Heinar Schilling


Der erbaute Mensch. Ereignis einer Woche.
1
Jagt mich das Schicksal? Held oder Wille?
Frei hat der Mensch seine Schwäche gewählt.
Deine Verklärung, Sommertag
trag ich als brennende Sehnsucht im Blut. Und es ist gut,
daß mich der Zwang an mein Schicksal mahnt, weil ich erbärmlich die Ketten trage.
Nun ist nur Klage
meine gute Sehnsucht! Schon sinkt diese lichte Halle, —
frohe Menschen, Liebe, Glück und Sonne — in das Grab meines müden Wort.
Nun ist nur Klage
mein gute Sehnsucht.
Leipzig, Astoriahalle, Juli 1918
2.
O trüge ich doch
gütig und still deine unausweichliche Welle, da du mich anspringst, Verzweifeln! —
Vor fünf Tagen noch wohnte ich dankbar in der durchsonnten Helle.
Doch mein entsetztes Auge, mein Ohr gellen dies „Nein“ in die verpestete Schöpfung.
O ich trank
atmend die Fülle, des Meers berauschenden Klang. O — meine Augen jubelten höchsten Gesang, — blaue Wasser und weiße Wolken im Licht.
Nein, ich trage es nicht!
Auch euer Leid, ihr Freunde, ist mir nicht Trost. Nackt bin Ich, — Verzweiflung............
Nun schleudre Fackel mir ins Hirn! hinaus, nur hinaus aus Leichen, Blutgestank. Siehe, oben wacht mir ein gutes Gestirn Und tausend starken Wünschen in mir
weiß ich Dank.
Denn sicher führst du mich aus der entarteten Welt, du Sehnsucht nach dem Frieden meines Meers! Ich bin in tausend Kreise hingestellt,
und auch der Krieg — Peripherie— jagt schrilllend und fern im Ring vorbei. —
Nun werfe ich mich
In Farrenkräuter, dir im Schoß den Kopf, Aufbrüllend trink ich Meer — o Ruhe —
Kraft und Liebe!
Das ist Sehnsucht des Verzweifelns!
bei Süissons, Juli 1918.
3.
Die Tat wendet das Schicksal.
O teurer Bruder — noch war Schmerz dein Gesicht, da du von Horden umstellt, getrieben, von tausend Aengsten und Schrecken gepeinigt, mir nahtest.
Noch durchgellten Granaten dein Herz, Flüche,
Kolbenstoße,
da du dich hinwarfst, ermattet von brennender Scham von der Erniedrigung hingeschmissen!
O du englischer Gefangener! Mehr als ein Jahr konnte ich die Franzosen beschießen, töten,
Wache stehen.
Die Tat war Befreiung,
der Mensch erlöste mich! Frei, leicht und königlich
tönt die befreite Seele im zerstörten Leib.
Gelobt der Bruder, gelobt
die quälende Sehnsucht............
Denn nah
bin ich nun den Träumen, die
das Einzige sind, das uns steigert. War einst Entsagen
qualvollster Reichtum der Seele, so ist nun unendlich
das Hoffen, — des Tags Gewinn.
Maubeuge, Juli 1918


A. Rudolf Leinert




Terzinen der Liebe.


l.
Den alten Weg bin ich hinabgegossen. Groß hebt der Seele mächtiger Akkord.
Zeit ist nur Traum, und Uhren sind verflossen!
Da streicht, als Mantel, Dein geblümtes Wort, Laß Deine Hand mir an den Lippen schlafen, Entwandelnd Wirklichkeit am fremden Ort.
Du bist, o Freundin, meiner Stürme Hafen. Breit wächst Dein Schoß, wie güldener Brokat. Wir gleiten Sehnsucht göttlichster Seraphen!
Der Himmel ist uns wunscherfüllter Grat; Abstirbt das Leid auf seiner Sommerbläue, Fruchtschwerer Teppich in der Sterne Saat.
Geliebte Du, des sanften Lächelns Treue! Nacht ist des Blutes stillerkannte Fahrt.
Dann blüht uns Morgen ohne Schuld und Reue!
Berauschte Wolken segeln weiß und zart. Uns sind die Augen nicht mehr Heimlichkeiten, Wie Vögel, die im Abend sich gepaart.
So —: ewig werdend in verküßtem Schreiten, Gleich einem Frühling, der von Blüten rinnt; Und hoffen können, daß ein Armebreiten
Zu neuer Heimat Weiten uns gewinnt!
2.
Den Abschied läutet schon die Sonnenkeule. Wir werden sanft erwärmen unser Blut.
Der Abend lastet schwer, gleich einer Säule,
Der über buntem Perserteppich ruht.
Wir steigen jäh im Aufbruch neuer Reise
Durch Wälder, die uns freundlich sind und gut.
Und banger Sehnsucht Ringe tasten leise . . . („Von Urbeginn seid Ihr einander nah!“)
Die alten Tannen stehn wie morsche Greise
Zum letzten Kreuzgang, dem nach Golgatha. . . Nacht lockt magnetisch, die uns allen Mühen Entriß, daß Deinen Händen nichts geschah
Am lauten Tag, die jetzt im Dunkeln sprühen !
3.
Sammtsterne flüstern ihre Silberbahnen. Auf Inselgrün sind wir; am Horizont Der goldnen Ebne selig hingesonnt.
Und möchten, oft, den Mond und seine Ahnen Erkaufen für ein neues Firmament,
Darein die Fackel güldner Zukunft brennt, Uns mild vereinend mit des Tages Fahnen.
4.
Rubinensonne loht gleich wildem Fieber.
Aus Wäldern staut der kühle, blasse Wein. Und Deine zarten Hände (die sich lieber
Ins Dunkle schmiegten) fühlt mein Einsamsein. Nur selten weht ein Mensch auf heißer Straße. Wir streichen sanft im dämmernden Allein.
Und über dem Geschmeide der Oase, Von Farben satt, ein buntes Menuett
Der Schmetterlinge flammende Ekstase.
O Himmel, der als leichtbeschwingtes Bett Gefaltet ruht, viel Rätsel uns zu senden. Ein kahler Berg steilt wie ein Minarett.
Wir werden — mählich — uns zur Heimkehr
wenden.


