origineller Erfinderkopf mit flammender Vaterlandsliebe hier ein allgemeines Belustigungsinstru
ment erfunden hätte, nein, dieses Genie rechnete mit der ganzen psychologischen Konstellation
unseres heldenmütigen Volkes..................... das
gerechtfertigte Empörungsgefühl verband sich hier mit einer so schön im Deutschen schlummernden, allgemeinen Reinlichkeitsregel..................so ist
dieses belustigende und äußerst nützliche Instrument die beste Illustration zu dem volkstümlich gewordenen Ruf: „Gott strafe England“ usw. . .
Aber alle Höhe hat ihren Abgrund und das läßt sich vielleicht nirgends besser anwenden als auf diese kurzen, uns erst vor Wochenfrist zuge
gangenen Meldungen aus der Schweiz über Null, die ungefähr folgenden Zusammenhang ergeben : Anscheinend berauscht von den riesigen Gewinn
summen und vor Selbstgefallsucht begab sich der Erfinder Null in die Schweiz und wollte von dort aus eine gleich beschaffene Matte mit dem Bilde S. M. in Frankreich einführen. —
Wenn nicht . . .
Und hier ist alles dem Leser selbst überlassen, der sicherlich über die ehrenhaften Gegen
bemühungen seitens der deutschen Reichsleitung durch die Presse Kenntnis erhalten haben wird. —
Das andere ist Tagesgespräch. —
„Null bleibt eben immer Null,“ soll ein naher Bekannter empört über diese Tat geäußert haben.


Dietrich


Einer.
Einer von ihnen hatte das Lachen im Nacken sitzen und konnte es nicht aus sich losspeien.
Der Kamerad da neben ihm gröhlte wie immer. So ging es seit Wochen. Marschieren und singen .... gröhlen! . . . Haha! — Ha — a?
— Und dazwischen manchmal mitten in den Karpathen stürzt irgend einem der Tod ins Ge
nick. — — Der Eine von ihnen hatte noch eine
weiße Chrysantheme an der Brust stecken. Sie schien nie welken zu wollen. Kristallisierte in der Kälte. Die anderen Blumen, die ihm Maria mitgegeben, hatte er längst verloren. — Maria . . . Aber: — .ja warum wurden sie alle mit Blumen geschmückt — damals beim Abschied? Damals
— in der Bahnhofshalle? . . . Warum nur diese bunten, bunten Blumen? Warum diese bunten, bunten Farben? — Dies Rot?------Dann fallen
ihm Stiergefechte ein. Diese bunten, bunten Farben. . . Er fröstelt leise. — Nicht dran denken! Denken ist furchtbar. Nur nicht denken! Nicht rühren an all das Frühere! . . . . Maria! Kleine Maria . . . aber nein, auch daran nicht denken. O Gott . . . Und man soll ja auch nicht denken! . . Soll nur singen . . . gröh-len! . . Und marschieren.
Nicht denken! — Aber einmal fällt ihm die Schulzeit ein. Die Schule. — Eigentlich: hatte
man in der Schule denken dürfen? — Man hatte nur lernen dürfen: Systeme und auswendig. —
Dann die Garnison .... Warum hatte man auf einmal blindlings dem Kommando eines ganz fremden Menschen gehorcht? — Warum ? Die Schule? — Ha — a? — Soll ich schreien? He? Schrei - en ? — — Aber da — kommt ein Kom
mando. Dem man folgt! Natürlich folgt! Ha — ha — ha — a?
Feuer! Halbrechts in den Wald! Hurra! Der Feind! Wer? Feind? Hurra! Schießen, schießen, schießen, laden! Erster Zug vor! Vor! — — — Warum hängt so eine große, blutrote Sonne im Nebel ? Warum schreien die Kame
raden? winseln, wühlen sich? In den Schnee? In den Schneedreck? Der eine von ihnen mag nicht schreien. Will nicht. Fröstelt nur müde. Die Sonne beschläfert ihn. Müde, unsäglich müde.
