Thranen aus“, sagt der betriibte Vater, der dem Dahingeschie-
denen einen kurzen Abschnitt in seinem Buche widmet.

_ Mit besonderer Vorliebe behandelte Schadow unter seinen
Darstellungen aus der Zeitgeschichte in Zeichnungen solche,
die sich auf Luther’s Leben und Wirksamkeit beziehen. Der-
gleichen Compositionen waren noch 1832 mit Gold erhéht auf
der Berliner Ausstellung zu sehen, und zwar den Luther dasr-
stellend wie er als Bruder Martin die Theses an die Witten-
berger Kirche heften lasst. Auch existirt von ihm eine kleine
Statuette nach dem Wittenberger Standbilde.

Zahireiche Portraitstatuetten, Biisten und kleinere Monu-
mente gingen aus seiner Werkstatt hervor, aber so unablassig
als er, selbst auf seinen Geschafts- und Erholungsreisen, auch
an demjenigen Werke gearbeitet, in welches er die Prinzipien,
denen er bei Austibung seiner Kunst gefolgt war, niedergelegt
hat, so erhielt er die eigentliche Musse dazu erst seit dem Jahre
1828, mit welchem die Arbeiten im Atelier so ziemlich fiir
abgeschlossen zu betrachten sind.

Fleissig setzte nach dieser Zeit der Kiinstler seine Vermes-
sungen auf die lebende Natur fort. Es lag ihm daran, mit
Vollsténdigkeit die richtigen Verhaltnisse des menschlichen Kér-
pers in den verschiedenen Lebensaltern fesizustellen. Er fand
einen solchen Reichthum von Proportionen durch alle Lebens-
jahre ganz unentbehrlich und tadelte die Maler, welche, zum
Theil gestiitat auf die grossen Werke hochberihmter Meister,
sich begniigten, eine und dieselbe Gestaltung des Mannes, der
Frau und eines Kindes inne zu haben und diese in ihren Com-
positionen in hundert Figuren zu wiederholen. Von dieser
Schuld sprach er selbst Michel Angelo nicht frei, bei welcher
Gelegenheit er aber Rafael und Albrecht Diirer als diejenigen
Muster aufzustellen pflegte, welche eine Mannigfaltigkeit auf-
deckten, wie die lebende Natur sie darbietet. So riigte er auch
die Abweichungen, deren sich die Bildhauer zu Schulden kom-
men liessen und deren Ergebnisse z. B. achtzehnjahrige Madchen
mit zwolfjahrigen Képfen u. dgl. zu werden pflegten; ,sie geben
dem Munde nur 3 der gewéhnlichen Grésse“, sagte er, ,wo-
durch sie erreichen, dass er nicht mitspricht“.

