rein die antike Tradition fest. Aber auch durch die Gegen- stinde und den Kunstwerth mancher Bilder ist diese Handschrift sehr merkwiirdig. Auf der ersten Seite befindet sich in der Mitte von zwei so in einander gestellten Quadraten, dass, nach unten hin, das eine auf einer Seite, das andere auf einer Spitze steht, in einer goldenen Mandorla der thronende Christus im Mosaikentypus, mit einer hellblauen Tunica und purpurner Toga bekleidet, welcher den sich neigenden Petrus und Paulus zu den Seiten Schriftrollen’ tiberreicht, in der Art, wie dieses auf altchristlichen Sarcophagen vorkommt. Der Grund von _ bei- den ist golden. Oben und unten je drei Streifen, von denen zwei goldene, sehr zierliche Ornamente von antikisirenden Mo- liven, die vier anderen abwechsend blau und grin, in, bis auf das gothische EH, reiner Capitalschrift die Worte , Liber novi testamenti“ enthalten. In den acht Ecken der Quadrate ebenso viele Runde mit den Brustbildern von Heiligen. Der gelbbraune Ton des Fleisches, das magere, gradlinigte Faltenwesen und Anderes sprechen fiir entschieden byzantinischen Einfluss. Auf dem Blatt 2. a. oben von derselben Hand ein viersauliger, an- tiker Tempel mit drei hibschen Acroterien in der Frontansicht. Die Capitelle und Basen der beiden mittleren Sdulen .werden von kauernden Menschen gebildet. Ueber die von Anna und Joachim dem Hohenpriester dargestellte, kleine Maria schwebt ein Engel mit einer Krone. Ein unten auf einem Prachthette schlafender Mann, welcher ein Engel bedeutet, wahrscheinlich Joseph, rihrt von einer zweiten, minder kunstfertigen, aber nicht von byzaniniischem Einfluss bestimmten, und mehr nach Individualitat strebenden Hand her. Der Rand enthalt auf dun- kelbraunem Grunde in Purpur, Hellbraun, Griin und mit Weiss gehoéhtem Golde ein sehr schénes ala Grecque. 8.3 zeigt ein besonders geschmackyolles grosses C in dem bekannten Riem- selgeschmack und einen prachtigen Rand in ebendemselben. Auf der 8.5 werden zwei Drittheil von der Darstellung einer Art Burg eingenommen, worin eine thronende Gestalt mit einer Art Krone, und vierzehn andere mannliche Personen, von denen einige Rollen yon ihm empfangen, zwei zu seinen Fiissen aber schreiben. Ob hiermit Christus, Hieronymus, Lucas, dessen Evangelium zunachst folgt, oder wer sonst gemeint ist, bleibt mir undeutlich. Darunter Joseph, welcher mit Maria zur Schat- zung nach Bethlehem zieht. Die dritte Hand, von welcher die- ses Bild herrihrt, hat bereits die in den Mss. Heinrich II vor- waliende Kunstweise mit dem sehr einférmigen und kunstlosen Typus der Képfe mit den runden Augen, welcher auf einem hellgelben Anstrich mit Hellbraun gezeichnet ist, so wie die hellen, gebrochenen matten Farben der Gewander mit dem sehr sauber, aber meist, ohne Verstandniss hineingesetzien Falten- motiven. Die Anbetung der Hirten von der ersten Hand ist eine getreue und fleissige Nachahmung eines schénen byzanti- nischen Vorbildes. Nur die Judenmiitzen der Hirten scheint ein Zusatz des Kiinstlers, wenigstens habe ich dergleichen auf Alteren byzantinischen Miniaturen nicht angetroffen. Hine sel- tene Vorstellung ist die Predigt Johannes des Evangelisten auf S. 11, von der zweiten Hand. Sowohl die Rohheit als das Stre~ ben nach Individualisiren tritt in den zehn Zuhérern im Costiim der Zeit mit theilweise krummen Nasen besonders deutlich her- vor. Dasselbe gilt auch von der reichen Steinigung des heil. Stephanus auf der 12. Seite, worin einige der Steiniger sehr individuell, selbst sprechend im Ausdruck der Bosheit sind. Vier Heilige, von denen einer in einen Kasten steigt, rithren endlich von jener vierten Hand her, welche ich oben als in den Gewandern strenger anlik, tbrigens von friihromanischem Charakter bezeichnet habe. Auch die noch tbrigen Bilder der Handschrift verdienen eine néhere Beachtung. Ich begniige mich davon die Darstellung im Tempel (S. 48), wegen der strengen mosaikartigen Anordnung, und die Hochzeit zu Cana (s. 8. 