noch immer dem Urbild nicht adaequat sein kann.
Die Dichtung versuchte zeitweilig, den Laut als solchen und das Licht als Medium des Aus
drucks sich anzueignen. Hierher gehören auch die experimentell wertvollen Farbvisionen der
ersten expressionistischen Dichter. Alle diese Versuche, die als solche wertvoll bleiben, können nie die Stärke einer einheitlichen Komposition oder einer formreinen Gestaltung erreichen, weil nur die strengste Perspektive der Darstellung den Aufnehmenden zum gleichen Standpunkt des Beschauens zwingt, den der Künstler beim Schaffen einnahm, und weil der Betrachtende im Falle der mehrseitigen Beleuchtung der darzustellenden Ex
pression unsicher und unklar re agiert. Das gilt namentlich bei künstlerischer Gestaltung des Lebens, die ja das eigentliche Ziel der Kunst bleibt. Als Grundton muß die großeMenschlichkeit, die den ganzen Expressionismus durchdringt,
hier ihren zwingenden Ausdruck finden. Hier muß der starke Appell an die Menschengüte und -seele, der zugleich mit allem Aktivismus sich gegen die einengenden Formen des äußeren Lebens wendet, sich auswachsen zur umfassenden Symphonie der heraufkommenden neuen Zeit. Alle Sonderbestrebungen müssen sich vereinigen zu dem gewaltigen Werke der Menschheits
befreiung, wir müssen den Triumph des Geistes über die reale Welt, den Sieg des Absoluten über das Relative mitschaffen helfen. Die neue Kunst ist, so glaubeich, berufen, das Innere des Menschen zu erwecken und gegen das Aeußere in Kampf zu bringen. Wir stehen an der Schwelle einer
neuen Epoche der Menschheitsgeschichte, eine neue Welt des Innerlichen erwacht. Auf das Innerliche ist auch die neue Kunst gerichtet, und kaum jemand wird verkennen, daß es ihr mit diesem Bestreben ernst ist. Ist die wahre Mensch
lichkeit einmal erwacht, dann wird die Einheit aller und die Einzigkeit der Einzelnen auch im äußeren Leben zu zwingender Expression kommen.
Das aber ist der philosriphische Grundgedanke der neuen Kunst!
[Aus: Meinungen, Heft III, die schöne neue Kunst, Helix Stiemer Verlag ]
Ateliergeheimnisse, Formungsprinzipien — — Ateleliergeheimnisse des Literaten — gehen uns nichts an. Bestimmend ist, daß Spitzweg und Sternheim ihrem Geist dasselbe Material gaben: den Bürger. Daß Spitzweg und Sternheim dieselbe Seele erlebten. Daß beider Resultate gegensätzlich sind. Es gibt nur ein Entweder- Oder; die Verschiedenheit im Ergebnis auf die verschiedene Art der Betrachtung zurückzuführen, ist ein Tric, Entscheidungen auszuweichen. Es gibtein absolutes Urteil, das sich für den einen, andern oder ein Drittes entscheiden muß — um der ethischen Konsequenz willen. (Wer sich un
begründeterweise ängstigt, Bild und Novelle nebeneinander zu stellen, mag an Stelle Spitzwegs zwei Erzählungen von Merkl, vereinigt unter dem Titel „Die Kakteensammlung“ setzen: der Gegensatz bleibt unverändert).
Zugegeben, daß sich die Stellung des Bürgers verändert, oder verdeutlicht hat: er ist nicht mehr die berühmte Straßenfigur mit langer Pfeife und dem am Gesäß baumelnden Taschentuch, der den
Wein, die Liebe und das Kriegsgeschrei liebt; er ist oberste Instanz des Geistes geworden, tolerant über den Parteien stehend, er liebt alles, be
gönnert alle, tritt für nichts ein, belauscht den Geist einer Großen Zeit, übermittelt — ewiger Börseaner — künftigen Geschlechtern, was er nie begreift, bleibt Reklamechef vergangener Werte.
Zugegeben, daß seine Stellung sich in dieser Weise verdeutlichte — als Typ war und ist er dasselbe. Bleibt als einzige Differenz, daß Spitzweg einen Problematischen vor sich hatte, Stern
heim einen Enthüllten. (Wie leicht ist es, einen Enthüllten nochmals zu enthüllen.)
Sternheim rast — der große Detektiv — rast durch Deutschland, um Verbrecher zu fangen, die — längst hinter Schloß und Riegel sitzen. Spitzweg jagte den gleichen nach; ein Ergebnis:
Eine etwas zu große, rote Nase, über der die Augen halb irrsinnig ratlos starren.
