Hans Jaquemar




Erde entgleitet der Erde —


Erde entgleitet der Erde — Dürstendes Ich Forme mich
In liebreizender Gebärde, Daß ich der Gott sei In der Wüstenei;
Der Sand zu Sand aufschichtet — Erlöser aller Quellen,
Der mit im Urgerichte richtet Den Dunklen und den Hellen.
Erde entgleitet der Erde — Schreiendes Ich Erlöse mich,
Daß ich der Gott nun werde Ueber allem Gottgeklage;
Daß ich mich selbst befrage
Woher die Quellen rinnen, Die ich entsiegelt,
Was die Gedanken spinnen, Die ich entriegelt.
Erde entgleitet der Erde — Suchendes Ich Befreie mich
Aus dumpfer Sklavenherde, Daß ich der Gott sei In der Wüstenei,
Der toten Steinen predigt,
Daß sie zu Staub zerstäuben.
Der seine Sendung selbst erledigt In eignem Glauben.
Erde entgleitet der Erde — Lachendes Ich Tröste mich
Mit göttlicher Gebärde! Ich bin der Gott, Der allen Spott
Auftürmt und niederlegt.
Der allem Ur die Sendung zeigt, Der über allen Geist sich legt Und doch erhaben schweigt.
Erde entgleitet der Erde — Schweigsames Ich Gedulde Dich,
Bis daß ich ganz verrinnen werde Als letzter Sand
An einer Wüste Rand.
Dann ist der Gott verschieden Als Letzter in der Zeit!
Und wie zu Urbeginn hienieden
Träumt über allem Sand — die Ewigkeit.


Walter Rheiner




Der Freund


Du klopfest leis an meine düstre Kammer, da heulend ich mit den Gespenstern streite.
Du nahest dich in grünen Abends Flamme,
da ich den ewigen Weg der Trauer schreite.
Du nickst von Dächern, wenn auf schwarzen Straßen ich arm vergehe, von den Himmeln wie betäubt. Du bist das schöne Kind auf weichem Rasen, das lächelnd mit mir seinen Reifen treibt.
Ich kenn dich lange. Bist du nicht der Lehrer, den ich geliebt, der mir die Sterne zeigte? Du bist die Morgensonne, die sich höher
und höher über mein verweintes Lager neigt. O bleibe, bleib!, du warmen Herzens Klang! du Tau der Seele! ewiger Stern-Gesang!
[Aus ..Das schmerzliche Meer“, frühe uncTneue Gedichte. Erscheint im -Winter im Dresdner Verlag ron 1917 ah» Band 2 3 der Sammlung: Dichtung der Jüngsten.}


Curt Saemann




Knaben


Die Ranzen auf den dünnen Rücken.
Die zu großen Hände
Geballt in Taschen rauschen sie daher.
Vor sich im Blick aufklaffendes Gelände Und einer Freiheit grenzenloses Meer.
Nachtflammen schmal von Plänen, Sehnen,
Schwärmen,
Blaß und hohläugig, trotzverbissne Schemen, Aufruhrgepeitscht von mordenden Systemen,
Doch gierig stets nach Blicken, die sie wärmen.
O so durchdonnert von des Weltalls Schäumen, Daß gegen Menschen hülflos sie und blind.
Schon brechen ihre Fäuste aus den Träumen. Doch gütig wie nur Knabenwaffen sindL,
Sie hämmern nicht aus Gier und aus Gemeinheit. Ihr Blick ist Strahl und Tränen sind sein Zeichen. O Knaben, euer Krieg ist Flammenreinheit!
Wenn sie geschlagen aus den Zimmern schleichen.
Im Schatten schwer von Kerkerkorridoren. Hinaus! Sie werden steil. Die Mauerntrübe Platzt auf. Und auf erschütternde Emporen
Träumt sie Revolution der Freiheit und der Liebe.
So warst auch du, eh du der frostig rohen Gewalt erlagst! Eh dich noch Erdgewicht
Zerbrach. Mit sommersprossigem Gesicht 1
Standst du-nicht, Sieger, neben den Heroen?
So wart auch ihr! Traf eurer Väter Hand so schwer, Schlug so der Feind, der ausgewachsne, der
entmenschte Mensch ?!
O Fluch auf uns, was heulsl du Gier und Krieg Und ich und du? Wach auf, Gigantenmeer!
Greift Waffen! Schmeißt die Fackelglut ins Netz, Das uns erwürgt! Mensch, wache, sei Gesetz
Allein der Menschheit! Werdet Sonnenwenden. Posaunenton — du Vater werde Sohn!
Es stürzt die Welt — Göttlichste Explosion.
Schafft eine neue aus verschlungnen Händen! Noch einmal, Krieg, steh auf vor unserem Staat, Kreuzzug der Menschheit wache, werde Tat!!
Walter O. Grimm Originalschnitt. Ueber das dunkle Wasser


