Rosa Schapire




Schmidt - Rottluff


Es war kein Zufall, daß die „Brücke“, die einst (1905) in jugendlichem Ueberschwang, er
füllt vom Glauben an ein gemeinsames Ziel, von
Kirchner, Heckei, Bleyl und Schmidt - Rottluff in Dresden begründet worden war, 1912 auseinander
fiel. Als die Künstler den Weg in sich selbst gefunden hatten, war das Trennende stärker ge
worden als das Gemeinsame. Jeder von ihnen empfand, daß er dem Gott in der eigenen Brust folgend, eine eigene steile Straße gehen müsse. Keinem ist das Wollen der Zeit zu einem so starken Müssen geworden, wie Schmidt-Rottluff.
Verfolgt man das Schaffen des Vierunddreißigjährigen in Bildern, Lithographien, Radierungen
und Holzschnitten seit dem Jahre 1905, so zeigt sich in dieser Spanne Zeit trotz der vielen Wandlungen, wie „das Gesetz, nach dem er an
getreten“, sein Wesen bestimmt, wie er im Nietzscheschen Sinn wird was er ist, wie ein
Stilwille, der schon in den frühesten Werken latent vorhanden ist, in den monumentalen Schöpfungen der letzten Jahre eine gewaltige Ausprägung gefunden hat. Akte. Landschaften und Kinderbilder aus dem Jahre 1905 stehen in der rieselnden Schönheit ihrer Farben, im Bewegten der Oberfläche formal dem Impressionismus nahe, aber schon eignet ihnen ebenso wie den frühen lithographischen Bildnissen ein visio
näres Element, das sie über alle Wirklichkeit hinaushebt.
Eine Entwirklichung zu höherer Wirklichkeit, dieser Gestaltungsprozeß beherrscht Schmidt- Rottluffs Schaffen. Eine so ganz in sich ruhende
Natur hat in ihrem Werden keine Sprünge, alles vollzieht sich als ein Notwendiges, von Intien heraus Gewachsenes, nicht als ein gewaltsam durch äußere Einflüsse Gezüchtetes. Ergriffen
von dem Wunder des Seins, berauscht von seiner Schönheit, sucht und findet der Künstler immer neue Möglichkeiten, um dem visionär Geschauten
Form zu geben. Und eng verschwistert wie Schmerz und Glück sind, spricht aus seinem Ge
samtwerk neben rauschendem Jubel über die Schönheit der Erde, tiefe Schwermut, das Grauen der Kreatur, daß wir alle einsam und ausgestoßen
sind, daß keine Brücke von Mensch zu Mensch führt. Niemals aber ein Kleben am Gedanklichen oder Steckenbleiben im Stofflichen, alles wird strenge Formung und jede Linie ist von Empfin
dung beseelt. Dem Entmaterialisierungsprozeß
vermögen sich weder Bildnis, noch Akt oder Landschaft zu entziehen, alles wird in eine neue Sphäre von Künstlers Gnaden gehoben. Das Bild wird zu einem strengen architektonischen Gefüge, jede Linie bedingt ihre Gegenlinie, jede Beweg
ung ihre Gegenbewegung, jede Farbfläche findet ihre Ergänzung in ihrer komplementären Farbe. Linien und Farben greifen so fest ineinander, daß sich nichts aus dem Gesamtkomplex herauslösen und durch ein anderes ersetzen läßt. Nicht nach
äußerer Schönheit, nach Oberflächensein und Sinnenreiz strebt diese Kunst, sie kommt dem Beschauer nicht entgegen, indem sie ihn in liebens
würdig gefälliger Weise umschmeichelt, aber sie atmet Gesetzmäßigkeit, Geschlossenheit, Größe und ist tief in der Mystik, dem Nährboden aller großen Kunst, verankert. Ströme von Kraft dringen auf den Betrachtenden ein, die Vision, das was jenseits des Sichtbaren lebt, wird seiner Herr.
Für einen Künstler, der in dem Maße von schöpferischem Trieb beseelt ist, daß Leben und Schaffen ihm ein fast Identisches ist, der dabei
so frei von Verliebtheit in sein Werk ist, daß er sich streng kontrolliert und nichts Unfertiges sein Atelier verläßt, ist es ein besonders hartes Schicksal, seit drei und einem halben Jahr seiner Freiheit beraubt in Rußland militärische Pflichten er
füllen zu müssen. Aber es mag der herrlichste Beweis für die Freiheit des Geistes sein, daß man den Schöpfungen, die unter diesem harten Druck entstanden sind, nichts von den Qualen anmerkt, unter denen ihr Urheber dauernd leidet.
. Die Holzschnitte zum Thema „Christus“ haben ihresgleichen in der Kunst unserer Zeit nicht.
Schmidt-Rottluff ist darin weit über sein eigenes Maß hinausgewachsen; im „Gang nach Emmaus“,
in „Christus und Petrus“ und „Christus und die Ehebrecherin“, in „Christus und Judas“, in der „Maria“ hat zum ersten Mal wieder seit dem Mittelalter das Gleichnishafte des Neuen Testaments die ihm angemessene bildliche Form ge
funden. Die Blätter erscheinen demnächst im Verlag von Kurt Wolff, Leipzig. Aus Linien und
Flächen, aus Schwarz und Weiß ist eine neue Welt geschaffen, die unmittelbar in ihren Bann
zwingt. In holzgeschnitzten Figuren, die auf russischem Boden entstanden sind, in hockenden und schreitenden Männern, in Akten mit feierlich beschwörender Geberde, in großgesehenen Köpfen, die durch wenige Linien gegliedert nicht als ein
konstruiertes, sondern als ein Gewachsenes vor uns stehen, hat Schmidt-Rottluff seiner Zeit eine neue plastische Form geschenkt. Er, der in seinen Bildern so ganz Maler ist, ist als Bild
hauer von jedem malerischen Element frei. Zu äußerster Geschlossenheit wird die Form durchgebildet.
Frägt man nach den Ahnen dieser ganz persönlichen Kunst, die aus unserer Zeit geboren in die Zukunft weist, so darf man an die Monu
mentalität der Egypter denken, an die Kunst der Primitiven, an die Ekstasen der Gotik — nicht iin billig-törichten Sinne von Vorbild und Nach
ahmung, sondern in jenem tieferen, der, aus dem Irrationalen schöpfend, geistige Zusammenhänge über Jahrhunderte hinweg erkennt.


