peten (erster Folge) gleichzeitig gefertigt und п Шиеп уоп
gleichem Werth, vor einiger Zeit fir das hiesige Museum er-
worben und kiirzlich tiber der Gallerie der Rotunde, in sehr
stattlicher, aber nicht ebenso zweckmassiger Weise, aufoe-
	stellt sind.
Unter den Kopien der Staffeleigemalde befand sich auch
	die Kreuztragung (Spasimo di Sicilia), die in jingster Zeit durch
den Professor Schlesinger, Restaurator der Gemialdegallerie
des Museums, im Aufirage des Konigs nach dem in Madrid
befindlichen Originale angefertigt ist. Bei der grossen Bedeu-
tung und dem grossen Ruf, den diese Composition unter Ra-
phael’s simmtlichen Arbeiten hat, bei der weiten Entfernung
des Originals, die die meisten yon uns auf unmittelbare Be-
kanntschaft mit demselben verzichten lasst, bei der anerkannten
Meisterschaft Schlesinger’s in der Wiedergabe der Eigenthiim-
lichkeiten der alten Meister, waren die hiesigen Kunstfreunde
auf die Erscheinung und 6ffentliche Ausstellung der Kopie leb-
haft gespannt gewesen. Man fand aber nicht, was man er-
wartet hatte, und ein ziemlich allgemeines Missbehagen war
unverkennbar. Viele wussten gar nicht, was sie aus einem
Bilde machen sollten, das so auffallend von. der raphaelischen
Behandlungsweise abwich. Einige trésteten sich kurzweg und
meinten, es sei eben eine missrathene Kopie; Andere deuteten,
nicht ganz ohne sarkastische Bemerkungen, darauf hin, dass
der beriihmte Restaurator wohl die Absicht gehabt habe, uns
einmal auf eclatante Weise zu zeigen, wie Raphael’s Bilder,
ehe Zeit und Unverstand sie in ihre dermaligen Zustande ver-
seizt, urspriinglich beschaffen gewesen seien, oder vielleicht
gar: wie Raphael eigentlich hatte malen sollen. Auf mich, ich
bekenne es unumwunden, hat die Kopie bei allem Befremdlichen
einen sehr entschiedenen, ich méchte sagen: zuversichtlichen
Kindruck gemacht und sich in diesem bei liangerem und wie-
derholtem Beschauen immer fester behauptet; sie hat mir manche
Bedenken, die mir schon bei Betrachtung der Kupferstiche der
	‘Kreuztragune aulgestiegen waren, auf die ich aber bis dahin
	kein sonderliches Gewicht legen mochte, bestitigt und néaher
motivirt, so dass ich in der That nicht allzuviel zu wagen
glaube, wenn ich aus ihr einen Riickschluss auf das Original
mache. Allerdings kommt es hiebei zundichst in Frage, in
wieweit tiberhaupt der ursprtingliche Zustand des letzteren noch
erhalten und erkennbar sein mag. Schon die Mirakelgeschichte,
die Vasari von demselben erzahlt: wie das Bild gleich nach
seiner Vollendung, also mit noch ziemlich frischen und ver~
letzbaren Farben, nach Palermo eingeschifft worden und wie
es, als das Schiff mit Mann und Maus untergegangen, in seiner
Kiste den weiten Seeweg nordwarts nach Genua zurickgelegt
habe, — schon dieser Umstand dirfte uns schliessen lassen,
dass es mit der urspriinglichen Beschaffenheit desselben eine
kritische Sache sei; da die Hauptsache des Mirakels aber eben
darin bestand, dass das Bild trotz aller atzenden Kraft des
Seewassers vdllig unverletzt an der genuesischen Kiste lan-
dete, so werden wir hiebei unser kritisches Bedenken ausser
Spiel lassen miissen, sollien wir auch in rationalistischer Aus-
legung der ehrwirdigen Tradition gar zu der gewagten Hypo-
these kommen, dass nicht die Kiste allein, sondern mit ihr zu-
gleich das solide Transportschiff den unbeabsichtigten Weg nach
Norden gemacht habe. Dann wissen wir, dass das Bild, als
es nach Paris gebracht war, dort von dem Holz auf Leinwand
libergetragen ist, und wir kénnen somit Icicht auf die Vermu-
thung kommen, dass diese schwierige Manipulation doch viel-
leicht starke Verletzungen hervorgebracht und in Folge dessen
bedeutende Uebermalung néthig gemacht haben diirfte. Aber
wir kennen genug andre Bilder, bei denen diese Operation mit
mehr oder minder gutem Erfolge vorgenommen ist, ohne doch,
	rein gefiigten Massen gothischer Dome, in denen der mensch-
liche Geist sich eine der erhabensten Wohnstitten, wiirdig sie
	mit der Gottheit zu theilen, erbaut hat. De. EK. Braun.
	Einige Bedenken tiber Raphael s Kreuztragung, nach
Massgabe der Schlesinger’schen Kopie.
	Der folgende Aufsatz ist, wie das Datum angiebt, schon
vor zwei Jahren geschrieben. Ich hatte ihn fiir das Stuttgarter
Kunstblatt bestimmt, ihn aber wieder zurtickgenommen, da er
mdglicher Weise zum Streit Veranlassung geben konnte, ohne
doch sofort zu einem die Sache abschliessenden Resultat zu
fihren. Ueberdies war die Zeit von so viel gewichtigeren
Streitfragen bewegt, dass man den Frieden im eignen Hause
doppelt gern bewahrte. Indem ich den Aufsatz jetzt, bei der
Eréffnung des neuen Kunstblattes, wieder zur Hand nehme, will
es mich doch bedtinken, dass das darin Angeregte einer an-
derweiten Beachtung nicht unwerth sei. Mége die Ketzerei
also (wenn es eine ist) in die Welt hinausgehen! Die Wissen-
schaft will ja den Zweifel, um durch die Kritik zur Wahrheit
— oder doch in die grésstmégliche Nahe der Wahrheit — zu
kommen  ),