Diesen Mangeln entgegenzutreten unterzog er sich der mih-
samen Aufgabe, durch genaue Vermessungen die richtigen Pro-
portionen auf das Papier zu bringen. So entstand das Werk:
»Polyclet oder von den Maassen des Menschen nach dem Ge-
schlechte und Alter mit Angabe der wirklichen Naturgrésse
nach rheinlind. Maasse*. Als Fortsetzung dieses Werkes, das
weniger mit Buchstaben als mit den unterrichtenden Linien des
Zeichnenstifts geschrieben ist, und im Jahre 1834 herauskam,
erschien schon in dem darauf folgenden Jahre: ,Die National-
physiognomie oder Beobachtungen tber den Unterschied der
Gesichtsziige und die dussere Gestaltung des menschlichen Kopfes
in Umrissen bildlich dargestellt*. Beide Werke bestehen aus je
29 Tafeln Abbildungen in Fol. mit Text in deutscher und fran-
zosischer Sprache. Wir miissen hier noch nachholen, dass der
Kistler schon im Jahre 1830 zum Gebrauch bei der Akademie
der Kinste in 30 Tafeln eine ,Lehre von den Knochen und
Muskeln, von den Verhaltnissen des menschlichen Kérpers und
dem Verkiirzen* angefertigt hatte, welche gleichsam als einlei-
tende Vorbereitung zum Polyclet angesehen werden kann. Der
Titel des letztgenannten Werkes ist in Erinnerung an denjenigen
Meister griechischer Sculptur gewahlt, der in seinem Canon
von Marmor ein Muster fiir die richtigen Verhaltnisse hinge-
stellt haben wollte, wie es Sehadow in seinen Tabellen that.
Diese zeigen die Verhaltnisse des menschlichen Korpers bei-
derlei Geschlechts in den verschiedenen Lebensstufen yon der
Geburt an bis zur vollkommenen Entwickelung des Kérpers,
in einem vergleichenden Ueberblick von drei Seiten, mit An-
	sagt — kunstgemassen Bekleidung, d. h. Anklange an antike
Gewandung mit modernen Andeutungen, wie Gamaschen u. dgl.
Eine Léwenhaut deckt den Riicken, wahrend der Kopf des Wi-
stenthiers auf der Brust des Helden ruht. Auf Géthe’s Rath ist
auch diese Haut mehr symbolisch als real gebildet, so dass sie
mit dem Mantel eins zu sein scheint. Gothe sagt dariiber: ,Und
so steht dieses Bild, wie auf dem Scheidepunkt alterer und
neverer Zeit, auf der Grenze einer gewissen konventionellen
Idealitit, welche an Erinnerung und Einbildungskraft ihre For-
derungen richtet, und einer unbedingten Natirlichkeit, welche
die Kunst, selbst wider Willen, an eine oft beschwerliche Wahr-
haftigkeit bindet.“ — Da hat Géthe ganz Recht. Nur war
Schadow eigentlich der Mann, der sich nicht lange bei den Con-
cessionen, die ein Grenz— oder Scheidepunkt zu fordern scheint,
aufhielt. Er schlug den Zopf lieber gleich mit dem Zopfe, und hat
es gar wohl verstanden, zu zeigen, wie sich die Kunst von
jener beschwerlichen Naturtreue befreit, indem sie dieselbe an-
erkennt und, so weit es geht, kiinstlerisch verwerthet.
Es handelte sich hier um die Portraitstatue eines allgeliebten
Landsmannes. Gd6the aber versinnbildlichte in ktinstlerisch aller-
dings wohlersonnener und ausgeftihrter Weise die Idee des mit
vereinten Kraften und beharrlich verfolgten Sieges iber Erobe-
rungsgewalt, Schadow liess die Ideen des Dichters gelten und
anderte selbst nach ihnen. So hatte er den Sturz von Ligny auf
der einen Tafel des Piedestals nach der Wirklichkeit abgebil-
det. Gdthe hielt den Gegensatz: den Sieg bei Bellealliance mit
eben so wenigen handelnden Hauptpersonen fir nicht ausfthr-
bar, und so kam das Symbolische in beide Darstellungen. Das
Denkmal wurde dann in Erz gegossen, und Schadow gab dar-
uber eine Kleine Schrift heraus: ,Ueber das Denkmal des Fiir-
sten Bliicher, als es am 26. August 1819 zu Rostock feierlich
aufgestellt wurde.“ In seinem Buche: ,,Kunstwerke etc.“ theilt
er die betreffende Correspondenz mit Gothe ausfthrlich mit.
Am Tage der Aufrichtung erkrankte der Meister wiederum so
heftig, dass die Zeitungen bald darauf seinen Tod meldeten.
Doch genas er verhaltnissmassig rasch zu fernerer Arbeit. Wir
mitissen hier noch bemerken, dass bei der Statue Bliichers in
Breslau von Rauch eine anfanglich von Schadow entworfene
Zeichnung beibehalten worden ist.

Inzwischen war der wahrend der Kriegszeit nur langsam
geférderte Plan zum Lutherdenkmal wieder aufgenommen worden.

Mansfeld, welches durch seine literarische Gesellschaft die
Idee angeregt hatte, Eisleben, als Geburtsort des grossen Re-
formators und Wittenberg als Ort seiner gréssten Wirksamkeit
und seiner Grabesstatte erhoben den Anspruch, die Statue in ih-
ren Mauern errichtet zu sehen. Der Kénig entschied fir Wit-
tenberg, wo sie im October 182{ auf dem Marktplatze aufge-
stellt wurde. Sie ist in kolossalen Verhiltnissen in Bronce ge-
gossen und zeigt den unerschrockenen Kaimpfer auf dem Ge-
hiete des Glaubens in faltiger Priestertracht, in der linken
Hand die geéffnete Bibel, auf welche er mit der Rechten hin-
weiset. Das granitne Piedestal enthalt ausser der Votivtafel der
Riickseite drei Kernspriiche Luther’s. Ein Baldachin von Eisen-
guss in Spitzbogenform wolbt sich tiber der Statue. Auch die
Errichtung dieses Standbildes begleitete Schadow mit einem
Werke, betitelt: ,Wittenbergs Denkmaler der Bildnerei, Bau-
kunst und Malerei mit historischen und artistischen Erlauterun-
gen.“ 1825, Die Bearbeitung des Textes tibernahm Fr. Forster.

Zu Anfang des Jahres 1822 halte er den herben Schmerz
seinen dltesten Sohn Rudolf durch den Tod zu verlieren. Der-
selbe starb, wo er geboren war, in Rom, mitten in der Ent-
faltung eines herrlichen Talents und mit einer fast vollendeten
Gruppe des Achill und der Pentesilea beschaftigt. ,Die Durch-
sicht seiner Papiere presst mir noch nach vielen Jahren bittere