Oskar Maria Graf




Die wunderbare Tat des Beatus Null.


(Eine Geschichte, die wahr sein könnte.)
Nicht genug, daß das ganze Stadtviertel den verbummelten Maler Beatus Null Doktor Spring
gingerl hieß, nicht genug, daß, wenn die Rede auf seine Herkunft kam, von ihm erzählt wurde, er habe die dunkle Vergangenheit eines entsprungenen Irrenhausinsassen, nicht genug endlich, daß ihn eine solche Stätte erst kürzlich infolge zweifelsfreier Verantwortlichkeit dem Gerichtsgefängnis übergab, in dem er eine ange
messene Freiheitsstrafe verbüßte und aus der er erst kaum vor vier geschlagenen Wochen entlassen wurde. Nein! Dreimal Nein!!! Die Wege solcher Menschen haben oft merkwürdige Abzweigungen und es gehört zu ihren Verdiensten, daß sie manchmal gerade durch ihre rein intuitiven, bei
nahe genial anmutenden Seitensprünge der Nachwelt oft unerhörte Perspektiven öffnen. Gerade ihre fast triebhafte Neigung zu Absonderlich
keiten in Wort und Tat, ihre bis zum Extrem gesteigerte Sucht, mit Gewalt anders zu sein als der große Teil der biederen Menschheit, liefern unabsehbare Ergötzlichkeiten und entbehren oft der ernsteren und zum Nachdenken herausfordernden Gestimmtheit nicht. —
Das Schöne an solchen Sonderlingen ist auch, daß sie mit der erst kürzlich vollbrachten Extra
vaganz, der schon in den meisten Fällen auf Haaresbreite eine andere, noch tollere folgt schnell fertig sind und oft, kaum, daß sie Vergangenheit ist, dieselbe belächeln. Solche Bescheidenheit hat manchmal sogar den Vorzug des Vorbildes.
Solches können wir auch mit unverhohlener Freude von unserem Beatus Null berichten. Wir treffen ihn eben, als er bei der Belächlung der Ursache seiner Freiheitsberaubung ist, als diese Geschichte beginnt, denn (so etwa waren seine persönlichen Auslassungen über dieses Vorkommnis) in einen auf Seine Majestät wartenden Hof
wagen einsteigen und mit mokierter Gentallüre dem verblüfften Kutscher ein gelassen-majestäti
sches: „Weiter!“ zurufen und deswegen über das Irrenhaus ins wohlverdiente Kittchen zu fliegen, das konnte schließlich bald wer. Aber sich als solch geartetes Individuum für einen skurrilen Einfall beinahe die beispiellose Popularität eines Volksbeglückers einholen, so etwas dürfte für die Verzeichnung in den Annalen der Sonderbarkeiten als würdig erachtet werden.
Und das kam so:
Beatus Null bewohnte ein ziemlich verstecktes Atelier für sich allein. Eintritt zu erlangen war nur Eingeweihten möglich. Jeder von. ihnen
hatte ein ‘anderes Zeichen und die Findigkeit Beatussens erfand eine selbstgezeichnete Skala, die am Innern der Tür angebracht war zum ständigen Gebrauch bei eventueller Erinnerungsschwäche.
So wehrte sich Null gegen Ankömmlinge, die ihm Null waren, wie da sind ein schon so und so oft dagewesener Hauswirt, ein ungeduldiger Gasmensch, eine nach allen Gangarten pfiffiger
Schuldnervertröstung eingerittene Milchfrau. — Nur solche Methode gab Gewähr für die Aufrechterhaltung einer aristokratischen Unnahbarkeit. Also —
Wir können endlich nach solchen, etwas weitschweifigen Voraussetzungen zur eigentlichen
Geschichte übergehen und beginnen dieselbe nicht ohne boshaftes Schmunzeln in Form einer kleinen alltäglichen Skizze dem allmählich unge
duldig werdenden Leser mundrecht zu machen. Sela —
Es mochte gegen elf Uhr morgens gehen. Die Glocke raspelte unaufhörlich, rrrrirrrr, wie eine surrende Säge.
Beatus Null schwitzte buchstäblich vor Verzweiflung, schwieg und schwieg. Das Gegenteil schien der unberufene Läuter im Sinne zu haben, unbeirrbar schrillte das Gekreisch der Klingel
