Walter O. Grimm




Menschen


Originalholzschnitt.
Der Dichtung Mensch, Mond, Sterne von Heinar Schilling gewidmet.
erträglichkeit. — Es war in diesen zerhackten Minuten etwas vom Sprung, vom hiebhaften Schrei, vom jähen Aufschnellen des Tieres, das den Reiz nicht mehr ertrug — — — hindurch zuckten gestutzte Paraden, verstrammte Körper, Regimenter Willenloser, schrillaufgehellte Sturm
angriffe, Bajonette, Därme, Blutfontänen, zerfetzte Körper, Todgewinsel, Kadaver, zerschlitzte Landschaft, Exekutionen — — —-------— und ein
maßlos sich hochrenkendes Weib, wahnsinnzerrissenen Gesichts, auf die Straßen stürzend,
schreiend, brüllend: „Gefallen! Für was? Für wen?!“ Hunderte, Tausende dahinter, ebenso, sinnlos, wüst, tierisch — — —
(Schluß in Nr. 10.) Felix Stiemer
Morgen
Freunde, wer spricht davon: uns gehöre das Heute? Wir wissen längst, daß es uns fremd, daß ihm selbst unser Kampf nie gilt; nicht, da es blutbefleckt — denn wer weiß um die Opfer unseres kommenden Tages? Tiefer liegt, was uns aus dem Geschehen des Heute stößt. Wir stehen nicht mehr in einer Zeitfolge, die mensch
licher Wille bestimmt; Wille steht beherrscht vom Unlebendigen. Wille, stärkster, letzter, entscheiden
der Protest gegen Mechanik ist heute — nicht einmal durch sie aufgehoben; stärkere Niederlage: ihr Glied geworden. Wille als Glied maschinellen Geschehens. Ereignis wird ungestörter mecha
nischer Ablauf zugesichert; Verantwortlichkeit für
Ursache, Ziel und Richtung liegt irgendwo außer uns: über dem Kirchturm (statt im sakralen Raum, wie noch jüdischer Mythos lehrte) — oder
sonst wo, doch sicherlich nicht in uns (so sagt man). Philosophie jals ewiges Chamaeleon assi
miliert sich behend und nennt — dem Antigeist der Zeit entsprechend — dies nicht mehr kon
templativen Quietismus; oh nein, bessere Vokabel wird erfunden: intensivstes Einfügen in Weltgeschehen (ja, so spricht man). Gedruckte Lügen werden zu halben Wahrheiten.
Deutschland steht nicht allein da. Aus der Schweiz flattert ein Bündel Druckseiten herüber und wird eifrig übersetzt: Lettres d’un soldat. Verwesungsgestank und vergeudetes Blut vergißt der Schreiber über der Sensation eines Sonnen
aufgangs, der herrlichen Oede der Landschaft und so fort. . . . Noch in anderem, entsetzliche
rem Sinne zeigen die Briefe das „Europaeische Buch“, als das es uns angepriesen. Europa 1918: die verpaßte Gelegenheit.
„Als Petrus den Herrn dreimal verleugnet hatte, krähte der Hahn wiederum. Da dachte Petrus an das Wort, das Jesus zu ihm sprach, ging hinaus und weinte bitter.“ Gewandte Sym
bolik machte aus dem Schrei eine Bronce, die über jeder Stadt glänzt, doch stumm bleibt. Alles, alles wird verwendet, wenn es nur zum Verstummen gebracht ist .
Diesem Heute sollen wir uns opfern? —
Zwei Faktoren sind uns gegeben : der Raum, in den wir gestellt, und unser Ich. Wer ent
schlossen, dem Leben einen Sinn zu geben, stößt seinen Willen in dieses Chaos. Soll Wille Werk
zeug sein, sei er das des absoluten Menschen, der sich in uns manifestiert. Gelächter und Ironie des Pöbels sind einziges Stimulans; unser Wort und Tun Gesetz durch uns für alle. Was ahnen die Heutigen von der Neuen Göttlichkeit, Jdie die Blasphemie gebärt ? Was von dem Neuen Gesetz, das-Uensere Uebertretung diktiert?
Gerne geben wir Euch Gefährdeten zu, daß sie in Euren Händen zum Byzantinertum würde. Liegt es an uns?
Unsere Unbeirrtheit weist den Weg, der’unsern Schritt zum Morgen führt.
[Aus „Der Schrei“. Heft III: MORGEN.]
Wort
Meinem Schrei tönt als Echo: „Nur Worte“. Wort: merkwürdiges, verachtetes Ding; nur Worte. Geneigteste Hörer, erschlagt heute das Wort, stirbt mit ihm der Prophet, der Richter, der Dichter. Hat der Stumme jemals, vielleicht durch Wohl
anständigkeit, Götter geschaffen oder gestürzt? Ist die unendlich zarte Entwicklung von Gedanke zu Tat, die Sehnende eint, von Satten trennt, wort-los erreichbar? Ich kenne Eure Furcht: daß das Mittel — Zweck, Anfang und Ende wird. Nur, weshalb müßt ihr euer Mißtrauen gegen euch selbst auf mich transponieren ?
Wer heute gegen das Wort auftritt, berauscht sich mit tiefsinniger Gebärde-.gm Ziel, um das
Mittel zu bespeien und von „Literatur“ zu schwätzen. Ist es ein Einvrand gegen die Gattung Pferd, weil es Pferdeäpfel gibt? Aber Literatur soll verfehmt sein, da Literatenkot existiert. Wenn heute Wort die Idee zu zerschmettern droht, wer anders ist schuldig, als der gefühlvoll Stumme, der Ak
tualität stolz verschmäht, sich in die eigene Psyche bohrt, um Monographieen seiner selbst zu —
denken. Der Meister des Worts ist der Dynamiker der Zukunft; wir dürfen dessen nach der Intensität der Verantwortung gewiß sein: je stärker in uns die Frage nach dem Wozu liegt; je lebendiger das Bild des absoluten Menschen in uns drängt , drängt zur eignen Gestaltung und der unsrer Umwelt.
[Aus „Der Selirei“. Heft III: MORGEN.}