Kurt Bock
Mit einem Versbande.
Lieber,
hülle dich in junge Farben zersehnter Stunden, nackte Verlassenheit sei dein gütiger Schmerz, und wandre, weit dem Staub deiner Abende.
Siehe, da breiten sich dir Märchen der Wälder, Kühle schmiegt sich dem fiebernden Fuß,
nächtige Qual der Bewußtheit senkt Weihe.
Ururalt lauschtst du, der ewig Kommende, kreisende Rätsel öffnen der Welten Mund:
Frohlocke du! Die Stimme des Dunklen nahet dir.
Fremd den Taten und Tagen, Sinnen abhold harft sie, tropft aus den Sonnenherzen,
quillt von Gipfeln, entbindet dem Erdschoß sich. Laute, menschlich nie geknüpft, Ahnen
inbrünstiger Nacht, vermählen sich deinem gläubigen Suchen,
Kelch deiner Seele bebt in trunkenem Duft.
Worte, zitternd vor Sinn, künden laut’re Hingabe, Ausbruch lebendigen Glanzes, aller Himmel
Wesenheit,
begnaden deine Demut mit Verlöbnis und Erfüllung.
Den schattenden Mohngärten entträgt dich Licht, hellwach leuchten die Augen deiner Kraft,
denn dir wurde Gottessegen der All-Einheit.
Himmelan, Fanall
Grenzende Gräben, die bleckenden Haß schrieen, sind nun lösende Liebe und Pfad,
blutende Scholle, hüllende Mutter einst undZuflucht, taut Blütentränen auf der Söhne
Schlaf und anklagende Wundmale.
Aus der jäh unsäglichen Stille,
dem wie stockenden Atem des Raumes hebt sich heller Ruf der Befreiung. Frührot sammelt den festen Griff lebendiger Fäuste zum Werk.
Auf das schwarze Herzblut der Jahrhunderte, über den Prunk, den gepeitschte Wut zerschliß, wälzen sich Felsen kleiner Selbstsucht, Nachtfetzen hilfloser Einsamkeit,
Scheiter und Schutt aus zerkrampftem Leid, dornige Mauern der Fühllosen:
Zerfetzte Hände richten die Pflicht auf, das grüne Banner der All—Güte, — Vielheit werde Fülle Einen Willens!
Der wandernde Mittag
segnet vom göttlichen Zenith herab
Feuer des Werdens, Gleichnis des Herd-Friedens.
Es entrecke sich den Schleiern
des Vergessens, die letztes Grauen bergen, das heilige Fanal einender Menschlichkeit! Aus hilfreicher Tat der Wenigen locke der leuchtende Geist.
Und auf dem wolkenumsäumten Gipfel hebt strahlende Nacktheit sich fordernd gen Gott.
Hans Bauer
Bestattung.
Auf la fille morte fiel in der Pfingstnacht ein Mann, Die Sterne haben strahlend auf ihn geschienen und sahen ihn wie seiner Mutter Augen an.
Vom „toten Mann“ her stöhnten herstende Minen.
Des Toten Blut hat die kalte Erde verkühlt. Dann ist eine Granate an ihm zersprungen
und hat ihn tief in den Boden hineingewühlt.
Millionen Gewehre haben ihm den Salut gesungen.
Aus Gott er kam, zu Gott er nun wieder verschied und ist ein Deutscher oder ein Franzose gewesen. Am neuen Morgen sang ein Vogel ein schlichtes
Lied, Da war er wohl schon zum ewigen Leben genesen.
Bestärkung.
Durchwühlt von bangen Fragen
Marschieren wir in schwerem Schritt. Ein fernes Rollen schreitet mit,
Als würd’ ein Kreuz geschlagen.
Das nachthell übersternte
Gezelt des Himmels brennt und loht. Wir fühlen uns wie Saat vorm Tod, Die unreif ist zur Ernte.
Da schrickts durch Nacht und Sorgen Wie heißer Mut von Mann zu Mann. Da springt uns neu ein Glaube an: Wir sind das Volk von morgen.
In Sturm und Todgegrolle
Verbläst uns doch kein Sterbewind, Weil wir nicht Saat und Blüte sind, Nein, Grund und Ackerscholle.
Originalholzschnitt von Felixmüller zu „Exaltationen meiner Seele“.
Olga von Adelung
Die Wahrheit.
Aus dem Russischen des Alexis Tolstoi.
Hei Wahrheit, Mütterchen Wahrheit du, Groß stehst du, Wahrheit, groß und weit!
