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	wir das Unternehmen, wenn es ausfuhrt, was es verspricht,
nur mit herzlicher Freude begriissen.

Das erste Blatt der ersten Lieferung ist ein Bildniss Les-
sing’s, nach einem Gemialde Graff’s von L. Schling ge-
stochen (von dem auch die beiden folgenden Blatter herrihren),
ein in jeder Beziehung meisterliches und erfreuliches Blatt.
Lessing’s Erscheinung ist hier ohne Zweifel in der gliicklich-
sten Epoche scines bewegten Lebens festgehalten worden; die
sprechende geistvolle Lebendigkeit dieses edlen Kopfes verrath
Graff’s ganze Meisterhand. Der Stich ist in schénster Gedie-
genheit durchgefiihrt, voll Saft und Kraft, Festigkeit und Schmelz
und mit der Nadel dem Wechsel der Farbenténe gliicklich nach-
gehend. — Das zweite Blatt ist Goethe, nach einem Porzel-
langemilde von Sebbers. Das Bild ist vom J. 1826, Goethe
also 77jihrig dargestellt. Das ist schon eine bedenkliche Wahl,
da wir in dem Dichter des zweiten Theils des Faust — trotz
aller grimdlichen Achtung auch vor diesem Werk — doch nicht
mehr den glorreichen Titanen unserer Literatur finden. Seb-
bers aber hat (nach dem vorliegenden Blatt zu urtheilen) in
diesem Bilde auch nicht einmal den Dichter des zweiten Faust,
sondern, bei aller materiellen Aehnlichkeit der Ziige, nur einen
miiden alten Mann gemalt. Wir mussten in der Sammlung statt
dessen den Dichter des ersten Faust, der Iphigenie u. s. w. fin-
den. Ueberdies mag das Original von Sebbers etwas trocken
in der Behandlung sein; wenigstens kommt der Stich, bei allem
sorglichen Fleiss, auch dariber nicht hinaus. — Das dritte Blatt
ist Winckelmann, nach einem in Weimar befindlichen Ge-
mailde von Maron. Auch dies will den Beschauer nicht recht
anmuthen. Abgesehen davon, dass die Stellung der Augen
(vielleicht im Verhadltniss zum Knochenbau) schwerlich richlig
sein diirfte, so ist etwas Flaues, Insipides darin; wir kénnen
uns den grossen Propheten der Schénheit nicht so unmannlich
vorstellen. Der ebenfalls sorgliche Stich scheint auch hier mit
der Unbehaglichkeit des Originals im Kampfe gelegen zu haben.

Es thut mir leid, bei einem offenbar so mit Liebe ищег-
nommenen und im ersten Blatte so ungemein schén dokumen-
tirten Unternehmen diese Ausstellungen machen zu missen. Es
mag sehr schwer sein, tiberall die entsprechenden Originale
aufzutreiben, aber doch wird darauf zunichst der Werth des
Ganzen beruhen. Bei dem riistigen Betriebe des Werkes dirfen
wir indess fiir die Folge ein méglichstes Vermeiden solcher
UWebelstande gewiss erwarten. F. Kugler.
	AHeituns.
