die geistige, durch Jugendeindrticke gesicherte Grundlage be~ triflt, war der Florentiner gegen den Urbinaten im Vortheil. Dr. Braun. Einige Beispiele grésserer Compositionen des Mittelalters. Yon Dr. Karl! Schnaase. (Als Beschluss der Mittheilungen (No. 3) aus dem Manuscript des Hrn. Verf. zum kiinftig erscheinenden IV. Bande, 1. Abth. des Werkes: ,, Geschichte der bil- denden Kunst.“ Diasseldorf bei Jul. Buddeus.) Kine der geistreichsten Compositionen dieser Art befindet sich am Freiburger Mimster, und zwar nicht an der Facade, welche hier durch das Vortreten des einzigen Thurmes vor den Schiffen keine Flache darbot, sondern in der Vorhalle, welche unter diesem Thurme zum Eingangsportal der Kirche fihrt. Diese Vorhalle bildet einen vierseitigen Raum, dessen eine Seite durch das dussere Eingangsthor durchbrochen ist, wihrend die gegeniiberliegende das vertiefte, in die Kirche fihrende Portal enthalt. Dieses hat wie gewohnlich ein gros- ses Relief in seinem Bogenfelde und Statuen neben der Thir- 6ffaung; die Seitenwande der Vorhalle aber enthalten nun noch eine Reihe von Figuren in gleicher Héhe und im Anschluss an jene Statuengruppe des Portals. Auf jeder Seite der Eingangs- thir stehen drei, an jeder Seitenwand elf, in der Fiillung des Portals auf jeder Seite vier Figuren. Auf der Seitenwand rechts vom Eingange sehen wir nun die sieben freien Kinste und die finf thérichten Jungfrauen, an welche sich die Sta- tuen in der Vertiefung des Portals anschliessen. Zuerst die bekannte Gestalt des Heidenthums oder der Synagoge mit der Binde um die Augen und dem gebrochenen Stabe, darauf in enger Gruppe fiir eine Figur gerechnet die beiden Figuren der Marie und Elisabeth, zusammen die Heimsuchung, dann in den beiden folgenden Nischen die Gestalten der Maria und des En- gels, zusammen die Verkiindigung bildend. Auf der gegen- tberliegenden Seite dagegen stehen an der Wand zunachst finf Gestalten des frommen, den Herrn erwartenden Judenthums (Aaron, Maria Jacobi, Johannes der Taufer, Abraham, Maria Magdalena )), dann die fiinf klugen Jungfrauen, endlich Chri- stus selbst als der Brautigam, der ihnen winkt. Dann reihen sich in den Wanden des Portals zuerst die allegorische Gestalt des Christenthums, dann die drei Magier, in anbetender Stel- lung gegen die auf dem Miltelpfeiler der Thiir angebrachte Sta- tue der Jungfrau mit dem Kinde gewendet. Der Gegensatz beider Seiten ist klar. Die zu unserer Linken (mithin, worauf zu achten ist, zur Rechten der Jungfrau am Mittelpfeiler), zeigt die Verheissung, den Glauben, der auf den Herrn hofft, reprasentirt durch die auf den Messias harrenden Juden, die klugen Jungfrauen, die Kirche selbst, und endlich die Magier, welche dem Sterne folgen; die andere Seite die Weltlichkeit, namlich die weltlichen Wissenschaften, die thérichten Jung- frauen, die ihr Oel in Eitelkeit verbrennen 2), das Gesetz, 1) Welche Griinde diese sonderbare, unchronologische Ordnung bestimmt haben, ob vielleicht cin Rangverhaltniss der Heiligkeit, wage ich nicht zu entscheiden. Die Magdalena mit dem Salbengefasse in der Hand gleicht cinigermassen den klugen Jungfrauen, und mag daher diese dusserliche Ricksicht bestimmt haben, sie neben dieselben zu stellen, wie sie denn auch im Gedanken mit ihnen verwandt und 2ugleich auf eine lehrreiche Weise verschieden ist. 2) Die Stellung der Wissenschaften ist nicht immer so ungiinstig. Im Portal der alten Kirche zu Déols bei Chateau-roux (Dép. des Indre auf der Strasse nach Limoges) ist im Tympan Christus mit den 4 Evangelisten; in den Bogen 1. Engel, das Lamm in der Mitte; 2. die 7 Kinste, die Philosophie in der Mitte; 3. die Monate. Die Wissenschaften bilden also einen Ueber- gang zwischen dem Naturleben der Menschen und dem Himmel. Dagegen erscheinen sie in dem in unserem Texte gegebenen Beispiele und auch sonst dessen Stab gebrochen ist. Aber auch hier ist der Weg des Heils nicht ganz. verschlossen; wenn die Seele, wie Elisabeth in Demuth die héher begnadigte anerkennt, oder