Sternheim spritzt Drachengift auf den „Elenden“. Spitzweg bringt es „nur“ zur Ver
wunderune: „So etwas gibt es?“ — aus dem Schatten einer Häuserreihe grinst der Wahnsinn.
Ist Sternheim ein heutiger? Wer den Bürger 1918 kennt, wundert sich nicht mehr, wie es Spitzweg noch durfte; diese Problematik ist seit
Jahrzehnten dahin. Noch ferner steht Sternheims Psychose: welch fette Sattheit diktiert sie. Um
gekippte Selbstzerfleischung? Psychoanalytiker haben zu dieser Entscheidung Zeit.
Nur der darf gegen Menschen kämpfen, der den Ekel vor ihnen verlernt,
der die Angst um Sie täglich erlebt.
[Aus dem soebeQ erschienenen Heft III der Sammlung „Der Schrei“ : „Morgen“, I. Teil.]
Morastgesindel, Gift der feuchten Gassen, Tierheit in ewiggeilem Trippeltrieb ganz ohne Seele :
kahlleibige Dirne!
Ich war allein;
mein Gott, du weißt, ich war allein
mein ganzes Leben unter Traumgestirnen. Bis daß du dich erniedrigtest und Göttin, Dirne wurdest, Gott!
Nun irrt der Mond durch ausgestorb’ne Hirne, Nacht stürzt mit roten Lampen in mein Herz, Blut peitscht uns ohne Gnade zu einander.
[Aus dem demnächst erscheinenden Gedichtheft :
Der Gotiker, Felix Stiemer Verlag.]
die Gestaltung des Kunstwerks von der auf seiner Seele ruhenden Last der Vision befreit und durch diesen Konflikt hindurch zu unermeßlichen und unfaßbaren Siegen der lebendigen Seele über die tote Materie führt. Mit der Vollendung des Kunstwerks kommt der eigentliche Schöpfungs
prozeß, der mit der Loslösung der visionären Empfindung von der Persönlichkeit des Künstlers indentisch ist, zu seinem Abschluß.
Ist diese Definition, die aus Werken bisheriger Kunst und deren Genesis abgeleitet ist, noch ohne weiteres gütig? Eine Befreiung von der Vision tritt allerdings durch die Gestaltung ein, und der wahre Künstler wird nur das als Kunstwerk hin
stellen, was der Vision adaequat war, in dem also die lebendige Seele die Materie besiegt. Damit aber glaubt er den Sinn seines Kunst
werks noch nicht vollendet. Weiterwirkend im Stofflichen erzeugt die gestaltende Kraft beim Beschauer die Vision der Vision, um mich deut
licher auszudrücken: ein Nachempfinden des Vorausempfundenen. Das Kunstwerk braucht also keineswegs „vollendet“ zu sein, da unser differenziertes Nervensystem schneller und leichter reagiert als das an den Formen der Natur geschulte Auge.
Hier tritt also die typische Loslösung von aller bisherigen Kunst ein. Wir betonen, daß wir nicht sinnlich, sondern sinnlich-gedanklich wirken wollen, daß die Gestaltung zwar an eine Form
gebunden bleibt, das eigentliche Kunstwerk aber, die sogenannte Schöpfung, erst hinter dieser Form
steht, unsichtbar, undeutbar uns nur erfühlbar durch ein künstlerisches Mitschwingen.
Zur Erzeugung dieses Zustandes bedarf es nicht gewisser herkömmlicher Formen. (Damit soll aber keine Lanze für die 90°/o künstlerischer Anfänger gebrochen sein!) Die Leichtigkeit der Gestaltung wird vielmehr durch den toten Ballast der Erscheinungswelt gehemmt. Man geht zurück auf die primitive, unmittelbar zum Gefühl sprechende Form, oder man versucht, eine abso
lute Form zu finden. Immerhin sind auch hier innerhalb des Expressionismus starke Gegen
strömungen bemerkbar. Die Dichtung kehrt zur strengsten Form zurück, trotzdem oder seitdem man erkannte, daß Vers und Reim lediglich technische Errungenschaften sind, die den Gedanken
inhalt nie trüben, wie es der Impressionismus glaubte. In der Malerei kehrt man vom krassesten Radikalismus zu einer an die Erscheinungs
form angelehnten Darstellung-des Gefühlmäßigen zurück.
10.
