„Tätiger Geist.“
Zweites der Ziel - Jahrbücher herausgegeben von KurtHiller. Doppelband 1917 18. Mitarbeiter: Friedrich Bauermeister, Hans Blüher, Max Brod,
Frederik van Eeden, Salomo Friedländer, Hellmut von Gerlach, Otto Ernst Hesse, Kurt Hiller, Rudolf Kayser, Hermann Kesser, Alfred Kurella, Berta Lask, Alfred Lemm, Rudolf Leonhard, Heinrich Mann, Richard Mattheus, Leo Matthias, Hans
Natonek, Ludwig Rubiner, Helene Stöcker, Frank Thiess, Johannes M. Verweyen, Carl Maria Weber,
Felix Weltsch, Franz Werfel, Gustav Wyneken. Der Neue Geist Verlag 1918.
Zur Diskussion über dies Werk sei nur zugelassen, wer es bejaht. Wer erkennt, daß hier über das Wesentliche unseres Augenblicks ent
schieden wird; wer die Verantwortlichkeit an sich weiß, die das Buch diktiert, durch die es zum Wendepunkt jedes werden muß, der sich mit ihm in- und auseinander setzt. Wer freundlich loyal referieren will, wie es bei der ersten Folgefgeschah: »Sturm und Drang muß gehört werden“, »sympathische Stimmen werden laut“ und so fort — der bleibe diesmal von vorn herein fern. Er wird allzu sicher scheitern; denn Triebfeder dieser 425 Seiten ist nicht Kraftüberschuß, dem der Drucker das Ventil öffnete, sondern — keine Zeile ausgenommen — tiefstes Leiden um die Gegebenheiten unseres Daseins. Jedes Wort bleibt verloren, wenn das Werk in seiner Ge
samtheit nicht a priori anerkannt wird; wem die beiden Voraussetzungen fehlen: der Wille zur Ehrfurcht (hier endlich einmal!) und zur Entscheidung. Es gibt keine Wesentlichkeiten außer
halb dieses Buches! Was nicht an eine Zeile in ihm anknüpfen kann (und viel, viel verdaut, was es nicht kann), ist belanglos.
Das gelbe Streifband mit den Worten „Jahrbuch der Aktivisten. Ihr Ziel: den Geist in den Stand der Macht setzen. Ihr Weg: Zusammen
schluß aller Geistiggerichteten“ sagt das Flachste und Mißverständlichste aus, was gesagt werden kann. Dies Jahrbuch ist weit mehr als Manifest eines einheitlich gerichteten Willens: es ist ein Entweder—Oder für den Leser wie für die Mitarbeiter. Affen des Radikalismus werden ver
schimmelte Polemiken keifen und — wie vor zwei Jahren — in triumphierendem Referat Differenzen konstatieren, um die Verbundenheit zu unterschlagen; Rundschauende andererseits, der bequemen Etikettierung wegen, nur die Ge
meinsamkeit registrieren. Das zutiefst Erregende liegt jedoch im Aufdecken der beiden Möglich
keiten, für die dem Einzelnen die Entscheidung zufällt, für jeden Aktivisten (also für den , dessen Lebenszentrum im aktiven Eingreifen liegt; jede Verengung dieses Begriffs ist zurückzuweisen).
Weder Forderungen noch Mittel Hillers und einer Zahl anderer Aktivisten sind radikal; radikal klingt nur die Formulierung, Einzelheiten: befreiende Polemiken gegen professorale Mächte,
an die sich bisher opportunistisch keiner wagte. Die Denkstruktur, die Hillers Programm trägt, ist liberal; Archie über Archie: ein neuer gesetz
gebender Staat, ein neues Henenhaus, mit ihm neue Wahlen, Abstimmungen :— und ganz hinten verkriecht sich irgendwo der Mensch. Verschont uns mit dem Einwand, diese neuen Systeme seien für den Menschen da, nicht umgekehrt (wie heute): Systeme, derart als Endziel aufgestellt wie hier, existieren stets um ihrer selbst willen, wenn sie nur erst durchgesetzt sind. Sie sind der Fluch, der uns auferlegt wurde, da wir nicht mehr an den Menschen glaubten, unsere Hilfe in anderem suchten.
