Unter Bäumen


Die Bäume säen goldnen Wind — Ich geh in vollem Blühen auf,
Ich wachse in den Baum hinauf, Ich werde wie die Bäume sind.
Den offnen Himmeln aufgetan, Daß Blut in Bläue überfließt,
Von goldnen Strömen ganz durchsüßt — So hebt das ewige Taumeln an :
Der große Sang,
Der große Gang:
Bäume, Sonne, Sterne, Tanzen eine Bahn.
Wirf dich in die Ferne!
Schließ dich an! *)


Kurt Bock




Muspilli


Ewigen Abends häßliche Fetzen zerfleischt von gierigen Hauern der Geschütze, das Lied der verkrochenen Sterne überjohlt von belferndem Haß,
Traum der Landschaft, Flußsilber und Mondecho, weiche Gebärde
verwischt, getilgt in Urschlamm :
Babel-Einsturz, Tage von Sodom und endloses Gomorrha.
Lachend stößt eine Knochenfaust
den Giftbecher ins Antlitz der Erde. — — —
Ein Schrei — klingenscharf, todschrill — klettert aus Verwesung und Sintflut über Wutkrampf und Litanei-Ton, Sumpf, Verbluten und Entgleiten:
Ein Schrei zerscherbt Lärm, Nacht, Welt, schwingt himmelan — lockend! —
— und zerschmilzt ins Erwachen der Sonne.


Heinar Schilling




Am Meer


Meer ist erste Bewegung von Licht. Bogengeschwungene Heimat ward dir die Welle. hoch und silbern wölbt Glanz die unendliche Helle, tiefgetaucht in das Blau durchsonntester Himmel.
Du aber stehst, in den Augen den spielenden Glanz, gibst dich dem Atem der Weite, erschauerst und
schweigst.
Rythmische Natur tönt Dir die klingende Brust, an dein Herz sind die schwingenden Saiten der
Ferne gespannt.
Du erzitterst, Weltharfe, und trinkst die irdische Lust, atmest und schweigst, zur Glut deines Sehnens
gewandt.
Kölpinsee, Juli 1918.


Georg Kulka




Verse vom Schlachtfeld


Was Bedeutet . . .
Was bedeutet der helle Schnee
Der Leuchtkugeln, die uns zufallen, Solang die Flatterminen sich im Zwitschern üben. Die mutige Milchstraße ist zu kurz,
Der Mond ersoff in unserem Graben;
Selbst der öde Abklatsch, den ihr dort seht, Läßt sich nicht erweichen.
Aber die Wurzel unserer dünnen Gestalt
Ist der Tod; bald decken wir sie auf: Und stehen nun wieder
Wie erste Menschen in neuer Erde
Und unter dem unermeßlichen Himmel.
*) Aus dem soeben erschienenen Gedichtheft „Du heilige Erdelc, Das neuste Gedicht, Heft 10 [Dresdner Verlag Yen I9l7).
Walt Laurent Tuschzeichnung,


Walt Laurent


Gedicht
Tragt ihr mich wieder düstere Winde
fernen Gestaden,
wo ich begraben liege.
Sterne fallen dort in wühlende Erde knattern Tod und Geburt —
Winde heulen umher — winseln ewiges Unter
gehen — reißen jungen Halm — werfen ihn hin — zerknickt.
Dort ist meine Mutter gestrandet einst, hat mich der trotzigen Erde begraben ihr Totenlied kreiset die Insel
irres Geheul — und sirrt mit fallenden Sternen durch meinen qualvollen Schlaf.


Der Vorübergehende


Eiszapfen in Haar komm ich zu dir,
an deine Tür scheu; — darf ich hier stehn ?
Du sagst nicht Nein.
Laß mich nur an der Türe hier, wo es kalt ist wie ich. — Wenn ich auftaue,
würde dein Zimmer überfließen von salziger Flut,
von grauen Wassern,
schwer und trübe.--
Nur einmal in deine Augen sehen, wehre mir nicht. —
Ein Vorübergehender an deiner Tür, der stille weitergeht.


Die Diebe


Dann tappen die Diebe durchs dunkle Haus — es heulen die Hunde am Tore auf,
und im Finstern sitzt einer, der bangend starrt aus winkendem Traume hervorgeschreckt
und lauscht, — und er hört wie sie leise bohren und hört die Hunde, die winseln und heulen — Wie oft hat er der Diebe Schleichen gehört ihr Flüstern hinein in seine Träume — — Die Pulse rasen, er wirft sich herum, er will es nicht wissen, hören nicht
was in den Mauern scharrt und gräbt
verwühlt in die Kissen die Augen, die Stirn und greift nach dem Traum, hinein zu
entschwinden — —
doch die Hunde klagen, die Tür springt auf, sie kommen herein und winseln und heulen — und die Diebe bohren, er fühlt ihr Graben mit spitzigen Nägeln in seinem Hirn
in seinem Blut, in den Eingeweiden —
ihr Schleichen und Flüstern wird laut und
Lachen — —
In den Kissen verzerrt und verkrampft liegt
einer —
umdrängt von seiner vergifteten Meute — und bäumt sich unter der Diebe Feile
und stöhnt — schlägt um sich in Leere und Nacht.