Mit den Bergen erhebst in die Lüfte du dich, Mit den Steppen dehnest du, Herrin, dich weit, Mit den Meeren, den blauen, strömest du hin, Du schmückst dich mit Städten, volkesreich,
Bist bewachsen mit Wäldern, dicht und grün ; Dich umreitet man nicht in hundert Jahren,
Blickt man an dir hinauf, fällt die Mütze vom Kopf!
Es ritten einst sieben Brüder aus,
Sieben wack’re Burschen ritten dahin, Sie ritten aus, die Wahrheit zu sehn,
Wie sie draußen ist, in der weiten Welt; Gar viel ist von ihr geredet worden,
Gar viel ist von ihr geschrieben worden — Gar viel ist von ihr gelogen worden.
Und die braven Burschen jagten dahin, Die sieben Brüder, die kühnen alle;
Und von sieben Seiten rittten sie hin,
Und die Wahrheit von sieben Seiten sie sahn.
Und es blickten die braven Jungen sie an, Und die klugen Köpfe schüttelten sie Und kehrten heim in ihr Vaterland. Und heimgekehrt in ihr Vaterland Erzählte jeder auf seine Art:
Der nannte die Wahrheit einen hohen Berg, Der nannte sie eine reiche Stadt,
Der ein Meer — einen Wald — eine Steppe weit. Da stritten die Brüder unter sich
Und zogen die Schwerter von blankem Stahl Und schlugen einander bis auf den Tod.
Und im Kämpfen schalten und schmähten sie sich, Und einer den anderen Betrüger hieß. Am Ende da lagen sie alle tot,
Die tapferen sieben Brüder alle;
Doch im Sterben hat jeder den Sohn gelehrt, Zu kämpfen gelehrt bis in den Tod
Für die Wahrheit, für die wahrhaftige.
Und dasselbe lehrte der Sohn seinen Sohn, Und bis heute schlagen die Enkel sich Um die Wahrheit, um die wahrhaftige ; Zur eig’nen Zerstörung kämpfen sie.
Dies Gleichnis, es soll nicht als Tadel gesagt sein, Nicht als Vorwurf, nein, als Belehrung gesagt sein, Zur Verständigung braven Leuten gesagt sein.
Jo Hanns Rösler Tod des Täufers.
Vergebens befahl der Kaiser, Johannes zu töten. — Niemand getraute sich. — Eines Tags hat sich ein Mutiger gefunden. — Als Johannes ihn sieht, wundert er sich über das Kindergesicht.
— Er will milde zu ihm sein. — Da wirft ihm der Söldner das Schwert zu Füßen. — „Töte dich selbst!“ — Die Stimme, wo hat er sie gehört?
— Dieser dünne, feine Ton, gegen den es nicht Widerspruch gibt. — Diese Glassplittervokale. — Aber er kann sich nicht besinnen, seine Gedanken springen übereinander weg. — Spielen Kreuzhasch und können einander nicht erjagen. — „Töte dich selbst!“ — Johannes blickt auf. — Erstarrt frierend. — Salome nackend. — Nur die Füße bekleidet, Samt, Sandalen. - Das Tanzspiel eines grünleichten Schleiers über den Hüften. — Jo
hannes fühlt das Tier in sich. — Er weiß: wenn es aufkommt, bin ich verloren. — Mit vorge
strecktem Kopf steht er da. — Gelben Schaum auf blutigen Lippen. — Die Hände mit gespreiz
ten Fingern weit nach hinten. — Aber er wagt sich nicht vor. — Starrt. — Reißt hastig das Schwert an sich. — Schwingt es im Kreise. —
Hört es singen. — Schlägt sich den Kopf ab. — Und reicht ihn Salome.
[Aus: Jeae, ein Phantastenroman ]
H. Phil
Sawienko.
Er konnte nichts dafür, daß er gefangen worden war. Kein Mensch konnte ihm Feigheit oder Ungehorsam vorwerfen, weder Freund noch Heind. Verschüttet war er worden und wachte dann wieder auf in einem Bad und zum zweiten Male in einem weißen Lazarett. Eben dieses zweite Mal hatte er zunächst gedacht, er wäre gestorben und im Himmel, und die Schwestern in den weißen Kitteln wären lauter Engel. Aber als er dann wieder ganz bei Sinnen war und furchtbar viel gegessen hatte, fing er an zu lachen, so derb und herzlich, daß alle Himmelsschwestem mitlachen mußten. Der Herr Doktor lachte auch, gab ihm einen Schlag auf die Schulter und sagte: „Steh auf, du putziger Kerl, pumperlgesund bist!“
Das war die erste Erinnerung, die Sawienko von seiner Gefangenschaft hatte. Und von da datierte er ein ganz neues Leben, das gar nicht mehr in Zusammenhang stand mit seinem früheren, am allerwenigsten aber mit seiner Soldaten
zeit, die doch auch beinah ein Jahr gedauert hatte. Vom Lazarett kam er mit 13 anderen nach T. . . . Hier trat nun ein ganz Seltsames, ganz Neues in sein Leben, — das Denken. Das Leben war nun Arbeiten, Essen, Schlafen und Denken.