Berlin, 15. April 1848.

Wir hatten in diesen Wochen politischer und socialer Wirr-
nisse und Stirme hier am Ort eine kiinstlerische Ausstellung,
die immerhin geeignet war, das beschauliche Gemiith aus dem
Drang der Gegenwart in den Kreis idealer, durch ihre histori-
sche Abgeschlossenheit zu einer um so ernsteren Sammlung
fiihrender Interessen hintiberzuleiten. Es war eine Anzahl, zum
grossten Theil im kéniglichen Besitz befindlicher Kopien nach
Raphael, die, im Ganzen vierzig Gemilde, in der Rotunde des
Museums aufgestellt waren. Bis auf wenige Ausnahmen nach
Staffeleigemalden des grossen Meisters ausgefiihrt, gaben sic
eine so genussreiche wie belehrende Uebersicht tiber die ver-
schiedenen Epochen seiner Wirksamkeit, von seiner, unter Pe-
rugino’s Leitung emporbliihenden Jugend an bis zu seinem Tode.
Die Kopien waren freilich von sehr verschiedenartigem Werth;
gaben einige das Bild des Meisters nur wie in einem triben,
andere gar wie in einem iibel geschliffenen Spiegel wieder, so
wehte uns aus der Mehrzahl doch sein Geist in erfreulicher
Frische entgegen, und vor Allem hatten wir in Hensel’s Kopie
der Transfiguration, der bisher in der Charlottenburger Schloss~
kapelle kein sehr giinstiger Platz zu Theil geworden ist, aufs
Neue eine Arbeit zu bewundern, wie sie die nachbildende Kunst
gewiss nur selten hervorgebracht hat. Eine Reihe von Kupfer-
stichen, theils solche, die Marc Anton nach Zeichnungen Ra-
phael’s gearbeitet, theils neuere Blatter nach seinen vatikani-
schen Fresken, reihten sich an, auch mehrere Originalhand-
zeichnungen (fast alle aus dem kéniglichen Kupferstichkabinet),
unter denen besonders der wundervolle, mit der Feder gezeich-
nete Entwurf zu dem Fischzug Petri (die zu den Tapeten ge-
hérige Composition) stets nur mit erneuter Lust betrachtet wer~
den konnie. Noch weiter vermehrt wurde die reiche Schau
durch die Tapeten, dic, mit den bekannten vatikanischen Ta-
	1) Eine Bestatigung meiner ketzerischen Ansicht findet sich in der neue-
sten Kritik des Originalgemaldes von Raphael, von dem hier die Rede ist.
Auch Herr von Quandt, in seinen ,,Beobachtungen und Phantasien dber
Menschen, Natur und Kunst auf einer Reise durch Spanien, Leipzig 1850“,
die mir so eben in die Hande fallen, erklart sich dahin, dass der Kreuztra-
gung nur cine fliichtige Skizze yon Raphael zu Grunde liege. Die Ausfih-
rung des Bildes schreibt er jedoch, abweichend von meiner oben ausge~
fihrten Hypothese, dem Francesco Penni zu. (Man vergl. seine Darstellung

auf S, 240 ff, des genannten Werkes.)