Heinar Schilling




Lied am Meer.


Hinschwebend du auf glanzmetallnem Meer, den sanften Wellen zugeneigte Anmut,
Zur Mondesscheibe hingehobne Demut —
So gleitest Traum du durch die Nacht.
O Sternenkühle, mächtig aufgewacht
im starken Fühlen linder Sommerwinde, O Einsamkeiten, klar und kühl durchdacht — Wie kann ich eure Ewigkeiten finden,
Ganz Tag und Stunde, flüchtig im Revier der hastend nur ergriffnen Seligkeit,
da ich euch schaue, Brüder dieser Zeit, leidvoll verstrickt in Nöte, und fast Tier geworden in Erniedrigung und Spott.
O daß euch tönend nahte, junger Gott
ein Freund. Daß eure matten Stirnen kühlte ein lichter Traum; der euch die Menschen zeigt. O daß mein Wort, das kleine Not verschweigt, mit euch hinschwebte, träumte, litte, fühlte.
Denn ihr seid Menschen, gut und stark gemacht, euch ist der Tag von Qualgedanken schwer, euch ist Befriedung zauberische Nacht,
durch eure Träume rauschen Mond und Meer.
Ist Raub mein Ich-Sein? Trink ich seltne Stunde aus reinster Quelle Leben euch zur Not? Mir ist Genuß des Tags ein stark Gebot,
euch schenk ich des Erlebens klare Runde.
Euch gleißt das Meer in letzter Sonne Glut, euch singt des Mondes Harfe Sphärentanz,
euch weiß ich diesen Zauber, Glück und Glanz, euch wacht das Urgefühl im heißen Blut.
Seid ihr mir Brüder? Menschennot tragt ihr, wie ich.
Und tausend Qualen jagen euch, der Tod ist euch so nachbarlich wie euer Brot.
In euren Höhlen kreißt das tiefste Tier Menschenbestien durchtobt ihr Fabellande, Mondkrater euer Lager, unbekannte
und letzte Sensationen eure Freude. —
Der Tag steigt grau und bleiern euch herauf und lastend — Fabeltier — bekriecht euch Angst. Millionen seltne Vögel um euch her,
die schwirrend euch befliegen — daß ihr kaum im Sausen aller Projectile Raum
für Melodie und Lied im Hirne findet.
O welche sonderliche Schickung bindet an jene greulichen Reviere der fabelhaften Hirnestiere
— Maschinenbrüllen, Kugelzwitschern — den Mensch.
Denn daß ihr heimisch seid in eurer Enge, in eures Muß erbärmlicher Befriedung, — Das sei die Klage meines starken Worts, Grandiose Tat in Sterne hochgeworfen
Wär euer Lied, wenn ihr es selbst erwähltet, um einen neuen Himmel zu erstürmen, titanenhaft auf Taten Glück zu türmen.
O daß den Menschen trüge groß Vertrauen zu seiner letzten Steigerungen Steilheit. O daß anhübe turmhoch er zu bauen die Säule seines Ich. —
Aufragend Obelisk der Tat
zur Höhe richtend Geste stärkster Klarheit, so solltest Mensch du sein! Aus deinem Blutrubinkristallen sollte Licht erstrahlen,
dem Brudermenschen Hilfe — allen Qualen den Geist entgegenhaltend, der uns eint.
Selig der Mensch, der herben Tag beweint, entehrt und rechtlos milde Träne findet,
der aus Umnachtung hoch sich wirft zur Scham, Unendliches an seine Schwäche bindet. Selig der Mann, den diese Not ergriff
und der nun hintreibt in des Krieges Wogen Vorm Sturme seines Ich, phantastisch Wrack,
und dennoch heimwärts kehrend, glückhaft Schiff.
Denn ihn entführt von jener Muß-Gemeine Sein hohes Leid in eignen Strands Gefahren, ihm glänzt in ewiger Sterne klarem Scheine
sein Kurs, dem fremd es ward in schweren Jahren, und kraftvoll wird er zu dem Steuer greifen um heimzukehren zum erwählten Land,
ihm wird die Tat aus Scham und Schmerzen reifen, Labsal und Heilung nach dem großen Brand.
Doch die Armada — Massenqual — eifrig gedrängter Herdensegel Enge,
Das Meer verdüsternd fern im Sonnenuntergang verlischt gespenstisch — sinkt — ein Spuk.
O seltner Wanderer, du einsam Schiff — dich seh ich heut am Meer hinwandernd nächtlich stundenweit am Ufer,
Den Blick gebannt auf Mond und Wasser, sehr ergriffen von der Nacht, einsamster Rufer
zu Menschheitshöhen und zum Brudertume.
O, daß ich Mondlicht pflückte, seltne Blume vom Baum des Lebens, euch die nächt’ge Süße, Nektar der Nöte, brüderlich zu bringen!
O daß mir Meerlied nahte, euch zu singen den schönen Trost, wenn eure matten Füße, der Allerweltenstraße müd, versagen.
O daß euch stiege über müßige Klagen meines Lob des Herrn, des Einsamen und Starken, des Gotts der Zeit. — O Freunde, zauberlich erträumte Tat belebe euch die Flügel
gebrochen fast in Not und bitt’rem Spott. O daß euch tönend nahte, junger Gott,
der Täter, daß die matten Stirnen kühlte
der lichte Traum, der meine Nacht durchwühlte
Ich aber schreite, schreite in die Kühle, die Wellen überspülen meinen Fuß.
Ich schwebe hin, getragen vom Gefühle der hohen Stunde, der ich dienen muß.
Denn königlich beflügelt meinen Schritt
Der Traum des Menschen, meergeborne Stärke. Ich schaue uns, die Helfenden, am Werke, die Not zu lindern, die der Bruder litt.
O gäbe meine Stunde euch die Stille, hingleitend über schwerer Nächte Qual,
O dränge Licht zu euch mein heller Wille
Befreiung schenkend, milden Mondes Strahl.
O letzten Sehnens hohe Wiederkehr,
o Meertraum mild, aus Fernen aufgewacht,
hinschwebend du auf glanzmetallnem Meer, —
so gleitest Traum du, Mensch, durch meine Nacht.
Kölpinsee, August 1918.


