15. Juli 1918. — Nr. 5.




MONATSSCHRIFT FÜR NEUE KUNST




Jüngste Literatur — Graphik — Musik — Kritik


Herausgegeben von Felix Stiemer (verantwortlich für den gesamten Inhalt),
Freiburg i. B., Schwarzwaldstraße 29.
Schriftleitung: Heinar Schilling, Dresden-A., Robert Kcchstraße 9.
Die Zeitschrift erscheint am 15., Redaktionsschluß am 1. jeden Monats. Bezug direkt vom Verlag oder durch die Buchhandlungen. Abonnement 1918 (10 Nummern) Mk. 5,50, Nr. 6—10 Mk. 2,—. Einzelnummer Mk. 0,50 (zuzüglich Porto bez. Bestellgeld).
Einsendungen nur an den Verlag, Abteilung „Menschen“. —
Rücksendung unverlangter Manuskripte nur bei genügendem Rüdeporto.
Die Monatsschrift „MENSCHEN“ ist als Flugblatt Ausdruck von Dichtern, Literaten, Malern und Musikern, denen Kunst ein Mittel zur Änderung des Menschen und Ruf zur Einung und Sammlung bedeutet. Von der Fixierung unseres Lebensgefühls, das man heute mit dem Worte EXPRESSIONISMUS bezeichnet, bis zur legten Konsequenz, der Tat, enthält diese Folge vor
wiegend Beiträge, denen Cliquentum und Radikalismus bisher den Weg versperrten. Verbunden mit den uns nahestehenden der älteren Generation, die wir als Voraussetzung unseres Handelns erkennen, hoffen wir auf die Propaganda derer, die ihrerseits in uns Jungen die Vollender (nidit die
Vollendeten) sehen.


FELIX STIEMER VERLAG, DRESDEN


Bankkonto:
Mitteldeutsche Privatbank, Dresden.


Dresden-A. 20.


Auslieferung Leipzig: Robert Hoffmann. Kommissionsbuchhdlg., Querstr. 21/23


Gurt Saemann




Menagerie-Varianten.


Da stehn sie schwarz an Pulten und Gestellen Und angeln in den alten Tintenfässern
Nach spitzen Gründen und dem Ding an sich. Westlicher Weisheit scharfgeschliffne Kiele, Die reiten sie wie wohlerzogne Mähren
Und spießen mit den Köpfen schmal und spitz Die Sterne auf und rennen sie zuweilen
Dem lieben Gott in den geschundnen Bauch. Sie kriegen Kinder, werden Onkels, Tanten, Und glauben, daß sie Kathedralen türmen
Aus Ankersteinbaukasten. Bis sie eines Tags Mit stieren Augen vor den Höhen stammeln, Wo ungeheuere Gespenster ziehn.
Dann kommt die nächste Generation. Und riesig
schleicht die Seuche Des Aristoteles von Mensch zu Mensch.
Da will ich lieber durch die Städte laufen, In Zirkusse und lust’ge Varietés.
Wo Säufer irre Rapsodien brüllen,
Verrückte Heilige auf Händen stehn, In Kintops oder in Menagerien,
In Straßenknäule, wo Motore fauchen, Und Menschen (abendlich) wie Grizleybären Auf allen Vieren kollern in die Nacht.
Ein Klumpen rollt von Clowns in die Manegen, Der ob der eignen Dummheit lustig brüllt. Auf einmal stürzen Biester, furchtbar wild
— O Löwen, Tiger — hin auf allen Wegen. Da hebt ein schrecklich Zähnefletschen an.
Die Menge flieht mit angstgepreßten Kehlen.
(Der Vorhang fällt und steigt dazwischen stets
im Takt)
Dann kommt die Attraktion: Der letzte Akt! Ein Beckenschlag! Die Strähnen, Mähnen, Zähne, Die wilden Raubtieraugen fallen ab.
Revolver, Flinten werden schnell entladen (Da zeigt sich’s auch, das Pulver war zu knapp). Die Clowns umarmen die entpuppten Kameraden. Wie lustig zeigt sich die Erkennungsszene! Von allen Plätzen donnert der Applaus
Und jeder zieht befriedigt da nach Haus. Die Junggesellen nach den Tanzlokalen, Die Philosophen aber nach Ideen,
Und die Gelehrten saufen Tintenfässer, Ganz ungeheuere, wie Streusand auf. Und an den Ecken stehn Pazifisten
Mit Regenschirmen und geschwungnen Manifesten, Hochzeitszylindern und geblümten Westen.
Inzwischen spulen sich die Offensiven Voll Präzision wie Henkerseile ab.
Postscheck-Konto: Leipzig Nr. 33016.