H. Schilling: Mensch, Mond, Sterne


Gedicht.
(Heft 1 der Sammlung „DAS NEUSTE GEDICHT“ Dresdner Verlag von 1917.)
Mehr noch als der Titel weist der traumschwebende Rhythmus des Gedichts den Weg: — Mensch, losgelöst aus Menschlichem ==-AIlzumenschlichem, um so tiefer und wahrhafter Mensch, Gefährte und Gespiele den Geschöpfen des Aethers, Mond und Sternen; — du Mensch, in den kosmischen Kreis gestellt, besinne, bedenke:
du bist teilhaftig der größeren Welt, Abbild ihrer Majestät, Mikro - Makrokosmos. Dies ist das Thema (letzten Endes aller Dichter Thema).
Mit einer großen, klingenden Musik hebt dieses kleine Gedicht an:
„Du Bruder Mensch ! Dir spricht die klare Nacht wie mir: Stern ist entzückte Weite,
der ich auf freien Sphären schreite, „ ich Ich, — der ich Vergebliches erleide,
weiß nichts von Enge, die unmenschlich macht.“ Aus diesem Nicht-Wissen der Enge, aus dieser „entzückten Weite“ heraus erhebt sich die Bitte, das Gebot:
„O Menschen, seid!“
Ein vom Glück des Daseins traumhaft Trunkener, — wie Werfel, bewußter, in „Wir sind“, — ruft es aus. Glück des Daseins in der Not dieser Jahre?, höre ich fragen...............Doch Schilling
fühlt, was Chamfort aussprach: Le bonheur n’est pas chose aisée; il est très difficile de le trouver en nous, et impossible de le trouver ailleurs, — was alle Rationalisten (und Aktivisten) nicht ver
stehen. Er glaubt an die Allmacht und Göttlichkeit des welt-identischen Ich, dessen Erscheinungsformen die Menschen sind:
„Du fühlst die Welt. Du fühlst: Ich bin da!“ Wer diesen metaphysischen Konnex nicht hat, der „fragt umsonst, wenn er nach Gründen fragt“. Aber alle haben ihn! Und ihn deutlich und klar faßbar zu machen, das ist unendliche Aufgabe der Kunst, — eine Aufgabe, der, in seiner Weise, auch dieses schöne Gedicht dient.
Walter Rhein er (Berlin).