Der Komplex der Erscheinungsformen, d. h. der durch die Sinne wirksam vermittelten Dinge
hat mit dem Ding an sich des Gefühls wenig zu tun. Er ist belastet mit dem Nebensächlichen,
das der wahren Kunst nichts zu sagen hat. Der wahre Ausdruck (z. B. die Gesinnung, der Schmerz) kann durch Charakterdarstellung in naturalistischer Manier zwar umschrieben, nicht aber eindeutig erfaßt werden. Die naturalistische Novelle und mit ihr das Drama stellen Gefühle durch Aufzeigen ihrer Begleitumstände dar. Heute ver
zichtet man auf die Realität des Dargestellten, wenn dadurch der Ausdruck klarer herauszubringen ist. Man schafft also Phantastisch - unmögliches.
Aehnlich ist der Vorgang in der Malerei und Graphik. Hier wird mit der simultanistischen Illusion, der Scheinwelt, gearbeitet. Die äußere Anknüpfung an die Welt der Erscheinungen kann aus diesem Grunde um so lockerer sein, je ver
wandter die Empfindungswelt von Schöpfer und Beschauer ist — diese Verwandtschaft war die oben als Kriterium einer Kunstbetrachtung überhaupt aufgestellte Forderung, und ist Ausgangs
und Kernpunkt der Wertbeurteilung neuer Kunst.
Kunst ist der Boden übersinnlicher (eingebildeter) Zusammenhänge, der Künstler verlangt heute ein Eingehn in diese Sphären, ohne damit eine ge
waltsame Lostrennung von der Begriffswelt, die auch diesen Erscheinungen zugrunde liegt, zu
fordern. Er malt also gleichsam platonische (absolute) Ideen und behauptet, daß jeder zu deren Erkenntnis gelangen kann. Der Weg zu dieser Erkenntnis ist ein Selbststudium, ein Betrachten der Eindrücke beim Beschauen der Er
scheinungswelt, und ein Umwerten derselben zu einem persönlichen, in die Erscheinungswelt hin
eingelegten Sinn, der EXPRESSION. Damit wäre auch der Einwand, daß jeder bei der Rezeption anders empfinden könne wie der Künstler bei der Konzestion, dadurch entkräftet, daß jede Idee als im Absoluten immanent ruhend gedacht wird, wobei die Aperzeption der Idee, vermittelt durch Außeneindrücke, letzten Endes nur vom Erfassen der dem Kunstwerk innewohnenden Expression abhängt.
11.
Das Erfassen oder Nachfühlen (Rezeption) eines Kunstwerks — wobei Kunst-werk als etwas Vollendetes gedacht ist, da etwas Unvollendetes
zunächst nur Mach-werk ist — sollte eben die Grundlage der absoluten Kritik sein. Der Kritiker — immer noch nach O. Wilde derjenige, der ein
Kunstwerk in ein anderes Material zu übertragen befähigt ist — muß also wahrhaft mitschwingen.
Gelingt ihm das nicht, weil er der wahren Ideenwelt, dem Absoluten, noch zu fern ist, so darf er eben nicht kritisieren. Die Tatsache, daß er ein Kunsiwerk nicht in ein anderes Material (das logische Wort) zu übertragen vermag, kann eben
sogut (öfter) an seiner Unfähigkeit, wie am Unwert des Kunstwerks liegen, weil dem nicht Mitschwingenden jedes Kriterium zur Kunstbetrachtung fehlt.
Damit kehren wir an den Ausgangspunkt unserer Betrachtung zurück, man werde sich klar,
was man als Kriterium seiner Kunstbeurteilung wählen will. Die Wertung des historisch Ge
wordenen zeigten wir als belanglos auf, es bleibt also bloß die absolute Kritik, zu der ein Mit
schwingen erforderlich bleibt. Wer nun aber nicht nachzufühlen vermag, wem der Begriff und die Idee des Absoluten noch nicht im Nerven
system bedingt sind, der verzichte solange auf jede Stellungnahme, bis ein Kunstwerk ihn zum Mitschwingen veranlaßt. Dieser Augenblick kommt für Jeden, früher oder -- später.
12.
Zusammenfassend bliebe über die Form zu sagen, daß sie noch stark im Werden ist. Hier
her gehören die Maniriertheiten des Stils, das
peinliche Vermeiden jeder Unoriginalität, das fast an Monomanie grenzt, und die übertriebene Sucht nach Absonderlichkeiten. Diese Kinderkrankheiten werden überwunden werden, und zwar zuerst von den wahrhaft freien Expressionisten, zu denen man nach dem Ueberfürchtenichts und der Winter
ballade den genialen Wedekind und den größten
Meister Hauptmann wohl zählen darf. Das stärkste Talent von uns Jüngsten, Hasenclever, ist in seiner formalen Stellung noch unklar. Als typisch sind vor allem Franz Jung und Mynona zu nennen, ersterer im ungünstigen, letzterer in gedanklichem
Sinne. Die verdienstlichen Helfer der AKTION sind in der Mehrzahl zum wahren Fortschritt kaum befähigt genug. Rubiner und Einstein gaben das wertvollste Theoretische. Nur etwa ein Dutzend der Allerjüngsten berechtigen zu großen Hoffnungen.