Dietrich


Ewig einsam Ich im Ueberhimmel. Der Tag glänzt klar. Durchsonnter Himmel.
Der Gang der Stunden.
Staunendes Verweilen aus neuen Augen.
Die grünen Hügel und die blauen Seen :
alles, alles trinkt noch einmal heiß mein Herz.
Aber ich bin ein Vogel vom Ueberhimmel einsam mit großen, weißen Flügelschwingen, ernst das Kreuz auf die Stirn gezeichnet,
in den Augen Schreie auflachender Angst.
Ich bin ein Vogel vom Ueberhimmel. —
Verirrt in Menschendinge, steh ich beschämt, werfe mein Herz in mir qualvoll hin und her: ein unnütz-schmerzlich Ding.
Mit vorwurfsvollen Gesichtern steht ihr umher: ratend, mahnend, gütig.
Ich aber schaufle ein Grab für mein Herz in eurer Mitte.
Wenn mein Herz begraben ist,
dann geht ihr hin in alle Winde.
„Er ist gestorben,“ seufzen eure dunklen Mäntel.
Ich aber schwebe frei im klarhellen Tag überm Gang aller Stunden,
im Nebel unter mir Hügel und Seen,
mein totes Herz und die toten Menschen. Ewig einsam ich im Ueberhimmel.


Kurt Bock




Sanctio.


Entheiligt die Fluren,
schwärendes Wundmal ganz, — der Himmelsdom entweiht.
Wirrsal von Pesthauch und Geifer, überreif in ekler Fäulnis. —
An die Gewehre, Kameraden.
Ans Geschütz auch du, Bruder Feind! Steilfeuer! Ziel unendlich!
Zu gemeinsamen, einzigen Siege brüllt letzten Schuß
— Endschrei allen Leides! — flüchtendem Rabenfittich nach.
Daß Einsturz krachend jauchze und Schwanensang der Wolken
Welten begrabe, Schwache verlösche, all Weinen und Wut!
Sonnenflut geistesklar,
spüle um schimmernd gereckte Glieder innig geeinter, neuer Menschheit. — Gottes Lachen singe befreit um Avaluns Küste!


Originalschnitt von A. Nerlinger