Die Weißen Blätter.


Eine Monatsschrift. Herausgegeben von René Schicke/e. (Verlag der Weißen Blätter, Zürich.)
Leider scheinen Die Weißen Blätter immer noch Schwierigkeiten mit der deutschen Zensur zu haben. Bis heute (10. Oktober) liegt nur das Juli- und das August-Heft vor (64-1-48 Seiten, Einzelpreis 2 Mark, vierteljährlich 5 Mark), von denen wegen unseres begrenzten Raumes nur ein kurzer Inhalts-Abriß gegeben werden kann.
Aus dem Juliheft sei als Wichtigstes hervorgehoben: die beiden Artikel „Europas Herzfehler“ von Svend Borberg und „La Présence du Coeur“ von Hemy van de Velde, sowie eine bisher un
bekannte autobiographische Erzählung Dosto
jewski] s „Petersburger Träume“ — ein Schatz, von Dr. Wladimir Astrow aufgefunden und mit
geteilt. Albert Ehrenstein erhebt seine „Stimme gegen Barbaropa“. Eine Frage und eine Antwort daraus stehe hier: „Kain, wo ist dein Bruder Abel?“ „Im Felde.“ — Von Else Lasker-Schüler findet sich ein Gedicht „David und Jonathan“; von Ferruccio Busoni eine Szene „Das Wandbild“. Eine Groteske von Mynona-„Neues Kinder
spielzeug“ ist leider gekürzt veröffentlicht. Oscar Levy spricht über Jacob Burckhardt als Geschichts
philosophen. Besonderer Beachtung seien seiner „Kriegsaphorismen eines Europäers“ empfohlen. Ebenso das „Lesebuch“ und „Das weiße Brett“.
Das August heft ist in mancher Beziehung inhaltlich noch stärker als das Juliheft. Die „Büßpredigt“ Klabunds nehme ich aus. Dieser Klabund (alias Alfred Henschke) ist eines der peinlichsten Kapitel der jungen deutschen Literatur. — Wir, die wir nicht auf dem allzu strengen Standpunkt des Leiters der „Aktion“ stehen, der alle, die vom fluchbeladenen Rausch der ersten Kriegswochen vergiftet wurden, bald darauf ihn aber aufrichtig und ehrenhaft abschüttelten, ebenso ächtet wie jene, die dabei blieben, wir, deren Hände ebenso rein sind, wie die des Herrn Pfemfert, — deren Seele vom Juli 1914 bis zum November 1918 keinen kurzen Augenblick lang von der Sache der Menschlichkeit und des Friedens abirrte, — wir die wir alle Todesschrecknisse und
alles Elend blutiger Feldzüge erfuhren: — wir protestieren feierlich dagegen, uns von einem Kunjunktur-Windbeutel, von einem notorischen Kriegsbarden, von einem Klabund Buße predigen
zu lassen. Das ist eine unerhörte Frechheit! Alles andere ist hervorragend, vor allem Svend Bor
bergs „Traum und Wirklichkeit“ und Georges Duhamels Novelle „Die Gnade“. TheodorDäublers Gedicht „An das Sternbild Die Fische“ ist voll jener kosmischen Musik, die in dem ganzen un
geheuren Werk dieses großen Dichters rauscht. In „Der Konvent der Intellektuellen“ setzt sich René Schickele mit den verschiedenen Gruppen der Intellektuellen auseinander, die in diesem Krieg ihre Stimme erhoben haben. Den Aktivisten werden dabei einige Bedenken ins Ohr getlüstert, ebenso den deutschen „Antinationalen“ und Bolschewiki. Im Zusammenhang hiermit sei auf die .Worte Werfels hingewiesen, denen Schickele die Ueberschrift „Die Gefahr“ gibt. „Das weiße Brett“ bringt die Ankündigung einer Anzahl
europäischer Bücher aus dem Verlag Max Rascher in Zürich, von denen wir hoffen wollen, daß sie
uns, „irn Herzen Europas“, zugänglich sein werden:
Walter Rheiner (Berlin).