Ganz von selbst kam es ihm, ohne das es ihn irgend jemand gelehrt hätte, wie die einfache Gartenarbeit etwa, mit der er beschäftigt wurde.
Auch von den Gefährten kam ihm das nicht, denn er war fast immer allein. Die anderen hatten viel schwerere Arbeit im Steinbruch. Sawienko aber, dem doch vielleicht etwas Undefinier
bares zurückgeblieben war, versorgte den Garten und die Gemüsebeete, die dem Steinbruchbesitzer gehörten.
ln einer wundervollen Mittelgebirgslandschaft lag die Besitzung; und Sawienko hielt oft inne bei seiner Arbeit und betrachtete mit andachts
vollem Staunen die wundersam feinen Linien der Berglandschaft — so lange, bis er vom Ober
gärtner einen derben Stoß bekam. Dann grub er weiter um. Das Stöße-kriegen fand er ganz richtig. Warum war er ein solcher Esel? Warum guckte er die Berge so an? Hatte er sich zu Hause etwa je umgeguckt? Nie. Jetzt fiel ihm das auf, und oft stellte er sich träumend die heimatliche, ebene Landschaft wieder vor, die er sich in all den Jahren seiner Jugend niemals be
wußt angesehen hatte. Mit der Erinnerung kam Sehnsucht, eine weiche, müde, traumverlorene Sehnsucht. Wenn einmal Frieden wär, dann würde auch er heimkehren natürlich, zur Katja und zur Mufter und den Brüdern, und dann, hier setzte wieder das Seltsame ein, würde er bestimmt eine noch viel größere Sehnsucht haben nach den Bergen hier. Das stand ihm felsenfest.
Der Steinbruch lag in Böhmen, und es ward dem Sawienko nicht schwer, sich mit der tschechisch redenden Bevölkerung zu verständigen. Um so
mehr zergrübelte er sich den Kopf darüber, wie so die Menschen hier anders waren, nicht jeder für sich, aber gegeneinander. Natürlich gab es hier auch Männer und Weiber, Herren und Knechte. Die Frau des Steinbruchsbesitzers lebte in einer Villa. Es war eine wunderschöne Frau in tiefer Trauer, die täglich ihren Garten um wandelte, jedes Kräutlein, jeden Baum und Strauch kannte und zu jedermann mit ihren lieben sanften, ernsten Stimme sprach. „Wie eine Mutter Gottes,“ meinte Sawienko und betete sie an. Wenn sie zu ihm trat, wollte er immer in die Knie sinken und den Saum ihres Kleides küssen.
Dann war da Anninka, die Köchin, die ihm immer etwas Gutes gab, wenn er Gemüse oder Obst in die Villa zu tragen hatte. Immer lachte sie leise und zeigte die schönsten Zähne und gab ihm ungebeten mal ein Stück Butterbrot oder einen Bratapfel oder einen Pflaumenknödel, der etwa von der Herrschaftstafel übrig war. Dann war da das Töchterlein des Hauses, ein wunder
süßes, lustiges Ding, von fünf Jahren und die Frau des Werkfühfers, bei der Sawienko wohnte. Sie war über fünfzig Jahre alt, immer sauber, immer gekämmt, nie barfuß und nie in der Nacht
jacke. Das wunderte den Sawienko unsagbar. Sie sprach nur Deutsch und war still, arbeitsam und mütterlich zu jedem. Und alle nannten sie eine arme Frau. Sie war auch nie heiter, immer bleich und aß unbeschreiblich wenig, wie es dem Sawienko vorkam. Und warum, fragte er sich oft, nannte man sie eine arme Frau, eine, die immer genug hat, immer sauber ist und keine Prügel kriegt? Ueberhaupt fast niemand kriegte Prügel außer den Gefangenen und auch die nur, wenn sie sehr faul waren. Dann bekam auch Sawienko welche vom russischen Aufseher. Aber die Prügel waren nicht schlimm und das Faulsein so himmlisch schön. Da konnte man denken.