15. August 1918. — Nr. 6.




MONATSSCHRIFT FÜR NEUE KUNST




Jüngste Literatur — Graphik — Musik — Kritik


Herausgegeben von Felix Stiemer (verantwortlich für den gesamten Inhalt), Freiburg i. B., Schwarzwaldstraße 29.
Schriftleitung:
Lyrik und Szene: Walter Rheiner, Berlin-Weißensee, Lindenplag 1
den übrigen Teil: Felix Stiemer, Freiburg i. Br., Schwarzwaldstr. 29. Einsendungen nur an Obengenannte direkt.
Die Zeitschrift erscheint am 15., Redaktionsschluß am 1. jeden Monats. Bezug direkt vom Verlag oder durch die Buchhandlungen. Abonnement 1918 (10 Nummern) Mk. 5,80, Nr. 6—10 Mk. 2,—.
Einzelnummer Mk. 0,50 (zuzüglich Porto bez. Bestellgeld).
Rücksendung unverlangter Manuskripte nur bei genügendem Rückporto.
Die Monatsschrift „MENSCHEN“ ist als Flugblatt Ausdruck von Dichtern, Literaten, Malern und Musikern, denen Kunst ein Mittel zur Änderung des Menschen und Ruf zur Einung und Sammlung bedeutet. Von der Fixierung unseres Lebensgefühls, das man heute mit dem Worte EXPRESSIONISMUS bezeichnet, bis zur lebten Konsequenz, der Tat, enthält diese Folge vor
wiegend Beiträge, denen Cliquentum und Radikalismus bisher den Weg versperrten. Verbunden mit den uns nahestehenden der älteren Generation, die wir als Voraussetzung unseres Handelns erkennen, hoffen wir auf die Propaganda derer, die ihrerseits in uns Jungen die Vollender (nicht die
Vollendeten) sehen.


FELIX STIEMER VERLAG, DRESDEN


Bankkonto:
Mitteldeutsche Privatbank, Dresden.


Dresden-A. 20.


Auslieferung Leipzig: Robert Hoffmann. Kommissionsbuchhdlg., Querstr. 21/23.


Walter Rheiner




Näher, mein Bruder zu dir!


I.
In blauen Schlaf unendlich hingeglitten, dehnt sich der Seele wunderbares Land.
Ein Stern und Engel leuchtest du inmitten, mein Mitmensch! ferne mir und unbekannt.
Ich kenn dich nicht. Und doch steht deine Schöne in meiner Träume Gärten unerhört.
Aus Firmamenten klingst du Sphärentöne.
Dein Aug’ ist Flamme, die sich nie verzehrt.
Da unser Arm die Sonne aufwärts führte, stand ich mit dir im Kreise voller Licht; da unser Glaube Meer und Berge kürte,
waren wir Gott, an dem die Welt ausbricht!
Wir flogen Adler über unsre Wälder;
wir schwammen Fisch in der erlauchten See; unschuldig Tier wir sprangen durch die Felder; vom Himmel fielen wir, musikner Schnee.
— Nun bist du fort, und ich bin fort: ein anderer. Ich geh durch Straßen in der Stadt Berlin.
New York grüßt dich vielleicht als seinen Wanderer. . . . Am Himmel aber unsere Wolken ziehn!
Ich grüße dich, mein Mitmensch, in der Ferne. Vertraue mir! Ich denke deiner gern!
Am Morgen grüßen hell mich deine Sterne, an deinem Abend dich mein erster Stern!
II.
Klingt nicht das Wort, als wir einander lebten, das gute Wort, mein Bruder, ewig in den Sternen ? O lausch’ den guten Worten, die verschwebten! O hör’ sie klingen in des Himmels Fernen!
Der Göttermund, der warme Menschenmund, er sprach es aus, und dein Herz war getroffen! Der Erde gold’ne Türen waren offen.
Die Lüfte schwangen, und der Tag war bunt.
Da schlug die dunkle Seele Augen auf.
Blut floß von Hand in Hand, leise Musik. Aus toter Stadt, die uns umdräuend schwieg, sprang unser Weh, ach! unser Glück herauf!
O lausch’ den Worten, die uns je erblühten! O höre sie! Sie sind uns immer nah.
Und rufst du sie, so ist uns Meer und Süden und Stern und Wald und Liebe ewig da!
Postscheck-Konto: Leipzig Nr. 33016.