Zum Irrsinnigwerden unbeirrbar! Xmal bäumte sich in Beatus aufwuchtende Empörung. —
Endlich rief eine ziemlich sonore Stimme von draußen: „Na, zum Teufel nochmal, bist Du denn beim lebendigen Leib verfault, Idiot verdammter!“
Dieser Ruf brachte eine unerwartete Wirkung hervor. Beatus Null schnellte hoch, wie aus jähem, alpdrückendem Traum. Ein Bekannter! —
Er rannte hemden zur Tür, öffnete verblüfft. Vor der Tür stand mit schmachtendem Ge
sicht ein Mensch von beinahe undefinierbarem Aussehen, klein, skeletthaft in Kleidern, die in ihrer hängenden, erschlafften Abgelegtheit Visionen
aus dem Leben pensionierter Professoren mit pastoralem Einschlag wachriefen. Einerseits —;
andererseits aber vermochte die ganze Auftakelung dieses lebendigen Mastes von menschlicher Figürlichkeit doch wieder geradezu in ihrer abstrusen Eigentümlichkeit den Beschauer zu bezwingen.
Hier war beinahe etwas von der Paradoxie der sich noch einmal aufrichtenden Empörung der Impotenz.-------
Wie dem nun auch sein mag, kann uns hingegen, der wir doch die Absicht haben, den ge
schehnishungrigen Leser möglichst amüsant zu unterhalten, nicht zu weiteren Ausschweifungen veranlassen. —
Beatus hatte sich allmählich von seiner Verblüffung erholt, ja, er lächelte sogar indem er, seinen beinahe vergessenen Saufkumpan Richard Notnagel erkennend, denselben mit höflicher Geste begrüßte: „Es ist einem weltverlassenen Menschen
kind, wie ich es bin, eine aufrichtige Ehre, einen so gewaltigen Patrioten als seinen Gast begrüßen zu dürfen und ich segne diese Stunde.“
„Einen Patrioten?!“ wunderte Notnagel sich und wollte eintreten.
Beatus Null aber hielt ihn mit ausgeflachter Prophetenhand zurück, seine Stirn runzelte sich und indem er auf die Fußabstreifmatte drohend zeigte, rief er: „Ich glaube doch kaum annehmen
zu dürfen, daß sich Eure patriotische Eminenz nicht die beschmutzten Füße an einem so menschenunwürdigen Heuchler, wie Sie ihn hier mit bester Farbe und anerkannter Charakteri
sierungsmeisterschaft verewigt sehen, hinzuputzen bemüssigt fühlen!“
Erstaunt besah sich Notnagel die bemalte Matte. Richtig, richtig —
Mit einem wüsten Gelächter fiel er seinem Freunde an die Brust, kopfschüttelnd, immer und
immer wiederholend: „Nein, nein, es gibt doch nichts pfiffigeres als einen Idioten, nein, nein, — ich sage Dir, in etlichen Tagen stehst Du in der Zeitung und in Wochenfrist bist Du eine aner
kannte Popularität und konkurrierst mit Deinem
Artikel mit der größten Firma des Reiches. — Nein, nein, was doch so ein Idiot für Ideen hat --- es ist beinahe zum Platzen.—“
Denn auf der Fußabstreifmatte war in haltbarster Oelfarbe das Bildnis des Sir Edward Grey. —
Und von da ab ist die Geschichte des Berühmtwerdens von Beatus Null in kurzen Sätzen erzählbar. —
Nachdem man eines Tages sämtliche Hausfußabstreifmatten so bemalt sah und die Idee mit hellem Jubel aufnahm, fand sich bald ein ge
witzigter Firmeninhaber zur Nutzbarmachung einer solchen Sache bei Beatus ein. Es wurde das Patentamt damit beunruhigt, bis ein D. R. G. M. erpreßt war. Und von da ab machte die Idee des Beatus Null seinen Weg in die Herzen aller wahrhaften Patrioten. Heute ziert jede Tür eine mit Grey geschmückte Matte und der kleine, wie der große Mann kann sein Mütchen durch nützlichstes Fußabstreifen dran kühlen. ---
Es stimmt also, was auf dem fettgedruckten Gebrauchsanweisungs- und Anpreisungsprospekt zu lesen ist: „---nicht nur, daß ein