In der Graphik gelingt viel Gutes, aber nichts Endgiltiges. Kein Name nach Chagall und Pi
casso hat dauernd Geltung erkämpft, viele mühen sich um wirklich Gutes, in erster Linie stehen vielleicht nur Melzer, Beyer, Meidner und einige Aktionisten. Derjenige von allen, der zuerst zur Klassik des Expressionismus gelangt, wird wahrscheinlich die dauernde Führung übernehmen.
Als Abschluß dieser Gedankenreihe weise ich auf die Technik, die in Zukunft erstrebt werden muß, hin. Alles Beiwerk fiel weg. Man erreicht Wirkung durch Nebeneinander von Posi
tivem. Man beschränkt sich auf dichterisches Bild nnd Vergleich in krassester Anhäufung. Hier liegt die Größe und Stärke der Wirkung, aber auch die Gefahr. Der Expressionismus muß die Cliquentechnik (Arno Holz, Stefan George,
Aktion, Sturm) vermeiden, wenn er universelle Geltung erlangen will, (d. h. nun aber nicht Kurfürstendammgeltung, sondern absolute und
zeitlose Anerkenntnis). Das kaleidoskopartige Nebeneinander und Nacheinander,dasdie schlagen
de Wirkung der neuen Lyrik verstärkt, darf nicht zu gesuchtem Spiel mit Effekten werden, wie das bei den meisten jüngeren Talenten jetzt zu be
fürchten steht. Es gilt die Grenzen der Kunst zu wahren, die mit dem Begriff „schön“ im Sinne der absoluten Idee untrennbar verknüpft sind, Wir überschritten, getragen von dem Glauben an den höheren Organismus des jetzigen Menschen, die Grenzen der normalen Aperzeption, und setzten
damit eine gewisse veränderte Funktion der Sinnesorgane voraus. Nicht eine Verfeinerung,
sondern eine Erweiterung war das Ziel unserer Bestrebungen,
Der oft vorgebrachte Vorwurf, daß man nur die inneren Grenzen der Kunst verwische, ist nicht von der Hand zu weisen. Die psychologische Wirkung von Linien und Massen war von jeher der alleinige Inhalt baulichen, kunstgewerblichen und ornamentalen Gestaltens! Der Versuch der Ver
wischung dieser Grenzen ist eine Gefahr, ebenso die Verwendung der Bewegung in der Malerei, die vom Impressionismus aufgebracht wurde.
Letztere bleibt vergebliches Experiment, weil die theoretisch denkbare Höchstleistung noch immer dem Urbild nicht adaequat sein kann.
Die Dichtung versuchte zeitweilig, den Laut als solchen und das Licht als Medium des Aus
drucks sich anzueignen. Hierher gehören auch die experimentell wertvollen Farbvisionen der
ersten expressionistischen Dichter. Alle diese Versuche, die als solche wertvoll bleiben, können nie die Stärke einer einheitlichen Komposition oder einer formreinen Gestaltung erreichen, weil nur die strengste Perspektive der Darstellung den Aufnehmenden zum gleichen Standpunkt des Beschauens zwingt, den der Künstler beim Schaffen einnahm, und weil der Betrachtende im Falle der mehrseitigen Beleuchtung der darzustellenden Ex
pression unsicher und unklar re agiert. Das gilt namentlich bei künstlerischer Gestaltung des Lebens, die ja das eigentliche Ziel der Kunst bleibt. Als Grundton muß die großeMenschlichkeit, die den ganzen Expressionismus durchdringt,
hier ihren zwingenden Ausdruck finden. Hier muß der starke Appell an die Menschengüte und -seele, der zugleich mit allem Aktivismus sich gegen die einengenden Formen des äußeren Lebens wendet, sich auswachsen zur umfassenden Symphonie der heraufkommenden neuen Zeit. Alle Sonderbestrebungen müssen sich vereinigen zu dem gewaltigen Werke der Menschheits
befreiung, wir müssen den Triumph des Geistes über die reale Welt, den Sieg des Absoluten über das Relative mitschaffen helfen. Die neue Kunst ist, so glaubeich, berufen, das Innere des Menschen zu erwecken und gegen das Aeußere in Kampf zu bringen. Wir stehen an der Schwelle einer
neuen Epoche der Menschheitsgeschichte, eine neue Welt des Innerlichen erwacht. Auf das Innerliche ist auch die neue Kunst gerichtet, und kaum jemand wird verkennen, daß es ihr mit diesem Bestreben ernst ist. Ist die wahre Mensch
lichkeit einmal erwacht, dann wird die Einheit aller und die Einzigkeit der Einzelnen auch im äußeren Leben zu zwingender Expression kommen.
