Geriemsel herumzieht. Das Ganze macht einen hochst ge- schmackvollen Eindruck. Das Gelb, welches hier offenbar die Stelle des Goldes vertritt, ist die am meisten vorherrschende Farbe. Nachsldem verdient die Seite mit dem Marcus, der von den gefliigelten Zeichen der vier Evangelisten umgeben ist, wegen der wunderschénen Arabesken in Blau, Gelb und Roth auf schwarzer Fillung, am meisten Beachtung. Dieser merk- wirdige Codex ist im Jahre 967 nach St. Gallen gekommen. Verschiedene Umstande lassen nun fiir mich kcinen Zweifel tibrig, dass die Figuren, Rander und Initialen im Cuthbertsbook, welches fiir das Hauptdenkmal altangelsachsischer Minialturma- lerei gilt, entweder von irischen, oder doch von solchen an- gelsaichsischen Monchen herrihren, welche Schiiler der irischen gewesen sind, Jener bildliche Schmuck stimmt namlich in allen Theilen véllig mit den obigen, besonders mit den letzten, un- zweifelhaft irischen Denkmalen tiberein. Der heilige Cuthbert aber trat noch sehr jung als Minch in das Kloster Mailros am Tweed, welchem als Abt Hata, ein Schiller des obenerwahnten Iren, St. Aedan, vorstand, ja er bekleidete spater (von 666— 676) die Stelle als Prior in dem Kloster Lindisfarne, welches der heil. Aedan gegriindet und in welchem er bis zu seinem Tode gelebt hatte. Mit der irischen Klostergelehrsamkeit war aber auch sicher die irisische Art der Schrift- und der Minia- turmalerei nach Lindisfarne verpflanzt worden, und um so ge- wisser dort zur Zeit des heil. Cuthbert noch in Ausitbung, als dem Aedan im Jahr 651 ein anderer Irlinder, Finan, als Abt und Bischof gefolgt und erst im Jahr 660, oder 661, mithin nur wenige Jahre vor dem Eintritt des heil. Cuthbert, gestor- ben war. Hierzu kommt, dass unter allen in den wichtigsten englischen Bibliotheken ven mir aufgesuchten Manuscripten, de- ren bildlicher Schmuck wegen eines Textes in angelsaichsischer Sprache auf angelsdchsischen Ursprung schliessen ldsst, das Cuthbertshook ganz allein dasteht, indem alle die ibrigen zwar in dem Figtirlichen nicht so willkirlich-arabeskenartig, im Or- namentalen aber auch nicht entfernt von so feiner und ge- schmackvoller Ausbildung erscheinen. Dagegen méchten sich héchst wahrscheinlich ausser den drei obigen, sicher irlindi- schen Handschriften auch anderweitig, am wahrscheinlichsten in den Bibliotheken in Irland, noch ebenfalls irlandische Hand- schriften vorfinden, deren bildlicher Schmuck mit jenen tber- einstimmt. Es diirfie nach vorstehender Auseinandersetzung als eine ausgemachte Sache anzunehmen sein, dass der aus den kiinst- lichen Windungen (Geriemsels) und allerlei phantastischen Ge- schépfen, Drachen, Sehlangen, Vogelképfen, bestehende Ver- zierungsgeschmack, von welchem sich in der griechisch-rémi- schen Kunst keine Spur vorfindet, bei dem celtischen Volk der Irlander sowohl erfunden worden, als zu einer grossen Aus- bildung gelangt ist. Der ausserordentliche Einfluss, welchen derselbe sowohl auf die romanischen als germanischen Vilker des ganzen Mittelalters ausgetibt hat, ist ebenso bekannt, als erklarlich. Durch jene zahlreichen, von Irland ausgehenden Pflanzschulen fir die Ausbreitung des Christenthums wurde jener Geschmack iberall verbreitet, und zwar um so mehr, als die Irlander noch langere Zeit mit ihren religidsen Stiflungen in Verbindung blieben, wie z:B. in St. Gallen noch im Jahr 841 der irlandische Bischof Mark, mit seinem Gefihrten Moengal, auf der Riickkehr von einer Reise nach Rom fiir immer in je~ nem Kloster blieb, und der letztere der Lehrer der als Kistler beriihmten Ménche Notger des Stammlers und Tutilos wurde. Durch die grosse Zierlichkeit und Schénheil musste aber dieser Verzierungsgeschmack sich ebenso sehr als durch sein, der damaligen Sinnesweise entsprechendes phantastisches Element empfehlen. Wenn uns derselbe daher in den mannigfaltigsten von zwei