Bis er aufschrickt vom Schlaf. Aufsteht. Eis in Wimpern und Ohren. Tastet. Ruft: „Kamerad?“
In das Schneien blinzelt. Warum liegen da alle um ihn herum? Warum rührt sich keiner? Zittert, keucht: „Kamerad“ . . . Schreit, schreit: „Ka-merad“----------Wie? Tot? — Alle tot? Tot? Wo
für? Weshalb? Warum tot? — Starrt. Will laufen. Taumelt. Irrt in das Schneien. In das Schreien! — Warum hat er gestern nicht geschrieen ? — Sieht plötzlich wen herüberkommen. Ganz dahinten. Oder: . . . ein Baum?
------: Schrei stickt. Atem stockt. Taumelt noch drei Schritt vorwärts. Will alles überdenken. Klar überdenken. — Kann nicht! Kann nicht mehr denken? . . Nicht mehr — denken?------Fällt leise, todleise am Ende einer roten Linie, einer roten Spur, zusammen.
Versuchung.
Die Gasse gähnt, Skelette stieren
medusenhaft in mondverzerrte Spiegel, in Höhlen hocken hinter trüben Türen
Nachtdirnen, katzenhaft vom Tod umsprungen, und rühren bunte Träumen in den Tiegel und lachen irr mit tanzgezückten Zungen.
Aus dumpfen Kellern keuchend Schrei und Not wird mir Vulkan und wilder Kraterhügel.
„Uns hungert! Hilf uns! Mach aus Steinen Brot!“
Die Straßen blenden, durch die Häuser fließt der Mond mit fremdem Sonnenwiderglanz:
„Sieh: das ist dein! so schön ward nie Byzanz; — und du wirst schweben drüber, Engel tragen dich.“
Er sieht mich an, Verzweiflung im Gesicht
von tausend Menschen, wie mein Bruderbild, und Brust und Herz vom Blutgewand umhüllt, vom Dornenacker bleiches Totenlicht.
Und Qual und Qualm beleckt die Stadt und wälzt sich durch Straßen, Nacht bedeckt die Stadt . . .
wer erweckt ... die Stadt? . . .
Der Lastträger.
Tagsüber unklaren Schicksals Konflikten trüber Umwelt befangen, schlenderte sein Körper sinnlos
durch schläfrig-dunstige Gassen, stundenlang die Augen an rätselhaftes Menschenwirrwarr verwandt, während nachts ekstatisch er sich abrang um die Grenze eines unbekannten .Daseins. So in ein
geschlossener Unruhe lebte er seit Jahren — fast ohne Erinnerung, gänzlich ohne Freunde — in irgend etwas Kommendes, dafür er selbst keinen Namen hatte. Bis Korff ihn eines Abends irgend
wo auffindend zu Lärm und Laternen, Rauch und Gesichtern mit sich verschleppte, wo freundschaftlich-gemeines Grinsen bei spätem Grogk Mondgassen in ihm wachrief, auf denen Sie, Begeg
nung mystischerVorzeit, in Schatten jenes „Anderen“ vor ihm aufstieg. Daß Sophus Söneland aufge
wühlten Abgrunds einsam dumpf hinbrütend wortlos herumsaß. Bis Korff ihn wild anschrie — drohend, herausfordernd! — er schweigend aufstand und fortging.
Danach wieder — täglich schwerer vor der Last seines Daseins — trieb er hin durch endlose dunstwarme Gassen, vorbei an fremden, sinnlosen Gesichtern, manchmal noch „Ihrer“ und des „Anderen“ sich erinnernd. Des Nachts umsomehr aus den Grenzen seines Körpers sich erhebend in die nebelhaft „geahnte Gestalt seiner Seele“. Uebergroß hinwandelnd über das Meer und die Dächer. — —
Bis er einmal des Morgens drunten am Sunde jenen „Anderen“ am Arm einer Fremden begegnet. Ihm erschrocken nachsieht, voll zögernder Ahnung.
