Oskar Maria Graf




Die Hassenden.


Zu innerst von der Not befangen,
lastschwer und drückend immer Erde fühlend, Vor Gier verschmachtend und in langen tiefschwarzen Nächten weiterwühlend, vom Haß verglüht, fast leblos
und zermürbt von fremdgewordner Arbeit, verblüht und lautlos Tag und Zeit. Wir wissen bloß,
daß wer viel trinkt,
vergißt,
und alles Nichts ist und versinkt. — Und auch, daß abends unser Leib durstmüde ist
nach einem Weib. —
Es sprach einst wer, wie Ruf von fern,
dem Klirren gleich von sieggewohnten Schwertern: „Wir werden einst in alle Länder einmarschieren und als die Ersten neuer Zeiten triumphieren!“ Es war, als wir noch jung, und klang wie ein erlösender Gesang vom Himmel her............


Absage.


„Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet.“
(Matth. VII, 1.)
Trotzdem:
Es hilft nichts, man kann nur noch in aller Freundlichkeit grob werden!
Kameraden, bekannte und unbekannte, warum laßt Ihr es Euch noch gefallen, daß dieser Onkel Franz (Pfemfert) Euch väterlich mit seinem Wohlwollen besabbert?
Ja, wer im schönen Wilmersdorf im Zentrum seiner Korrespondenz sitzt, wie die Spinne in ihrem Netz; wem die Welt sich darstellt, wie sie auf den schlechten, schlechten Bildchen der mit Aufopferung redigierten Zeit - Schrift aussieht, — der hat gut Ketzerrichter zu spielen. Wie schön lassen sich hinterm Schreibtisch hervor die Urteile donnern auf die, die ihre Haut zu Markte tragen, oder es wenigstens ernsthaft versuchen, und nicht bloß auf dem Papier, — gewiß dilettantisch: aber Lat das nicht auch seinen Sinn? Wenn wir i ämlich mal eine Ungeschicklichkeit begehen und dem Onkel Franz eine Haussuchung auf den Hals ziehen, die er mit großer Geste abschüttelt — ja Spaß! vor dem Papier, das in seinem
Schreibtisch liegt, braucht keine hohe Behörde Angst zu haben!
Bald ist das Werk vollbracht und alles, was im Lande lebt, ist entlarvt — Onkel Franz thront einsam als der letzte Europäer in deutschen Landen — „sie alle sahen rechts, nur ER sah — —“ — aber nein, wie darf man das zitieren, auch der war ja ein „Verräter“!
Wir könnten lachen, — wenn nicht das wäre: Daß die Freunde außerhalb ihn ernst nehmen, Du, lieber Georg Grétor, und Sie, Ludwig Rubiner!
Daß er die Größe des Kommenden, von dem uns allen nur ein Teilchen ward, das wir durch unsere drumgelagerten fatalen Schwächen durch
zubringen und im ewig unzulänglichen Versuch zu läutern suchen, —
daß er dies durch seinen Zentralismus verwirrt, der an seiner Seele klebt, — weil er von gestern ist; trotz allem !
Daß er uns aufdrängt, was wir nicht wollen!: Sag Du es ihm, Ernst Toller, wir wollen, wir brauchen ihn nicht: Er soll uns nicht einreden, was wir ohnedies schon allzugern glauben;
er soll nicht unsere Schuld vergrößern, indem er unsere Worte Wahrheit nennt, von denen wir wissen, sie sind Schwäche und Lüge. Wage es ihm zu sagen, daß Dein Weg nicht Heldentum war, sondern Mißgeschick — oder glaubst Du ihm schon, sodaß Du am Ende gar umfällst, wenn er eines schönen Tages auch Dich ^„entlarvt“?
Wir wollen ihn nicht!
Denn wir wissen: Noch sind Lüge unsere Worte, denn wir sind noch nicht stumm; eitel unser Schritt, denn wir setzen uns noch Kränze auf; schlecht unsre Tat, denn uns führen noch Wünsche.
Aber wir wagen dennoch den Weg, die kleine Arbeit des Tages zu tun, die uns beschmutzt und verzehrt.
Denn wir wissen uns Träger der Zukunft.
Onkel Franz muß seine Mauern bauen, denn er ist matt und leer, und ihn trägt nicht, was unsern Schritt beflügelt —
die Liebe und die Gewißheit.