Heinar Schilling




An den Mond


Du guter Mond, du hebst die reine Milde, der klaren Güte Licht zum Firmament.
Du Trost, du starke Hilfe unserm Tod,
du Traum, du Dämmern hingetragner Sinne.
Dir sagen alle Bitternis der Tage
wir Wanderer in schreckerfüllter Nacht,
Dir hebt sich zu die liedgewordne Klage, zu dir ist kosmisch Brudertum erwacht.
Symbol der Stille schwebst du uns im Herzen, der hingehst du auf samtnem Dunkelglanz und weiße Brücken baust im Wellentanz.
O schenke Himmelsstiegen unsren Schmerzen, Du guter Mond, der du ergriffst mich ganz.


Robert R. Schmidt




Kleinigkeit


O laß du guter Gott das Laute sinken.
Gib gutes Gras und lichter Tage Ränder Und Hügel hingefaltet bunt wie Bänder,
Von wo mit weißen Tüchern Kinder winken.
Gib etwas Sonntag in das kleine Schweigen Und färbe Wangen mit ganz hellen Schminken, Laß Hindinnen an Quellensäumen trinken
Und wecke Flüstern in den grünen Zweigen.
Laß Wege vielfach sich um Halden winden; Ganz kleine Vögel sollen sie verzieren,
Und etwas wehmutsam nicht weit von Linden Soll gar ein Mädchen tänzelnd hinspazieren
Mit einem Spitzenschirm und etwas Goldnes finden.


Kleine Geliebte


Du weißt nicht, wo Du anfängst, nicht wo Du endest; Eine einfache Fläche nur ist Dein Sein.
Alles ist geebnet und gut was Du sendest
Gespannt zwischen Morgen- und Abendschein.
Deine Hand gibt nur sich, wie Du sie auch wendest: Fünf Finger und einen kleinen Traum.
Und jedes Wort, das Du sorgsam spendest,
Hat ein Bild, einen Sinn und keinen zu großen Raum.
Und wenn Du manchmal ein Lächeln verschwendest, Fällt wie eine Rose es Dir vom Blick,
Und glüht noch ein wenig: O daß Du mich bändest An etwas, das wandert: an ein Geschick.