33), wegen des sehr individuellen Profils der Maria anzufiihren. Das Ganze ist ein sehr merkwiirdiges Uebergangsdenkmal zu der in den Handschriften Heinrichs II ausgebildeten Kunstweise. Dass letztere gleichzeitig auch im nérdlichen Deutschland und namentlich in Sachsen ausgetibt worden ist, beweisen die Miniaturen in drei von dem heiligen Bernwart, der vom Jahre 993-1022 den bisch6flichen Stuhl von Hildesheim inne hatte, geschriebenen und wohl auch sicher mit den Malereien ge- schmiickten Evangeliarien, welche noch jetzt im Domschatz von Hildesheim aufbewahrt werden. Die Bilder, wie die Initialen haben einen ahnlichen Character, namentlich jenen hellen, mat- ten, gebrochenen Ton der Farben; nur stehen sie in der ziem- lich rohen Ausfihrung jenen weit nach und sind namentlich die Initialen viel einfacher und kunstloser. Stand der Kunst in Minchen beim Beginn des Jahres 1850. Yon Dr, Ernst Forster. Е (Vergl. No. 2. und 7.) ИЕ Malereil. Kaulbach ist ununterbrochen thitig fir sein grosses Werk in Berlin. Zu den sechs Hauptbildern aus der Weltgeschichte kommen noch eine betrachtliche Anzahl Nebenbilder, Gruppen, Einzelgestalten, Darstellungen und Ornamente, die alle den durch die Conception gezogenen Faden weiter spinnen. Von diesen Nebenbildern sahen wir im Lauf des Winters die Zeich- nungen zur ,Sage“ und zur ,Geschichte*; ferner Moses und Solon, und daran tiberall Charakter und Bedeutung in klaren Ziigen ausgepragt: im Solon den Gesetzgeber aus tiefem Men- schenverstand, im Moses die géttliche Inspiration; in der ,Ge- schichte* die ewig jugendliche und doch wehmuthvolle Schén- heit, in der ,Sage“ den rathselhaften, unheimlichen und doch machtig anziehenden und fesselnden Reichthum. Von den grossen Geschichtsbildern ist der ,Homer“ im Carton begonnen. Diese Composition gehért gewiss zu den eigenthiimlichsten des Kiinst- lers, und lehrt uns fast mehr die Beschaffenheit des Spiegels kennen, als die des Spiegelbildes. Folgt schon Cornelius bei den mythologischen Bildern der Glyptothek mehr romantischen, als altgriechischen Eingebungen, etwa wie Géthe in der Iphi- genie, so ist der ,Homer* von Kaulbach, gleich den Géttern Griechenlands von Schiller, eine Schépfung der subjectivsten Weltanschauung, der Traum der Schénheit von ihrem Besuch auf Erden. Der leitende Gedanke dieser Composition ist: Ho- mer hat den Griechen ihre Gétter und Heroen gegeben, und mit diesen Gesetz, Kunst, Dichtkunst, Wissenschaft, kurz die Bildung, die sie zum glicklichsten Volke der Erde gemacht hat. Anders, als im Gewande der Poesie, konnte dieser Ge- danke der Geschichte nicht zur Anschauung gebracht werden, und Kaulbach hat das phantasiereichste ausgewahlt. Mit der Sibylle am Steuerruder naht auf schwankem Kabse der blinde Singer vom Zorn des Achilleus dem griechischen Ufer; des Gefeierten Mutter erhebt sich, von Nereidea umgeben, aus den Wogen, um dem schmerzerneuernden und doch beseligenden Liede zu folgen; am Ufer sitzen die Weisen und die Dichter von Hellas und lauschen dem Gesange, Maler und Bildhauer treten herzu, um ihrer Gestaiten Mass und Zuge zu empfangen, und von den Fluren und aus den Waldern kommt das Volk um die Sitten zu mildern und den Muth zu starken. Ueber th- nen allen aber zichen auf dem leuchtenden Bogen des Himmels die olympischen Gétter ein in die fiir sie bereiteten Wohnungen. Kaulbach wird mit diesem Bilde manchen Widerspruch finden 43%