Das aber ist der philosriphische Grundgedanke der neuen Kunst!
[Aus: Meinungen, Heft III, die schöne neue Kunst, Helix Stiemer Verlag ]
Felix Stiemer
Spitzweg oder Sternheim.
Ateliergeheimnisse, Formungsprinzipien — — Ateleliergeheimnisse des Literaten — gehen uns nichts an. Bestimmend ist, daß Spitzweg und Sternheim ihrem Geist dasselbe Material gaben: den Bürger. Daß Spitzweg und Sternheim dieselbe Seele erlebten. Daß beider Resultate gegensätzlich sind. Es gibt nur ein Entweder- Oder; die Verschiedenheit im Ergebnis auf die verschiedene Art der Betrachtung zurückzuführen, ist ein Tric, Entscheidungen auszuweichen. Es gibtein absolutes Urteil, das sich für den einen, andern oder ein Drittes entscheiden muß — um der ethischen Konsequenz willen. (Wer sich un
begründeterweise ängstigt, Bild und Novelle nebeneinander zu stellen, mag an Stelle Spitzwegs zwei Erzählungen von Merkl, vereinigt unter dem Titel „Die Kakteensammlung“ setzen: der Gegensatz bleibt unverändert).
Zugegeben, daß sich die Stellung des Bürgers verändert, oder verdeutlicht hat: er ist nicht mehr die berühmte Straßenfigur mit langer Pfeife und dem am Gesäß baumelnden Taschentuch, der den
Wein, die Liebe und das Kriegsgeschrei liebt; er ist oberste Instanz des Geistes geworden, tolerant über den Parteien stehend, er liebt alles, be
gönnert alle, tritt für nichts ein, belauscht den Geist einer Großen Zeit, übermittelt — ewiger Börseaner — künftigen Geschlechtern, was er nie begreift, bleibt Reklamechef vergangener Werte.
Zugegeben, daß seine Stellung sich in dieser Weise verdeutlichte — als Typ war und ist er dasselbe. Bleibt als einzige Differenz, daß Spitzweg einen Problematischen vor sich hatte, Stern
heim einen Enthüllten. (Wie leicht ist es, einen Enthüllten nochmals zu enthüllen.)
Sternheim rast — der große Detektiv — rast durch Deutschland, um Verbrecher zu fangen, die — längst hinter Schloß und Riegel sitzen. Spitzweg jagte den gleichen nach; ein Ergebnis:
Eine etwas zu große, rote Nase, über der die Augen halb irrsinnig ratlos starren.
Sternheim spritzt Drachengift auf den „Elenden“. Spitzweg bringt es „nur“ zur Ver
wunderune: „So etwas gibt es?“ — aus dem Schatten einer Häuserreihe grinst der Wahnsinn.
Ist Sternheim ein heutiger? Wer den Bürger 1918 kennt, wundert sich nicht mehr, wie es Spitzweg noch durfte; diese Problematik ist seit
Jahrzehnten dahin. Noch ferner steht Sternheims Psychose: welch fette Sattheit diktiert sie. Um
gekippte Selbstzerfleischung? Psychoanalytiker haben zu dieser Entscheidung Zeit.
Nur der darf gegen Menschen kämpfen, der den Ekel vor ihnen verlernt,
der die Angst um Sie täglich erlebt.
[Aus dem soebeQ erschienenen Heft III der Sammlung „Der Schrei“ : „Morgen“, I. Teil.]
Dietrich
Sphinx.
Morastgesindel, Gift der feuchten Gassen, Tierheit in ewiggeilem Trippeltrieb ganz ohne Seele :
kahlleibige Dirne!
Ich war allein;
mein Gott, du weißt, ich war allein
mein ganzes Leben unter Traumgestirnen. Bis daß du dich erniedrigtest und Göttin, Dirne wurdest, Gott!
Nun irrt der Mond durch ausgestorb’ne Hirne, Nacht stürzt mit roten Lampen in mein Herz, Blut peitscht uns ohne Gnade zu einander.
[Aus dem demnächst erscheinenden Gedichtheft :
Der Gotiker, Felix Stiemer Verlag.]