Oskar Maria Graf




Der Mann


Ein novellistischer Versuch (für Pegu)
— standen vor ihm, wie erstarrte Säulen und es ging ein so sicheres Warten [von ihnen aus, daß alle seine Einwürfe an ihren Leibern abprallten und zusammenbrachen. Auch kam es ihm vor, als ob aus den starr auf ihn zielenden Blicken etwas wie maßloser Hohn glotzte, Hohn der wollüstig sich weidenden Übermacht--
Sein letztes „Wieso denn!“ kam ihm vor, wie ein verhunztes Bettlergewinsel, ungeheuer knechtisch und so durchdrängt von plötzlich inneweidender Ohnmacht, daß ihm Scham, grenzen
lose Scham aufstieg. Noch beim Kaffeetrinken hatte er diese Scham im Gaumen sitzen, würgend, wie ein geballter Knebel auf der Gurgelöffnung. —
Durch viele Straßen dachte er halb feig, halb stoisch: Verrecken! Verrecken! und schmiß seine Beine mechanisch nach vorne, immer irgendwie gradaus. — Unerhört trist stellten sich die Haus
wände. Wie durch tiefe Schächte schwebte er die Straßen lang. Nur manchmal grub sich eine schroffgezackte Hausecke in seinen Leib, schlitzend, daß die Rippen krachten, sich der zitternde Fleisch
leib hochzüngelte — die Mauer hoch, schlüpfrig und feig, wurmhaft — hoch ins fade, grenz- und farblose Gewölk des dämmrigen Himmels.--
Als-Kind hatte ihn der Vater jedesmal, wenn er ihn schlug, mit dem Arm um den Leib gefaßt, daß es ihm vorkam, als umschlösse ihn mit einem Mal ein immer enger werdender Ring, der ihm die Därme bis an den Hals trieb -- Dann
fühlte er auf den Kopf festgedrückt etwas Hartes, einen Sesseldeckel, ein scharfknöcheriges Knie oder dergleichen — — —
Erst als er in einem muffigen Zimmer einen katzenhaft gebuckelten grauen Körper sah und ein Gesicht auf sich gezielt fühlte, wußte er verschwommen etwas wie „Tauglich“, „Zurück zur nächsten Musterung“ etc............
Dann folgte er kerzengrade durch kalte gepflasterte Gänge einem wuchtigen, xhaft aus
schreitenden Unteroffizier, der am hinteren Ende eines solchen Ganges eine Tür öffnete und ihn mit sonorer Aufrufung seines Namens durch dieselbe gehen ließ, schloß und verschwand. —
Das war ein Zimmer, worinnen Leute sich enkleideten und ein massiger Feldwebel interesse
los über Akten gebeugt an einem Tisch saß. Ein Mann mit ausgerenkter Schulter stank furcht
bar nach Schweiß. Das ganze hitzpralle Zimmer war erfüllt davon. Hin und wider lispelte sich
ein Wort laut. Aber es war beklebt und klang unverständlich, wie durch Nebelschwaden, fremd, wahnsinnig fremd. — Der Feldwebel am Tisch
sah so drein, als dächte er gar nichts — nicht einmal, daß er hier saß und von Zeit zu Zeit den Namen des Nächstzuuntersuchenden aufzurufen hätte. Unerträglich drückte die Hitze an die Leiber, preßte ihnen Rillen Schweiß ab. Die vertrübten Fensterscheiben waren hitzdurchfurcht und sahen aus wie unbewegliche Perlvorhänge.
Die Tür zum Arztzimmer öffnete sich. Ein verbräunter Körper mit ernstem Gesicht, in dem ein breiter, wundschlitzartiger Hasenmund sich furchte, kam znm Vorschein, brümmelte: „K. V.“ Irgendein Nächster schritt durch die Tür, die sich hart schloß, wieder aufragte, wie ein eingeschlagener Spiegel, scheibenlos und entsetzlich ausgehöhlt. —
Alfred Harms Blicke schwammen in zitternden Körpern, ertranken darin. Ganz von unge
fähr kam der Gedanke, daß hinter dieser Haut Knochen sich ineinanderfügten, die vielleicht schon anfingen zu verkalken, denn es waren doch größtenteils sozusagen „Ausgemusterte“, Leute also, die beinahe als Einzelne nicht mehr in Betracht kamen. Es war sowas wie ein Sortieren von Angefaultem, das man immerhin--
denn schließlich sucht ja auch ein Krämer sein vermodertes Dürrobst nochmals aus, wäscht es und stellt es aussortiert wieder in den Laden —
Nachdem viele Körper an ihm vorbeigehuscht waren, hinter einer Tür verschwunden, bekleidet dann wieder irgendwie verschwanden, hörte Alfred Harms endlich seinen Namen rufen, fühlte eine etwas schwammige Arzthand auf seinen Schultern und sah sich umringt von einem etwas düsteren Zimmer, das Erinnerungen an bürgerliches Mobiliar, Klubsessel und zwischendrein kahlweise, blitzblanke Operationstische wachrief. —
„Ihr Vater starb am Gehirnschlag, nicht wahr?“ näselte ihn eine feine Stimme an. Hinter den
Lautwänden kicherte vielleicht ein verhaltenes „Hähä!“ Sogar eine Zigarre rauchte dieses Hähä, sogar ganz freundlich sprach wer weiter aus
demselben. Wer denn? Ein Arzt? Ein Mensch, der so und soviel Jahre vielleicht irgendwo auf Universitäten Ideale erhamsterte, dann eine Praxis annahm und ganz allmählich den Unterschied zwischen Privatpatient und Kassenmitglied schon beim Eintritt in sein Sprechzimmer feststellen lernte, der eine blonde Frau jährlich in die Sommerfrische schickte, der — ja, und der eben
jetzt Uniform anhatte und ihn, den Drogisten Alfred Harms, untersuchte. Was denn weiter?!
— Es stockte irgendwas da, riß ab, schnurrte auseinander. Dieses Es stand auf, preßte atmende Brust, schnürte den Hals, engte ein bis zur Un