Raoul Hausmann




Menschen * Leben * Erleben


Aus der Wucht des Geschehens entspringt die Feststellung derUnhaltbarkeit des menschlichen und politischen Handelns, entspringt die Not
wendigkeit der Umgestaltung der Welt und des Menschen: die neue Ordnung. Der neue Mensch
will Gemeinschaft, die Auflösung des Ich, des Einzelnen in der Wucht und Wahrheit des WIR, die Aufhebung der fremden Macht, der Gewaltautorität in innerste, eigne Autorität als grenzen
lose Verantwortung: denn WIR wird sein, wenn Ich zugleich der Andre bin, Ich der Andere zugleich anderes Ich bin. Diese wahre Gemein
schaft, die Alle, bewußt oder unbewußt, erstreben, soll erwachen aus sich heute noch kämpfend gegenüberstehenden Gegensätzen : dem Menschen des Werdens und dem Menschen des Tuns; dem Fordernden der menschlichen Entfesselung und
dem Fordernden der proletarischen Revolution.
Die innere Umgestaltung des Menschen aus seiner noch bestehenden Isolierung, Nichtauflösung im
Wir, der Gemeinschaft, Freimachung des Erlebens Aller fordert die agitatorisch politische Tat als Folge der verwirklichten Umgestaltung. Die sofortige Aenderung des äußeren Lebens, der Ge
sellschaft, hat zum Ursprung die Aenderung des
Menschen. Gewiß ist hierbei, daß dieser Weg den Augenblick der Verantwortung fordert. Die Träger dieser Ideen, die fortwährend eine Revolutionierung der Gesamtmenschheit im Auge haben,
müßten heute den Mut haben, zu erkennen: ihr Sich-gegenseitig-bekämpfen ist auf beiden Seiten der Versuch zur Vergewaltigung und Minder
wertigkeitserklärung des Andern. Die daraus
entstehende Zersplitterung muß alle Kräfte aufheben. Dringend erhebt sich die Forderung eines neuen Lebens in Beziehungen, eines neuen Begreifens, daß die Verantwortung der Führer gerade hier liegt, daß für jeden Einzelnen die Er
kenntnis des Wir die Aufhebung seiner Grenzen
hergestellt hat; daß er, nicht länger sich isolierend, allein die aufgesprungene Kluft als vom Andern aufgerissen betrachtet, daß vielmehr er selbst in die Schuld dieser Kluft hin
einstürzt, die Beziehung zerreißend, entsprungen
aus der Schwäche der Gegenhilfe zum Du, zur Gemeinschaft. — Sie gebietet jedem, aus der Er
kenntnis seines Wollens zur Freimachung des Erlebens im Andern als in sich, der Ueberwindung des Eigenen im Fremden durch Balance beider zugleich, die eigene Selbstherstellung im
Vertrauen des Anderen — den positiven Schritt zu vollziehen: Selbstüberwindung der eignen (autokratischen) Unterlassung; die Pflicht jedes Einzelnen, jedes Ich, aus dem Gemeinschaftswillen heraus den Weg zu finden zu neuer Wir
kungswucht. Denn Wir ist kein Kompromiss zwischen Führern — Wir vernichtet auch noch den Führer: Wir sind auch alle oder ich: Wir ist die Gemeinschaft, die Zertrümmerung des ge
sicherten Seins, der Macht der (fremden) Gesetze über den Menschen ! (1917.)


Felix Stiemer




Politische Kunst


Gegner politischer Kunst sind weniger durch den Begriff veranlaßt, als durch die Proklamation, die sie gefordert. Psychologen mögen endlich nachweisen: wenn auch Mensch und Sache an
ständigerweise untrennbar,— Ideen lassen sich nicht durch Menschen kompromittieren; schon gar nicht durch Ungeschicklichkeiten. Wer den „Kampf gegen die Metapher“ proklamiert, um dann vag
sten Abstraktionen wie „Das junge Geschlecht“ das Wort zu reden — verkörpert der den heiligen
Fanatismus des politischen Dichters? (Daß Marsyas noch immer ungeschunden blieb!) Wenn andere verrannt versichern: außerhalb der Kunst ent
scheide sich heute der Kampf um den Geist, — und: schlechte Geschichte sei besser als gute Ge
dichte — was will diese Kunstpsychose befleißen. Wesentlicher als jede nationalökonomische Studie bleibt ein Gedicht Hölderlins oder eine Kom
position von Beethoven, denn jene kann nur
notwendiger Teil eines Mittels sein — dieses ist. Ursache, Kompaß, Ziel. Und Mittel? — uns eint dieFixierung eines Lebensgefühls
stärker zur Tat als jede begriffliche Zielsetzung.
Nichts sei mit dieser Abgrenzung für „Wortkunst“ gesagt, für den Jubel über Entdeckung neuer Form, für Geplänkel um neue Form. Neue Form schafft sich selbst — mechanisch — im
Ringen um Neuen Inhalt. Der Mensch, zutiefst verzweifelt, schwelgt heute nicht mehr in Melancholistik: er ist entschlossen. Der Mensch, zutiefst verzweifelt, beruhigt sich heute nicht bei seelischem Experiment: er erweckt; sich und andere.
Aufruf fordert heute Politische Kunst. Man entgegnet: darf vom Dichter Richtung gefordert werden ? Muß nicht (bestenfalls) knallige Gewolltheit Ergebnis sein, wenn Ursprung nicht im Er
lebnis ruht? Ihr lieben Kunstförderer und -freunde,
ehrwürdige Diener des Erlebnisses, wen der Kampf unserer Zeit seit 1910 nicht zum Politischen (im obengesetzten Sinne) trieb, darf dieser nicht zum Erwachen gestoßen werden? Wer dennoch unempfindlich, darf dessen Anästhesie — Kunst be
nannt werden? Sicher steht: Jahrhunderte vor uns taten es nicht. Seltsam ironische Arabeske um den bibliophilen Snob, daß gerade Stendhal
und Balzac, Paradigmata politischer Kunst, in seiner Manufaktur prangen.


Dietrich




Untergang.


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