Kümmerliche Kritik.


Dresden hat auch Kritiker. Man lese, was der „Anzeiger“ über Eugen d’ Alberts Konzert zu sagen hat. Die Darbietung war eine Schweinerei. Nie hörte ich Schumanns „Carnaval“ so liederlich, so unmusikalisch und unfertig, kurz: so ge
Doch das ist lang, so endlos lange her . . ! Verfrühtes Altern grub seitdem
die Runen von vergälltem Haß auf unsere Gesichte. Die Satten sprechen von Problem und füllen Bände mit Geschichte.
Wir aber wandern knirschend im Verlorensein und wissen schließlich, daß der Vater soff und einer Mutter Träne troff
in unser niegewünschtes Geborensein. —


Eugen Styx




Aus dem Buche „Präludien zum neuen




Glauben“ Nr 3


Der Wert des Universums liegt bei uns. Nur im Erreichen unserer selbst schaffen wir Gott. Unser Ziel ist ein immer werdendes Ziel, zu dem wir tatkräftig aufschauen. Tatenloses Aufschauen zu einer unnahbaren Vollkommenheit macht unser Leben bedeutungslos, unmoralisch, würdelos. Leben ist strebende Bewegung, die schmerzen muß, da sie Widerstände zu überwinden hat. Doch alles Leben ist Entwicklung— ist Empfindung,
schludert und unfein. Daß d’ Albert alles kann, wenn er arbeitet, wissen wir als seine begeisterten
Zuhörer. Er würde seine Nachlässigkeit, wenn er ehrlich ist, zugeben. Daß aber die lobhudlerische Presse die Zumutung ans Publikum, diese Liederlichkeit als Kunst anzusehen, nicht nur hinnimmt, sondern d’Alberts „meisterhaftes Spiel“ in den Himmel hebt, ist grotesk. Ist denn der Kritik das letzte bischen Geist abhanden ge
kommen? Sie plappert den Allerweltsrummel nach, genießt Schund mit Vergnügen, nur weil
eine „Größe“ ihn vorsetzt. Zopf! Dann bespeichelt sie die Jungen, die tausendmal mehr Sorgfalt, Arbeit und Kunstwillen in den Konzertsaal mit
bringen, als _dieser Greis. Das isCbilliger. Von Sachkenntnis sind Rezensenten in ihren Urteil nie getrübt. (NichtkünstKr schreiben über Kunst: lächerlichstes Affentheater; der* Kathederweisheit!) Ich hörte wenige Tage später Télemaque Lambrino denselben „Carnaval“ herrlich spielen: Kunst, Er
lebnis, Feinheit, Vornehmheit und — Jugend. Der Kontrast war schlagend — d’Albert war also Schund. So unsere Kritik.
Aber noch mehr. „Seeschlacht“ von Goering. Vielleicht haben die Herren Kritiker den „Sohn“ von Hasendever mit Erfolg gelesen. Ich glaube es nicht. Sie maßregeln schon wieder, boshafte Greise (und ausgetrocknet für Kunst-Geist).
Es gibt einen, der folgendes schrieb („Dresdn. Anzeiger“, 12. 2. 18): „Wir stellen in einer Zeit wie dieser nationale Gesichtspunke über rein aesthetische.“ Also? Ich sperre den Grund
satz des Kritikers! Das ist kümmerliche Kritik! O die kümmerliche Armut an’ Freiheit nnd Ein
sicht! Trockne er immerhin ein, er ist alt genug dazu. Wie kann denn einer von Schlacht urteilen, der sie nie sah? Pfui Deubel.
Ich sehe voraus, daß er, der kümmerliche Kritiker, das persönlich nimmt. Darauf freue ich mich. Ich liebe erboste Greise, quittegelb vor Aerger. (Das ist eben meine Privatsache.) Ich liebe es, wenn die Kritiker dann zur Keule Un
sachlichkeit greifen, um mit unmenschlicher Rachsucht das zu vernichten, was fester steht als sie und dabei die Balance verlieren. Ich sehe ihn schon mit Steinen werfen. Der Graf Seebach fand seinerzeit, wenn auch in anderem Sinne das ein
zig passende Wort: „Unerhörte Anmaßung!“ für diese Kritik, die für den Denkenden „gleichgiltig“
sein muß. O, wenn es doch Menschen wären! Der Mensch kennt seine Grenze (d. h. in der der Kritik; er ist sachlich! Er betet nicht nach [d’Albert]. Er redet nicht von Dingen, von denen er nichts verstehen kann [Seeschlacht], weil er zu alt ist für die Zukunft.
Bis jetzt haben die Alten sich noch immer blamiert. Wir mißachten diese Generation (elendeste von 2 Jahrhunderten) weil sie nichts für die Mensch
heit leistete. (Die Großen sind ja heute noch jung mit uns!!) Abervergeben wir ihnen, denn siewissen nicht, was sie wollen!


