An dem oberen Rande befindet sich in einer kleinen, goldnen Majuskel folgende, durch beide Seiten laufende Schrift: ,,Hunc praeceptoris Hartmoti jussa seculus Folchardus studuit rite pa- trare librum“. Wenn wir hieraus nun mit Sicherheit erfahren, dass ein Monch Folchard der Urheber dieses schénen Manu- Scripts ist, bleibt es noch zu bestimmen, ob unter jenem Hart- mod der erste Abt dieses Namens, mit dem Beinamen Grimaldus, welcher um 841, oder der Zweite, welcher um 871 diese Stelle in St. Gallen bekleidete, zu verstehen ist. Nach dem Typus der Kopfe, welcher sich schon dem des 10. Jahrhunderts nahrt, so wie nach dem Character der Verzierungen miéchte ich mich in- dessen fiir den letzteren entscheiden. Das eigentliche Frontispiz des Psalters besteht wieder in einer Purpurseite (30) mit ahn- licher Schrift in zwei Columnen: In Christi nomine incipit psal- terium. Das J ist hier nicht minder gross und prachtig, als jenes P und auch die Verzierung des Randes mit Quadraten in den Ecken und Mitten, worin goldne Kreuze auf Menniggrund, sehr reich und schén. Alles Vorige aber an Pracht und Kunst libertreffend ist das die ganze folgende Seite einnehmende В, welches das Psalterium, nach dem bekannten Anfang: ,,Beatus vir qui non abiit“ erdffnet. Der Grund der Seite ist hier sil- bern, die Fillungen des sehr schén geschlungenen, goldnen Geriemsels, woran die darin einbeissenden Schlangenképfe den Einfluss jener irlindischen Kunst verrathen, sind von dunkel- grimer Farbe, welche leider zum Theil abgeblattert ist. Der zweite Psalm wird (S. 33) durch ein zwar kleineres aber in alinlich prachtiger Weise behandeltes Q eréffnet, und dergleichen Initiale befindet sich, was wohl in dieser Pracht nicht wieder vor- kommen méchte, zu Anfang eines jeden Psalms. Manche davon sind von sehr geistreicher Erfindung, so dass D auf S. 40, ein sich baumender Drache. Ja ausser verschiedenen, welche die halbe Seite einnehmen, kommen noch zwei Purpurseiten (135 und 236) wie S. 30 und zwei Initialen, ein O und ein D (S. 216 und 237) vor, welche jenem B an Umfang und Schdnheit nichts nachgeben. Obgleich von ungleich einfacherer Ausbildung, muss ich doch in Bezug auf die Initialen noch kurz eines Evangeliariums (Nr. 54) von ahnlichem Format, welches 185 in einer Columne mit einer starken Minuskel beschriebene Blatter enthalt, und wohl ebenfalls der 2. Hilfte des 9. Jahrhunderts angehért, ge- denken. Die denen in der Bibel Carls des Kahlen in der Na- tionalbibliothek zu Paris verwandten Initialen zeigen namlich in ihrem romanischen Geschmack einen eigenthiimlich grossartigen Character, und 6fter eben so gliickliche, als héchst originelle Erfindungen. Dahin gehért ein grosses J vor dem Capitel des Marcus, welches den Besuch der Frauen am heiligen Grabe enthalt, mit zw6lf mit selmem Stylgefiih! angeordneten Drachen- kopfen, welche in das Geriemsel einbeissen. Das zahlreiche Vorkommen von dergleichen beweist einen sehr starken Einfluss der irlandischen Kunstweise. Auch ein A (S. 102), dessen einer Schenkel von trefflich stylisirtem Blatterwerk, der andere von einem schénen Pfau gebildet wird, zeichnet sich besonders aus. Der Korper der Initialen besteht hier aus Gold mit Umrissen in Mennig, die Fillungen sind meist spangriin, silbern, men- nigroth, und in kleinen Flichen purpurn. Es ware sehr zu wiinschen, dass eine Auswahl dieser Initialen in dem so wohl- feilen Steindruck herausgegeben werden michte. Einige Dar- stellungen von Aposteln, Engeln etc. sind sehr roh und ver- dienen daher keine nahere Beachtung. In Betreff jener Vulgata in St. (Calisto bemerke ich an die- ser Stelle, dass ich, nachdem ich sie einer genauen Priifung unterworfen, wegen der grossen Uebereinstimmung der Male- reien und Verzierungen mit denen in Handschriften der Natio~ nalbibliothek in Paris, welche sicher gegen Ende des 9. Jahr~ hunderts fallen, mit Bestimmtheit fir ein Denkmal, welches von Kaiser Karl] dem Dicken veranlasst worden, halten muss. Zu meiner grossen Befriedigung erfuhr ich erst spdter, dass der grosse Kenner alter Schrift, Perz, aus palaeographischen Griin- den dasselbe Urtheil gefallt hat. Schon nach den Durchzeich- nungen bei d’Agincourt hatte ich jene Bibel fir spater als Karl den Grossen, und muthmasslich aus der Zeit Carls des Kahlen erklart. ) Sehr wichtig, sowohl durch den hohen Kunstwerth in Be~ tracht der Zeit, als wegen des Nachklangs antiker Malerei in allen Theilen, ist zunichst ein leider zu Anfang und Ende unvollstandiger Codex (Nr. 338), ein Antiphonarium, ein Sa- cramentarium und andere kirchliche Ritualschriften, aus dem 10. Jahrhundert. Derselbe ist in klein Folio und umfasst 798 in einer Columne von verschiedenen Handen in grosser und klei- ner Minuskel beschriebene Seiten. Das Sacramentarium wird уоп 5. 336 an durch drei Purpurseiten mit goldner Capitalschrift eréffmet. Auf der S. 338, mit prachtigen Initialen in Glanzgold von Mennigumrissen, liest man oben ebenfalls in goldner Schrift: ,sante pater Galle Gotescalco premia redde“, Der Rand, wel- cher auf schwarzem Grunde ein a Ja Grecque von abwechselnd hellgriiner, hellpurpurrother und hellblauer Farbe enthalt, macht ganz den Eindruck einer antiken Mosaik, Die 8. 341 enthalt ausser einem schénen & in der Art der obigen Initialen die Kreu- zigung. Der Christus, im bartigen Typus, bis auf das rechts geneigte Haupt in aufrechter Stellung, und mit vier Nageln ohne Fussbrett befestigt, ist von gutem Verhialtniss und einfacher, doch nicht ungeschickter Angabe der nackten Theile. Das grosse Lendentuch ist von dunkelblauer, der Nimbus von gri- ner Farbe mit blauem Kreuz. Maria, die Linke gegen die Wange, die Rechte massig erhoben, Johannes, die Rechte lebhaft er- hoben, in der Linken ein Buch, driicken ihren Schmerz deut- lich und edel aus. Der byzantinische Einfluss zeigt sich hier nur in dem Goldgrunde und dem gelblichen Localton des Flei- sches mit griinlichen Schatten, denn die Ovale, so wie die itbrigen Formen, sind véllig. Hinde und Fiisse sind von verhdliniss- massig guter Zeichnung. An der blauen Tunica des Johannes finden sich Halbténe angegeben und die Lichter in antiker Weise breit aufgesetzt. Leider hat dieses Bild sehr gelitten. Auch in dem anderen, auf der §. 503 vorhandenem Bilde, der Aus- giessung des h. Geistes, zeigt sich jener Ménch Gottschalk, deren wahrscheinlicher Urheber, als ein sehr tichtiger Kistler seiner Zeit. Von den zwolf Aposteln (die Maria fehlt hier), in denen die Motive der Feier und Begeisterung mannigfaltig und sprechend sind, sieht man nur von sieben die Képfe, in- dem die tibrigen von den goldnen Nimben bedeckt werden. Zwei haben Purpurgewdnder an, die Fiisse sind mit Sandalen bekleidet. Die Képfe sind hier blassgelber im Ton und flacher gehalten. Ueber den Figuren befinden sich vier Rundbégen mit purpurnem Grunde; dartiber wieder die Angabe von Jeru- salem, worin in Form, Farbe und Vortrag noch die Weise der pompejanischen Malereien wahrzunehmen ist. Dasselbe gilt auch von dem Rande, einem Laubgewinde mit Rosaband. Auch ein anderer Christus am Kreuz, fast nur eine Zeich- nung, Jebend und mit aufrechtem Haupte, sonst wie der obige aufgefasst, S. 190 einer anderen Handschrift von ahnlichem In- halt (No. 339) erweckt durch die fiir das 10. Jahrhundert tber- raschend gute Zeichnung, zumal der Beine und Fiisse, yon der Malerschule zu St. Gallen in jener Zeit cine sehr vortheilhafte Vorstellung. In einem Codex ahnlichem Inhalts (No. 341) in 4to, wel- cher 738 Seiten enthalt, sind zwar die schdnen Initialen ganz 1) $. Kunstwerke und Kinstler in Paris. 8. 203.