A. Rudolf Leinert




Terzinen der Liebe.




5.


Lichtbänder, die, gesteilt, den Wind umfangen; Fast nicht mehr Körper, nur im Hauch gefühlt Des Atems Süße über unsren Wangen.
Einander nah . . von wildem Ruch verwühlt, Den Haut aus Blutes dunklem Schacht gewuchtet; Akkord der Reinheit, herzschlagüberspült!
So —: daß Dein Leib, der südlichst, sanft gebuchtet, Den Abend in die neue Heimat spinnt,
Und fremdes Wort zu unsrem Laut befruchtet!
Als wenn ein Quell der Schönheit ewig rinnt Für uns, da schon Vorabendqualen kreisen, Gen Golgatha, die aller Liebe blind.
Wir sind verbräutet —: Urgeschlecht der Weisen! Beleckt vom Hunger, wo der Irrsinn krebst.
Und Jauchzen kratert: Menschheit, wie Du lebst—!!
Urschöpfungsakt . . Des Willens Ouvertüre; Gebet aus Zweifelszweiheit, Lied und Schwüre, In dem der Zukunft güidne Sterne stieben.
Die Wahrheit spricht! — Wir müssen uns doch lieben —!!
6.
Nun schreiten, zielhin, wir durch hohe Wälder, Die uns umschatten voll gestellter Eiben;
Und fliehen aus dem Norden, da sich kälter
Der Wind gelagert, in dem jungen Süd. Hier soll Erfüllung uns als Rest verbleiben, Wo nicht mehr Zweifel lebenraubend glüht.
Denn wir sind wissend: stärker als der Tod, Der sich, oft kußnah, uns entgegendehnte . .
Oh Nacht der Nächte, die jetzt — endlich — loht, Zu ragen in die kommenden Jahrzehnte!


Herbert Friedrich




Volkslied.


Aschgraues Schlummern liegt um unser Seelchen
und muß das Drücken tragen. Als habe Gott sich abgewandt
steht die Sonne in regenschwerem Schleier da, gießt tränenschwere Wehmut in alles Denken und klopft wie ein Pulsschlag.
Schwarz, fahl um und um
Stockenwollen, Stillestehenwollen. Ist der Schritt des Einzelnen eisernschwer. Hohngelichter brütet auf dem Dasein, Die Steine schreien,
lachen wie blödsinnig Tüber die Schreitenden, über die Erdenmenschen,
sie haben kein Verlangen vom Daseindürfen. Blökend gleich Spatzen
geht die Menschenseele, um Quellen aufzufinden,
die das gefräßige Verlangen sättigen sollen.
Wie verlassener Frühling
scheinen die Friedenstage vergangen. Schwer wie Lasten ist das Leben.
Scheuverschwiegen liegt der Krieg und hält das Laute nieder. Die Fenster an der Villa gähnen Leere. Schwüle Ruhe bettet sich,
Sehnsucht singt durch Trauerbirken Schlafen ein in Sehnsucht. Harttönig, hohltönig wie leere Tonne
klingt das Lachen einzelner Kinder. Schwer leben die Stunden, Mißklänge schreien wild.
Schwüles Warten kraxelt am Wege und kann lendenlahm nicht vorübergehn, wie auf klitschigem Wege geht es fort wohl einen Schritt gen vorne und zween dann zurück.
In den Blättern klingt das Sehnen nach, Todesmatte Abendkühle kommt, kommt mit Schwerschritten
über die Halden schreitend im Dämmerzustand. Mit blattdünnen Lippen fühl’ ich den Abend Sternchen aufleuchten,
Am Azurblau flimmern Windlichte — Nun steigt mein Sehnen todmüde hoch Alles Denken fragt: Wohin?
Sommertage wogen vorüber, sind wie Kaltwintertage eisig und rauh.
Alles Denken ist wollen ohne Vollbringen, Nur draußen pulst feldgraues Weiterleben.


Gerhard Ausleger




Jüdin


Ich trage weit im Herzen die Süßigkeit
verschütteter Heimat: mein Haar ist Nacht und Rauschen und ein Duft
der starken Stämme Libanons und meiner Augen Schein
ist das Verborgensein und alle stille Einsamkeit
der toten Ufer toten Meeres. Um meine Schritte
— fremder Vögel weißes Wandern, das verzückt! — sind die; Blüten der Gemäuer
und der kleine Lärm Jerusalems. (O sanfte.Stadt der tausend Palmen!)
Ich könnte Jaël sein:
inrideineUFreude müden Mannes Schlafen
zutode bohren; ich könnte sein Deborah:
gluthaft über die Erschlagenen Tänze tragen und
ein frohes Wort zu Tempeltoren — aber^immer
geht das Drängen meiner weißen Brüste
zum Geliebten.
O, du leise Nacht verschollner Brunnenrande: Blau kommt der Mond aus meinem Haar und
starker Duft der Stämme Libanons; und meine Schritte sind die Blüten der Gemäuer
und der kleine Lärm Jerusalems: Geliebter, ich will licht sein;
laß mich scheues Flackern sein und
dir ein zitterndes Licht. Alle Wälder und die blauen Berge werden in meiner Seligkeit hüpfen.


Walter Hasenclever




Kunst und Definition


Es gibt Leute, die davon leben, daß andere dichten; das sind Kritiker. Es gibt Leute, die nichts können und trotzdem leben; das sind Literaten. Es gibt Politiker.
Ich gehöre zu keiner Kategorie. Znfällig heute geboren, werde ich im Laufe meines Lebens Stücke schreiben, von denen später die Rede ist. Ich sehe den Mangel an Zeitgenossen; die Literatur interessiert mich nicht. Das hat mir die Feindschaft der Vorstadtblätter zugezogen. Charlotten
burg, Wilmersdorf und ein Kreisblatt aus der Potsdamer Straße behaupten, sie seien originaler als ich Ich will diese Männchen nicht ernst nehmen, indem ich sie Lügen strafe. Ihre Namen sind vergessen, wie der Schund, den sie gedruckt haben. Ich erlaube ihnen ein für allemal, die Prozedur an mir vorzunehmen, die ohne Zensureingriff im „Götz“ nachzulesen ist.
Immerhin bin ich schuld an der Verwirrung der Geister. Ich habe zur Aufführung meines Dramas „Der Sohn“ ein Vorwort geschrieben, in dem das Wort „expressionistisch“ steht. Es sollte die Leiter der Bühnen von ihrem Schema ab
lenken und darauf hinweisen, daß nicht jedes Stück, das den Menschen darstellt, zwischen Strick
strumpf und Wasserglas zu verkörpern ist. Von der Familientragödie zur Phantasie — welch ein Schritt! Vergebens.
Viele meiner Freunde und Feinde vergleichen mich mit Schiller oder Wedekind. Sie irren. Ich
heiße Hasenclever. Andere verübeln mir meine Belesenheit, die meisten meine Naivität. Die Wahrheit liegt in der Mitte. Ich habe wenig Bücher gelesen und^bin kein Journalist. Ich muß
den Nebel zerstreuen, als sei der Tod des Vaters im Drama an sich bedeutungsvoll. Was damals Programm? warist heute Rechtfertigung. Ich
schrieb, weil ich besser Bescheid weiß als meine Leser, im September 1916:


Mädchen unter Bäumen.


Originalholzschnitt von Felixmüller.