Frauenbund zur




Förderung deutscher bildender Kunst


Erfüllt vom Glauben an die schöpferischen Kräfte unserer Zeit, auf welchem Gebiete immer sie sich regen, wurde der Frauenbund im Juni 1916 in Hamburg begründet. Das Hauptziel der Ver
einigung besteht darin, Bildern von Künstlern, die in der allgemeinen Wertung noch nicht die Stellung einnehmen, die ihnen gebührt, zu er
werben und an öffentliche Galerieen zu schenken, um, auf diese Weise, das verwandte Wollen in großer, alter und neuer Kunst zu bekunden.
Durch Veranstaltung von Vorträgen und Ausstellungen versucht der Bund, das Verständnis für die Kunst unserer Zeit zu fördern.
Die Mitglieder bezahlen einen jährlichen Beitrag von M. 20.— und erhalten als Gegengabe ein graphisches Blatt, das nicht in den Kunst
handel kommt. 1916 wurde eine Radierung von Erich Heckei: „Hafeneinfahrt in Ostende“, 1917 eine Lithographie von Otto Mueller: „Figuren im Freien“ ausgegeben, für 1918 ist eine Radierung von Lehmbruck gewählt. Der Hamburger Kunst
halle wurde ein Blumen - Stilleben von Schmidt- Rottluff, der Bremer Kunsthalle eine Landschaft von E. L. Kirchner, der Mannheimer Kunsthalle ein Stadtbild aus Soest, von Rohlfs geschenkt.
Der Bund zählt über 600 Mitglieder und hat Ortsgruppen in Hamburg, Elberfeld, Hagen i.W. Köln, Berlin, Dresden, Bremen, Mannheim, Heidel
berg, Essen und Stuttgart. Den Kreis unserer Freunde und Mitglieder durch Gleichgesinnte zu erweitern, ist unser stetes Bestreben.
Rosa Schapire.


Erklärung der Schriftleitung


MENSCHEN Nr. 7 enthält leider eine Anzahl unangenehmer Druckfehler, die von dem Unterzeichneten in der Korrektur bemerkt und ausge
merzt wurden. Der korrigierte Vorabzug ging jedoch auf der Post verloren und kam nicht zur Kenntnis der Druckerei, die infolge eines Mißverständnisses ohne Korrektur druckte. Im Ein
zelnen sind als schlimmste Fehler zu berichtigen :
Richard Fischer. Zeile 4: lies „Kerzen“ statt
„Herzen“; Gerhard Ausleger. Zeile 16: lies „Blau kommt Mond“ statt „Blau kommt der Mond“, Zeile 17: lies „um meine Schritte“
statt „und meine Schritte“. Das Gedicht ist Kurt Heynicke gewidmet.
Ferner im Kritik-Teil, in „Der Kopro-Laller“, sind sämtliche in eckige Klammern gefaßten Worte, die im Manuskript - Entwurf gestrichen waren, fälschlich mitgedruckt worden. Es sind private Randbemerkungen, die der Verfasser des Artikels nicht vertreten kann, und die nicht für die Oeffent- Iichkeit bestimmt sind.
Walter Rheiner (Berlin).


MENSCHEN.


Literarische Mitarbeiter: Olga v. Adelung, Gerharc Ausleger, Hans Bauer, Bess Brenck-Kalischer, Kurt Bock Theodor Däubler, Dietrich, O. S. Diehl, Albert Ehrenstein, Richard Fischer, Herbert Friedrich, Oskar Marie Graf, Alfred Günther, Walter Hasenclever, Hans Jaquemar A.Rudolf Leinert, Felixmüller, Mynona, H. Phil, Waltèi Rheiner, Jo Hanns Rösler, Curt Saemann, Rosa Schapire Heinar Schilling, Robert R. Schmidt, Paul Staehly Felis Stiemer, Eugen Styx, Anton Walten.
Graphische Mitarbeiter: Peter August Böckstiegel Edmund Fabry, Walter O. Grimm, César Klein Felix
müller Oskar Nerlinger, Arnold Schmidt - Niechcioi, Schmidt-Rottluff, Georg Tappert.
Nummer 1—4 sind vergriffen. Der Preis für da* Jahresabonnement 1918 beträgt Mk. 5,80 excl. Zusendung
Die Zeitschrift erscheint 1919 halbmonatlich. Preis
halbjährlich [12 Nummern] Mk. 5.—.
Druok: R. Abendroth, Ries». Copyright 1918 bjr Felix Stiemer VeiUg, Dr««d«u


KRITIK