nach der Mitte gekriimmten, gelben Streifen gebildet, auf denen, wo die Hinde sein sollten, das offene Evangelium mit der Aufschrift ,Johannis“, befindlich ist. Der untere Theil des Kérpers ist aber nur durch vier senkrechte und parallele Streifen von citrongelber Farbe angedeutet. Auch die Rander und Initialen sind derselben Art, wie in der Handschrift zu Paris, nur dass Alles ungleich roher gemacht ist. Sonst be- findet sich in der 70 Seiten umfassenden Handschrift nur noch das Evangelium des Marcus und Glossen. Das reichste und merkwiirdigste mir bekannte Denkmal dieser Kunst ist indess ein Evangeliarum (No. 51.), dessen Fo- lioformat sich noch dem Quart nahert, und dessen irlindische Schrift auf das Ende des 8. Jahrhunderts deutet. Es enthalt auf 268 in einer Columne in Minuskel beschriebenen Seiten an Bildern die vier Evangelisten, die Kreuzigung, das jiingste Ge- richt, einige ganz mit Verzierungen bedeckte Seiten, und reich- verzierte Rander und Initialen. Der ganzliche Mangel an Sinn fir die organische Bedeutung der Form von Menschen und Thieren, und die vdllige Unfahigkeit diese wiederzugeben, ver- bunden mit dem ungemein ausgebildeten Geschmack an Ara- besken und einem seltenen Geschick dieselben auszuliihren, hat hier Missgestalten von einer Scheusslichkeit hervorgerufen, von der man sich, ohne sie gesehen zu haben, keine Vorstel- lung machen kann. So sind die einzelnen Theile der Kaépfe, namentlich Nase und Mund ganz frei, und ohne irgend auf die Naturméglichkeit Riicksicht zu nehmen, als Schnérkelwerk, die Gewander als eine Fliche behandelt, worauf die Motive sym- metrisch-mechanisch mit dicken Strichen angegeben, und da- zwischen allerlei Verzierungen angebracht sind. Von den Evan- gelisten macht Marcus, bei dem auch Haar und Bart so ага- beskenartig angegeben sind, den scheusslichsten Eindruck, und gleicht einem grossen, vermummten Pavian. Am ungeheuer- lichsten erscheint aber doch der Christus am Kreuz. In den rohen Umrissen des Kopfes kann von irgend einem Typus gar nicht die Rede sein, und aus dem entsetzlichen Wulst des ara~ beskenartig verschlungenen Purpurgewandes, welches den Kér- per bedeckt, kommen die rothen Arme, die zwergartigen, blauen Beine auf die wunderlichste Weise hervor. Auf dem jiingsten Gericht hat dagegen der im hellen Purpurgewande thronende Christus ganz die verschnérkelten Ziige des Matthaus. Wah- rend er mit der erhobenen Rechten nach dem Ritus der latei- nischen Kirche segnet, driickt er mit der Linken die heilige Schrift und das Kreuz an sich. Die verzierten Seiten, Rander und Initialen verrathen dagegen einen so richtigen architekto- nischen Sinn der Eintheilung, einen so grossen Reichthum schéner und eigenthiimlicher Motive, einen so gewahlten Ge- schmack in der Zusammenstellung der Farben, endlich eine so seltene technische Vollendung, dass man sich zur gréssten Be- wunderung hingerissen fiihlt. Schon der Rand des Matthaus enthalt eins der reichsten Beispiele jenes feinen Geriemsels mit den fiir die irlandische Kunst so charakteristischen einander beissenden Schlangen und Vogelképfen. Auch die Initialen auf der Seite gegeniiber in demselben Geschmack gehéren zu dem Ausgezeichnetsten dieser Art. Weit die Hauptsache aber ist doch auf der sechsten Seite ecnthalten. In der Mitte befindet sich auf der, tberhaupt in diesem Manuscript, wie in dem Cuth- bertsbook haufigen, schwarzen Fiillung, welche mit jenen, auch im Eyangeliarium des Willebrord vorkommenden, spiralformigen Verzierungen versehen ist, ein kleines Kreuz. Umher vier Felder, ebenfalls auf schwarzer Fillung, mit weit den reich- sten und feinsten Drachenverschlingungen und Gerinnsel, wel- ches ich kenne. Diese vier Felder werden durch einen Streifen von cinem schénen Blau eingefasst, um welche endlich wicder, in musterhafter, réumlicher Eintheilung, sich ein sehr reiches