Die AKTION.


WIR haben der AKTION (8 Jahre alt!) Zusammenarbeit angeboten. Wir haben Ihr einen Anzeigenraum (auch kostenfrei!) zur Verfügung gestellt. Wir hatten Herrn Pfemfert um Abdruck
erlaubnis von Gedichten und um Zusendung der Annonce gebeten, unter Hinweis darauf, daß die MENSCHEN von 1918 (!) auf ihn (trotz allem noch) Wert (einen gewissen) legen. Im Hinblick auf seine (sich) aufopfernde Tätigkeit für die (sog.) gute Sache haben wir ihm das Schreiben erspart. Schreibt nur Karten) — Schweigen sollte Einverständnis sein.-. Er schwieg.
Nun geifert er plötzlich. (Auf offenen Karten, formlos!) Er hätte von nichts gewußt (nein!) und wollte nichts von uns wissen etc. (Verlangt öffentliche Konstatierung, der Herr !)
die sich bedeuten will. Entwicklung bedeutet Ueberwindung alles Unvollkommenen, Bedeutungslosen, Unsinnigen in der Welt. — Ist aber „Gott“
Leben, so ist Gott nicht außer, sondern in der Welt. Nicht Hoffnungslosigkeit alles Strebens ist der Sinn einer in Verwandlung begriffenen Welt, sondern Erfüllung durch Ueberwindung. Wer dem Gottesbegriff erlegen, der ist der Ueber
windung unfähig. Denn Ueberwindung ist die lebendige Wirkung Gottes. Und Wirkung Gottes wollen wir. Darum lassen wir uns nicht von der Bahn der schöpferischen Entwicklung, vom Leben der Tat durch ein despotives Ideal unnahbarer Vollkommenheit abdrängen und vergewaltigen.
Wir wollen leben: wollen uns der Bedeutung unseres Daseins und der Welt bewußt sein. Da
rin ist unsere Frömmigkeit. Wir wollen die Freiheit unseres religiösen Bewußtseins in der Welt verwirklichen — wollen schaffende Menschen sein. Der Wert des Universums sei unser Spiegelbild. Aber wir sind es, die diesen Wert ver
wirklichen auf Grund unseres Glaubens. Wir wollen die Verwirklichung des höchsten Wortes durch uns: wir wollen die Wirklichkeit Gottes.
Nein, WIR wollen mit einem solchen Manne (Gesichtskreis 8 Jahre alt) nichts zu tun haben — trotz allem.