Dann hastig sich besinnend, nach Ihrem Haus eilt. Um zu wissen, was aus IHR geworden ist.“ — — Oben aber in der großen hellen Stube ohnmächtig ein Wort zu sagen, nur groß und unbeholfen seinen Körper mitten in den Raum vor sie hinstellt. — Darauf, hilflos lächelnd, erstmals wieder zu Korff kommt, flehend ... be
schwörend , . . daß der sie heiraten müsse. Da er sonst nicht weiß, was aus Ihr werden soll. —
Korff sieht ihn an: „Warum heiratest du sie nicht selbst?“ — Da entdeckt Sophus einen Spiegel an der Wand und sein Gesicht erkennend, stößt er die Faust darein und läuft schreiend davon.
Unten auf der Straße, fremdesten Getriebes umtänzelt, schleppt er seine Last noch den Tag über mit sich. Faßt nachts dann, visionäre Ge
stalt seiner Seele, den schmerzlich-plumpen Körper und bricht ihn mitten entzwei.
Paul Staehly
Brief aus Schweden.
Sie schreiben mir von einer schwachen Stunde, verehrter Freund, da Sie nach drei Jahren europäischen Schiebers eine Anzahl fernliegender Bücher bestellten — die Vertraulichkeit Ihres Buchhändlers spie Ihnen seine gewohnte Termi
nologie „Vorkriegsliteratur“ entgegen — und als Sie mit einiger Spannung die Kiste öffneten,
mußten Sie sich nach jeder Seite von der vorn eingedruckten Jahreszahl bestätigen lassen, daß man Ihren Wunsch erfüllt hatte: tatsächlich war 1913 als äußerste Grenze gewahrt. Zwar belästigte, wie Sie mir anschaulich schildern, in jenen Zeiten noch keiner den andern mit offenen Briefen, noch hatte man nicht von Rolland gelernt, wie man die gegenseitige Menschenunkenntnis am öffent
lichsten dokumentiert: dennoch war Stil und Diktion der Seiten, wie ich Ihnen gern glaube, kaum um Haaresbreite von den verschieden, die heute erfolgreich einer zweifellos vorzeitigen Rationierung trotzen. Die Plattitüde, die sich in den letzten drei Jahren regierungsgenehm anregen ließ, war früher nur in der Form etwas wähleri
scher, im übrigen genügte ein Postpaket oder eine beinahe keusche Nacht, um alle bürgerlichen koi talen Hemmungen, denen der Mut zur Impotenz fehlte, zu einem anmutigen Novellenkranz um irgend einen schönen Namen zu flechten. Da
durch ist eben noch keiner Gründer eines Rom geworden, daß ihn eine allzu reichlich geschwängerte Wölffin säugte.
Nun glauben Sie einer Literatur in Deutschland alle billig zu verlangende Bereitwilligkeit entgegengebracht zu haben und bitten mich in Ihrer Enttäuschung um Rat, ob mir in dem von Vielen Ihres Kreises so heftig ersehnten neutralen Ausland (in dem man, nebenbei gesagt, die Psychosen nur etwas abwechslungsreicher und vor
sichtiger kultiviert als bei Ihnen) nicht eine Rettung, ein Name vorgekommen sei, der, noch unbekannt, Neues, d. h. wohl Geahntes, doch nie in unserer Sprache bisher Formuliertes, aussage. Denn unsere Sprache — oft einigten wir uns hierüber — datiert in ihren ersten Anfängen von 1905.
Mein Lieber, wenn diejenigen, die Sie suchen, nicht heute, jetzt ihre Stimme erheben — dann bringe ich diesen Neuen, die ihre Rede Umstände halber bis nach dem Krieg vertagen, das alleserdenkliche Mißtrauen entgegen. Die Stimmen müssen den Mut haben, Kriegsliteratur zu sein — womit ich weder allein meine, daß sie im Krieg
für ihre Drucklegung sorgen sollen und im übrigen nach berühmten Mustern tun dürfen, als ob nichts geschehen sei, noch will ich jenen Formgewandten rühmen, der 1918 erstaunt sah, daß er 1914 Stimmungsschund mit Lagerfeuern und ähnlichen Ingredienzen schrieb und dann nachträglich fett „Kriegspsychose“ davor drucken ließ, um sie, nun, um sie doch wenigstens drucken lassen zu können, ohne seinen heutigen Pazifismus und
Erleuchtung. Originalschnitt von Edmund Fabry, Sonnenberg-Wiesbaden.