Damit ist nichts gegen Organisation oder Liga als Vorläufigkeit gesagt, nichts gegen den Aktivismus, wie viele irrtümlich glauben; doch gegen einen Flügel, dessen Merkmal die Un
radikale ist (sie kommt in diesem Jahrbuch nicht allein zu Wort). Unradikal: wenn Rudolf Leon
hard die Jungen in die Parlamente ruft (wie Ernst Hierl, laut Hiller, „der Gemäßigte“ in der „Neuen Rundschau“ forderte, Oberlehrer zu werden)
— die Antwort steht in der „Freien Schulgemeinde“ : Hans Blüher, Warum wir nicht Oberlehrer werden können, und in der „Neuen Hoch
schule“ 12. März: Alfred Kurella: Der Versuch. Unradikal: wenn Kurt Hiller (außerhalb des „Ziel“) im „Berliner Börsercourier“ Alfred Kerr auffordert, der aktivistischen Bewegung an die Spitze zu treten (wir haben vielleicht Recht und Pflicht, Kerrs allzubekannte Gottliebentgleisungen totzu
schweigen, obwohl er nie widerrief, Zwischenrufen sogar metaphysisch begründend zu antworten versuchte; doch ihn denen als Führer zu rufen, die Freiheit und Kopf im Kampf gegen solchen
Rummel riskierten, weil sein Alter Gelegenheit zur Gratulation für frühere Verdienste bot . . . . das, Kurt Hiller, empört — gegen Dich und ihn.) Doch wozu Symptome liberalen Denkens notieren, da.es Hiller selbst am deutlichsten zeigt, wenn
er versichert, daß „ein Weltfriedensbund, hinter dem Zwangsgewalt stünde“, ein „Fortschritt“ sei (Tätiger Geist S. 34 Anm. 7). Das ganze Elend restlichen Denkens steht in diesen Worten, die unselige Polizeigläubigkeit. Nein, Kurt Hiller, solange nicht der Mensch, jeder Einzelne, von der Ueberzeugung durchdrungen, daß dies ein Wahnsinn, sind wir keinen Schritt, keinen einzigen vorwärtsgekommen. Zu diesem wirklichen Ziel führt uns keine Reformierung, die die alten Institutionsformen bestehen läßt oder gar wieder
holt, um optimistisch neue Inhalte zu erhoffen. Das Geschwür sitzt viel tiefer: die alten Formen
— und das sind Herrenhaus etc. — bedingen eben die alten Inhalte. Es wirkt fast komisch, im Jahrfünft der Kriegsanleihen, Metallsammlungen usw. zu behaupten, wir lebten in der Anarchie; nein, Stigma dieser unserer Zeit.ist eben größt
möglichste Vervollkommnung der Archie —
und Neuer Geist kann nur durch die Aufhebung dieses Prinzips wirken, oder nie. Mögen die
Wege dazu durch Nacht und Dunkel gehen — ihr Grauen wird uns desto sicherer davor hüten, Präliminarien als- Fortschritt zu nehmen. Sie werden es für den Historiker, der am Endziel die Ereignisreihe überblickt; sie sind nichts als
eine gleichgültige Veränderung, wenn das Ziel nicht erreicht wird: die Schöpfung des Menschen.
Der Schöpfung des Menschen dient die Einführung des sechsstündigen Arbeitstages — leicht können wir uns auf politische Einzelziele einigen, die fanatisch erfochten werden müssen — doch ihr dient auch die Kunst: Hüler’s Sammlung „Der Kondor“ wie das Werk Felixmüller: beides ein Schrei in unsere so fabelhaft geordnete Welt.
Schreie zertrennen die Fesseln unserer Füße; allen rufen wir es, deren Worte unser Herz trafen. Dürfen wir — neben Kurt Hiller, der dies Ge
dankenmonument erbaut — von sechsundzwanzig Namen einen besonders nennen, da alle aus
nahmslos weg- und zielweisend sind ? Vielleicht doch; einen, der, durch seine Form mir persön
lich, ein neuer Ruf zum Menschen werde: Frau Berta Lask, wir kommen!
Max Herrmann:
Empörung, Andacht, Ewigkeit.
Gedichte.
Kurt Wolff Verlag, Leipzig. Bücherei ,Der Jüngste Tag“ 49.
Max Herrmanns neues Gedichtbuch ist sicherlich eines der besten des „Jüngsten Tag“. Ein tief innerliches, ab
seitiges, von Ding, Stadt, Mensch angefeindetes, sich in seiner Zartheit (die doch so fest und unerschütterlich ist) bedroht fühlendes Dasein entschleiert sich zögernd in Liedern und Gedichten von einer wunderbaren Melodie
und Einfachheit. Die unmittelbare Inbrust, die sich an Gott wie an das Herz des heimgegangenen Vaters und an das der geliebten Frau, an den schmerzlich gesuchten Mitmenschen in leisen Strophen wendet, erhebt sich so
aufrichtig und ohne jeden „künstlerischen Umwég“, daß dem Leser, der sich ihr hingibt, Tränen aufsteigen aus solch ungemeinen Erleben. Mit Dank für den Dichter sei das Buch warm allen denen empfohlen, die legte Aufrichtigkeit und Rauschlosigkeit im Erlebnis fordern.
Walter Rheiner (Berlin).
MENSCHEN.
Literarische Mitarbeiter: Olga v. Adelung, Hans Bauer, Bess Brenck-Kalischer, Kurt Bock, Dietrich, Richard Fischer, Oskar Maria Graf, Alfred Günther, Felixmüller, Mynona,
H. Thil, Walter Rheiner, Jo Hanns Rösler, Curt Saemann, Heinar Schilling, Felix Stiemer, Eugen Styx, Anton Walten.
Graphische Mitarbeiter: César Klein, Felixmüller, Arnold Schmidt-Niechciol, Georg Tappert.
Die erste Nummer (15. Januar) diente dem Aufruf und der Propaganda, die zweite (15. März) warb für Felixmüller, die dritte (15. Mai) gilt den Literarischen unseres gründenden Kreises. Nr. 4 zeigte Prinzipielles in unserer Stellung zur neuen Kunst und zu deren bisher alleinigen Intrepreten, Nr. 5 gehört neuer Mitarbeit.
Die legten Exemplare der ersten drei Nummern sind nur noch zu erhöhtem Preise von Mk. 3,— zu be
ziehen, das Abonnement kostet für Nr! 6—10 Mk. 2.—, für Nr. 4—10 Mk. 2,80, für Nr. 1—10 Mk. 5,50 zuzüglich Bestellgeld.
Drmek: B. Abendroth, Riesa. Copyright 1918 by Felix Stiemer Verleg, Dresden.
Originalschnitt von Georg Tappert.