Die schöne Rarität


Eine Monatsschrift herausgegeben von
Gerhard Ausleger, Kiel.
Zuletzt erschien 2. Jahrgang, 1. Heft, April 1918.
(Seit Juli 1917 ist monatlich ein Heft im Umfang ron 3f‘ Seiten erschienen. Das erste Vierteljahr (Heft 1—3) ist vergriffen. —
Bezugspreis : vierteljährlich 2,50 Mk , Binzeiheft 1,— Mk.
Verlag direkt oder Buchhandel.)
In diesen Heften ist alles Klang: nackte Seele breitet sich vor Auge und Ohr — still, tappt
nicht mit euren Füßen dazwischen. Bei aller Zartheit verschwimmt keine Kontur, kein nebu
löses Gebilde spreizt sich selbstbespiegelnd über Zeilen: du kannst zugreifen — und wirst glitzerndes Kristall in Händen halten, oft kantig ge
schliffenen Stein, fast stets mehr, als der Name besagt „Die schöne Rarität“ (Literaturausgrabungen, die in mehr als einem Sinne mystisch, ausgenommen; weshalb das?!)
Aus der großen Zahl der Mitarbeiter (mehr als ein halbes Hundert) sollen die genannt werden,
denen ich die stärksten Eindrücke danke (nicht die bekanntesten): Gerhard Ausleger, Petr Bezruc, Bess Brenck Kalischer (mit Charakteristischem vor allem in den vergriffenen ersten drei Heften), Max Brod, Dietrich, Rudolf Fuchs, Else Lasker- Schüler, Rudolf Leonhard, Paul Leppin, Mynona, Walter Rheiner, Gustav Sack f, Alfred Wolfen
stein und Arnold Zweig; im graphischen Teil: Lothar Homeyer, Ludwig Meidner und Felixmüller.
Als Gesamtergebnis bleibt: eine Zeitschrift, die wie keine zweite vor allem die Lyrik in Prosa und Gedicht unseres Zeitpunkts wiedergibt.


Dietrich, Passion.


Verlag „Die schöne Rarität“, Kiel.
Ein Gedichtszyklus bäumt sich auf, dessen Anklage zu erschütternd ist, als daß man die Form bemängeln dürfte. Aus wenig Seiten wächst Kampf und Krampf einer Jugend stark genug, um die Anmaßung des Titels zurückzuweisen: der Passion gehen die Jahre der Lehre, des Wirkens und der Wunder voraus; liegt die wirklich schon hinter Dietrich?


1918


Neue Blätter für Kunst und Dichtung,
herausgegeben von Hugo Zehder, Dresden.
Das erste Heft Mai 1918, erschien soeben.
Zu beziehen vom Verlag Emil Richter, Dresden, Pragerstrasse 13, oder durch den Buchhandel halbjährlich Mk. 9,—, Einzelheft Mk. 3,—.
Eine jüngste Monatsschrift, Beiträge größter Buntheit, das Außere einwandfrei, sehr .Kunstblatt“ und sehr sorg
fältig für eine Manifestation der Generation von 1918
(was doch der Titel will). Die Mitarbeiter vorerst Däubler, Otten, Kokoschka, Mynona, Dietrich, aber auch Wolfenstein, Bel me — und Paul Klee.
Man will hier Bestes, das wollen wir kameradlich anerkennen. Endlich einmal eklektische Stellungnahme, und, wie wir hoffen, Geschmack (der heute bitter not tut). Jedenfalls eine Errettung neuer Kunst aus unsauberer Berliner Vorortblättchenmache.


MENSCHEN.


Unser Flugblatt wuchs sich organisch zur Monatsschrift aus. Die ersten drei Nummern sind nunmehr nahezu vergriffen.
Unsere Mitarbeiter bisher: Bess Brenck-Kalischer, Dietrich, Richard Fischer, Oskar Maria Graf, Alfred Günther, Fe ixmüUer, Mynona, Walter Rheiner, Heinar Schilling, Felix Stiemer, Eugen Styx, Anton Walten.
Die erste Nummer (15. Januar) diente dem Aufruf und der Propaganda, die zweite (15. März) warb für Felixmüller, die dritte (15. Mai) gilt den Literarischen unseres gründenden Kreises. Die heutige zeigt Prinzipielles in unserer Stellung zur neuen Kunst und zu deren bisher alleinigen Intrepreten. Die nächste Nummer wird neuer Graphik gehören.


KRITIK.


Druck: E. Abendroth, Eies», Copyright 191S by Felix Stiemer Verlag, Dresden.