wie die Jung- frau selbst dem Rufe der Verktindigung folgt, den Heiland in sich aufnimmt, gelangt sie noch zu dem gemeinsamen Ziele. Die Jungfrau Maria ist daher recht eigentlich die Mittlerin; sie fihrt die Welt zum Heile zuriick und ist das Ziel der Ver- heissung ). Im Bogenfelde ist nun Christi Geschichte auf Er- den und seine Wiederkehr im innersten Zusammenhange dar- gestellt. Die Composition zerfallt der Héhe nach in drei dureh kleine Bogenfriese getrennte Abtheilungen, von denen aber die beiden unteren doppelte, iibereinander gestellte Reihen enthal- ten, die untere Abtheilung enthalt zur Rechten des Beschauers (also auf der Seite der Welltlichkeit) die Geburt Christi und die Ankunft der Hirten, zur Linken (auf der Seite der Ver- heissung) Geschichten aus der Passion Christi. Dann in der obern Reihe die Auferstehung, und zwar dort die der Sander, welche ihre Grabsteine mit Mithe erheben, hier die der Ge- rechten, welche frei und froh einhergehen, diese von einem Engel, jene von einem hinderingenden Teufel gefiihrt. In der zweiten Abtheilung nimmt Christus am Kreuze in etwas grésse- rer Dimension die ganze Mitte ein; das Kreuz ist auch hier als zackiger Baumstamm dargestellt, der Schadel, das Zeichen des besiegten Todes, liegt darunter. Am Fusse des Kreuzes sieht man zur Rechten Maria und Johannes und hinter ihnen Selige, zur Linken die Kriegsknechte und hinter ihnen Ver- dammte, welche ein Teufel fortzieht. Die Scheidung der Men- schen, wie sie sich am Kreuze zeigte, ist daher mit der, welche der Auferstehung folgt, in Verbindung gebracht. In einer oberen Reihe iiber den Armen des Kreuzes sitzen dann auf beiden Seiten die Apostel und es beginnt also schon das himm- lische Ereigniss, welchem die dritte Ablheilung gewidmet ist. Denn hier ist nun Christus als Weltrichtcr dargestellt, auf dem Throne sitzend, Maria und Johannes wie gewdhnlich firbittend neben ihm knieend; Engel mit Marterwerkzeugen und Posaunen stehn und schweben umber. Das ganze Relief enthalt daher, um es zusammen zu fassen, die Geschichte des Heils und des Gerichts, der Erde und des Himmels; und zwar so, dass der irdische Hergang, obgleich nach menschlicher Betrachtungs- weise der Vergangenheit angehdrig, als die Ursache des Ge- richis, mit den Wirkungen, der Scheidung der Gerechten und Ungerechten am jiingsten Tage verschmolzen ist. Es ist spe- ciell die Geschichte Christi und zwar so, dass sie von seiner Geburt bis zu seiner Wiederkunft aufwiirts und von dieser in ihren Wirkungen wieder abwirts steigt. Zeit und Raum ver- schwinden fiir diese Betrachtung der Ewigkeit und die ent- entschieden als profan, dem Heiligen entgegengesetzt. Auf dem Bilde der Verherrlichung des h. Thomas v. Aquin in der Capelle degli Spagnoli bei S.M. novella in Florenz stehen zu den Fiissen des grossen Theologen zur Linken die 7 Schulwissenschaften, jede mit einem heidnischen Vertreter (Py- thagoras, Euclid u.s. f.), zur Rechten aber 7 geistliche Kinste, die verschie- denen Zweige der Theologie und Jurisprudenz, jede mit einem Geistlichen. 1) Die Deutung der ersten Figuren neben der Thiire ist schwieriger, Auf der Seite der Verheissung finden wir nimlich die Wollust und Verleum- dung durch Unterschriften bezeichnet und neben ihnen einen Engel, an den sich dann erst Aaron und die folgenden im Text erwahnten Figuren anrcihen. Auf der anderen Seite dagegen gehen die h. Margaretha und Katharina der Astronomie, die den Reigen der Kiinste eréffnet, voraus. Es kéunte damit gesagt sein, dass durch die Sande und ihre Erkenntniss, welche der Engel andeuten miisste, der Weg zum Heile und der gliubigen Aufnahme der Ver- heissung hindurchgehe, wihrend auf der andern Seite die natirliche Reinheit aur natirlichen, ungeniigenden Weisheitsliebe und dadurch zur Eitelkeit fihre. Die Erklirung scheint indessen zu gesucht und nicht ganz im Geiste des Mit- telalters, so dass ich sie nur als eine Hypothese gebe. — Vielleicht sind auch bei einer Reparatur einzelne dieser Gestalten vertauscht. —