tiber einige glicklich und zufallig entdeckte Dokumente, den
Jean Goujon und Pierre Lescot betreffend, welche wir
unsern Lesern und besonders denen, welche sich fiir die vom
preussischen Ministerium gestellte, in Nr. 3. mitgetheilte, Preis-
aufgabe interessiren, nicht vorenthalten diirfen.

»1m Ministerium des Innern“, erzahit der Graf, ,,sind, wie
in allen Ministerien, die Wande des Sitzungssaales der Com-
missionen mit Glasschranken geziert, in denen einige hundert
aufgestellte Bande die Jahre nur durch eine neue Staublage zu
zahlen pflegen. Unter diesen Biichern befindet sich auch eine
&Неге Sammlung des Journal des Debats in 8., in Pergament
gebunden, von 1789 bis zum Januar 1800. Oft war mein Blick,
wenn ich Freitags cintrat, um an den Arbeiten der Commission
fiir die historischen Denkmaler theilazunehmen, wahrend ich Hut
und Handschuhe ablegte, auf diese alten, beschriebenen Per-
gamentriicken gefallen. Einmal las ich darauf den Namen: Le
sieur Gobelin, ein andermal fand ich den Namen eines maistre
macon, welchen bescheidenen Titel sich ehemals die grossen
Architekten gewohnlich beilegten, endlich sehe ich neulich den
Namen Louis Dubreuil, maistre painctre. Nun hielt ich meine
Neugier nicht linger zurtick. Ich liess mir die Schliissel ge-
ben und studirte wihrend der Verlesung des Protokolls den
Einband des Journals. Wer beschreibt mein Erstaunen, als ich
folgendes entziffere:

»An Jehan Goujon, Bildschnitzermeister in Paris, die

Summe von“ — Journal des Debats ,; Fructidor, I. Jahrg. —“
Diese Aufschrift verbirgt namlich gerade die dem Bildhauer
bewilligte Summe. Aber weiter unten lese ich:

10 sous tournoys ) namlich: 9 livres tourn.?) als Schluss-
zahlung der Summe von 135 livres tourn., welche nach dem
Contract, der mit besagtem Goujon von den Kircheniiltesten
ist abgeschlossen worden wegen eincr heil. Jungfrau der
Barmherzigkeit (Pieta?) und vier Evangelisten in halber
Lebensgroésse, fiir die Chorbithne (Lettner) dieser Kirche
u. s. w. “ 3),
Hier giebt der Einband nichts mehr. Ja welches Jahr ist nun
die Schlusszahlung zu setzen? Auf der andern Seite muss es
stehen, allein man kann nicht dazu ohne den Einband zu zer-
storen. Glticklicherweise rufen andere Bande meine Aufmerk-
samkeit an. Ich 6ffme den Band vom Marz 1791, ich lese auf
dem Deckel:
»An die Arbeiter, welche an der besagten Chorbihne fir
den Zeitraum von 109 Wochen gearbeitet haben, die Summe
von 2,464 liv. 16 sous 11 den. tourn., durch Belag von Mei-
ster Peter von St.-Quentin, Steinschneidermeister in Paris,
welcher die Aufsicht und Leitung bei der besagten Chor-
bithne hatte unter Monseigneur von Claigny, welcher Belag
datirt ist vom 15. April des Jahres 1544 nach Ostern! 4).
Hier sehen wir also klar, d. h. es wurde im J. 1544, unter
	1) Tournois ist eme Munze, die ehemals in Tours geprigt wurde und
um ein Fiinftel leichter war, als die Pariser.

2) Die Sous sind vielleicht Goldminzen, wie sie in alteror Zeit unter
diesem Namen geschlagen wurden.

3) Die Stelle lautet abrigens in der Urschrift: A Jehan Goujon, maisire
tailleur d images & Paris, la somme de vingt — — — Diz sols tournoys,
assavoir: neuf livres tournoys faisant la parpaye de la somme de six vingt
quinze livres tournoys pour le marché faict avec ledict Goujon par lesdicts
marguilliers pour une Nostre-Dame-de-Pitié et quatre evangélistes a demye
taille, servant audict pupitre dicelle église et outre luy a esté payé.

4) Aux ouvriers, qui ont besongné audict pupitre par U espace de cent
neuf semaines la somme de 2,464 liv. 16 sols 11 deniers tournoys, — par
certiffication de maistre Pierre de Sainct-Quentin, maistre tailleur de pier-
res @ Paris, ayant le gouvernement des compaignons et la conduicte dudit
pupilre sous monseigneur de Claigny, icelle certiffication datée du quin-
siesme jour d avril, an mil cing cens quarante-quatre aprés Pasques.
	schen Schnitzwerk wiederkchren ). Nicht minder entsprechen
die Riistungen der Krieger in Form und Behandlungsweise den-
jenigen Motiven, die sich, im Uebertragen spatmittelalterlicher
auf antike Bildungen, besonders bei den damaligen Niederlan-
dern haufig finden. Endlich ist der allgemeine Ton des Bildes
— und dies vornehmlich faillt dem Beschauer beim ersten An-
blick der Kopie auf — von dem Charakter der damaligen ita-
lienischen Schulen ziemlich entschieden abweichend; es fehlt
das Lustre, die Tiefe, das Luftgefiihl, das dort bereits tiberall,
ob auch in den verschiedenartigsten Modificationen, zu Grunde
liegt; es ist hier etwas kérperhaft Starres im Ton, was eben
auch nur in der damaligen niederlindischen Kunst seine eigent-
liche Heimath hat; es fehlt selbst nicht an einzelnen Reminis-
cenzen an die speciellen Farbenténe der flandrischen Schule,
wennschon man die Absicht wahrnimmt, dieselben méglichst ins
Italienische umzuschmelzen.

Habe ich in alledem richtig gesehen und darf man tiberhaupt
auf die in Rede stehende Kopie (die, ich wiederhole es, in so
vielen Beziehungen mit den Kupferstichen tbereinstimmt) cin
selbst nur hypothetisches Urtheil griinden, so ergiebt sich cin,
zwar nicht sehr erfreuliches, aber doch eigenthiimliches und
merkwiirdiges Resultat. Dass Raphael seine Arbeiten in spa-
terer Zeit zum grossen Theil, gelegentilich auch wohl ganz,
von Schilern und Gehitilfen ausfiihren lassen musste, ist bekannt.
In der Regel aber waren dies solche Kistler, die sich in den
Geist seiner Richtung vollsténdig eingelebt hatten und deren
Krafte zureichten, um den an sie gestellten Anforderungen zu
gentigen, so dass, wenn wir in diesen Werken hin und wieder
auch den vollen Hauch des grossen Meisters vermissen, sie doch
immer, auch in den Elementen der Ausfihrung, davon noch ge~
streift erscheinen. Hier erscheint es anders. Wir wiirden alle
die Widerspriche nur durch die Annahme erkliren Кбипеп,
dass Raphael einem aus der Fremde, ohne Zweifel aus den
Niederlanden eingewanderten Gehiilfen, der das Gewand sei-
ner Heimath noch nicht véllig abgestreift und von der ita-
lienischen, der raphaclischen Darstellungsweise nur erst Acus-
serlichkeiten erfasst hatte, die Ausfiihrung einer Composition,
zu der er offenbar nur einen flichtigen Entwurf geliefert, ganz
selbstandig tiberlassen und doch zugleich keinen Anstand ge~-
nommen habe, das ziemlich zwitterhafte Erzeugniss unter sei~
nem Namen in die Welt zu senden?). Ueber die etwanigen
Veranlassungen zu einem solchen Entschluss lasst sich natiirlich
nichts sagen; die Hypothese findet hiebei vollstandig freien
Spielraum. Wollen wir aber den Namen des Kinstlers wissen,
dem ein so ausgedehntes Vertrauen geschenkt gewesen wire,
so kénnen wir, wie es scheint, wohl kaum bei einem andern
stehen bleiben, als bei Bernhardin van Orley. EF. Kugler.
	Aufgefundene Dokumente aus dem 16. Jahrhundert.
	(Rechnungen tiber Bildhauerarbeiten. )
	In dem Feuilleton des ,, Journal des Debats“ vom vorigen
Monate fanden wir einen Bericht yom Grafen Léon de Laborde
	1) Wenn man Raphael nicht als grossen Pferdemaler gelten lassen will,
50 wiisste ich doch wahtlich nicht, wo er sonst dergleichen phantastische
Missformen von Pferden geschaffen hatte.

2) Am Schluss der Arbeit mag Raphael in einzelnen Hauptpartieen aller~
dings noch einige Meisterstriche hinzugefégt haben. So machte mich Ilerr
Schlesinger darauf aufmerksam, dass bei den Augen des Christuskopfes eine
(auch in der Kopie sorglich nachgeahmte) dreimalige Veranderung sichtbar
ist, und dass der Schild, den jener schreiende Mauritanicr trigt, erst spater
liber die Figur hingemalt ist, offenbar, um die Gruppen méglichst klar aus-
einander zu halten.