	wahrend einem Alten, danebenstehend, wenn gleich von der
Arbeit gebeugt, das Gefiihl der siissen Ruhe noch flichet. Schén
benutzt ist der Schimmer des Sonnenlichtes durch die Zweige
brechend, in deren, man kénnte sagen, anatomisch genauen Zeich-
nung Kaufmann Meister ist. Sie werfen Schlaglichter und flie-
hende Schatten auf die Schlafenden, wobei der Kimstler ein
scharfes Beobachtungsvermégen an den Tag legte. Alle Ein-
zelheiten sind studirt und in energischem Vortrage wiederge-
geben. Die pastose Behandlung wird dem Bilde nicht bloss
Dauerhaftigkeit sichern, sondern selbst die noch fehlende Har-
monie gewinnen lassen, wahrend diinn gemalte Bilder, durch
das allmahlige Schwinden der Luftténe, immer unscheinbarer
werden. Bei einer richtigen Technik arbeitet die Zeit mit. In
Philipp Hackerts Leben ist angefiihrt, dass Dietrichs Bilder,
frisch gemalt, bunt schienen; erst die Zeit stimmte sie so harmo-
nisch, wie wir sie jetzt kennen. Manche in ihrer Art schatz-
bare Genrebilder, von Kaltenmoser, Petzl, aus Birkel’s fritherer
Zeit, geben durch Mannichfaltigkeit des Dargestellten dem nicht
malerisch organisirten Anschauungsvermégen Beschaftigung ; denn
der Sinn, ein Gemalde ganz unbefangen, etwa wie eine schéne
Musik, auf sich einwirken zu lassen, den Gaben, die der Mei-
ster uns in harmonischer Beleuchtung und Farbenschmelz bietet,
sein Gemiith so unbefangen aufzuschliessen, dass der Gegen-
stand selbst vielleicht das Letzte sein kénnte, dem man seine
Aufmerksamkeit zuwendete, ist ein késtliches Geschenk der
Natur, welches durch Studium zwar entwickelt aber nicht ge-
geben, am wenigsten in Worle gefasst werden kann. Etwas
Derartiges ist in dem hier befindlichen trefflich ausgefihrten
Mondscheine von Verreyt; zwar auch auf den typisch gewor-
denen Styl des Urvaters dieser Gattung van der Neer’s basirt,
ist es dennoch keine directe Nachahmung zu nennen; denn die
grésste Einfachheit der Composition ist Grundbedingung dieses
Genre, der gemalte Mond verlangt, wenn er kein Farbenklecks
bleiben soll, ein Wasser, worin er sich spiegelt, die Ufer miis-
sen mit isolirten Héusern und Baiumen besetzt sein, welche
Schlagschatten werfen, und wo zweifelhafte Lichter hindurch~
schielen, die mehr ahnen als sehen lassen. Je einfacher die
Scenerie, desto besser, denn alle verwickelten Formen werden
durch den Mangel an Reflexionen unverstandlich. Unter den
Landschaften dtirfte wohl einem Bilde von A. Lapito der erste
Rang anzuweisen sein. Die Grossartigkeit der ganzen Anord-
nung wird, namentlich in einer Felsenpartie des Vordergrundes,
von einem griindlich studirten Detail unterstiitzt, wo der pastose
Farben-Auftrag, mit abgeschliffenen Lichtern, durch geschickt
angebrachte Lasuren in den Farbenporen, die Wahrheit der gan-
zen Erscheinung in tiberraschender. Weise steigert. Wohlthatig
fiir das Auge ist der gediegene, tiefe und milde Ton des Bil-
des, den zwar selbst bedeutendere Maler der neuesten franz6-
sischen Schule zuweilen in bequemerer Weise, durch reich-
liche Anwendung des Asphaltes erreichen, zum grossen Nach~
theile fiir die Dauerhaftigkeit ihrer Werke, welche jetzt schon
anfangen zu reissen und schwarz zu werden, wie solches bei
dem hier befindlichen Seestiicke von Isabey der Fall ist. Einer
in neuerer belgischer Manier geschmackvoll behandelten Ansicht
von Andernach am Rheine mit Staflage von Wyper, so wie ge-
wandter Jandsclraftlicher Darstellungen von Hellemans, denen
Verboekhoven durch seine trefflichen Thiere Reiz verleiht, mége
bloss namentlich gedacht werden, da es nicht auf unfrucht-
bare Beschreibungen, sondern nur auf Beitrége zur Charakte-
risirung des gegenwartigen Standes verschicdener Zweige der
Malerei abgesehen sein kann. Es finden sich hier mehrere
werthvolle Architekturen, so eine Arbeit von Bayrs, cine hohe
sonnenerleuchtete Halle, worin eine Klosterfrau die Orgel spielt.
Dies Bild leidet an einem Mangel, den man in den spateren
	Cogamburg, im Marz. (Forts. Herrn J. C. A. Western
dankt die Sammlung zwei interessante Bilder Hermann Kauff-
mann’s: Oberbaierische Gebirgsleute, auf einem felsigen Pfade
ausruhend, und: Landleute bei der Erndte Mittagsruhe haltend.
Der Kistler gefallt sich meist in der Darstellung lebhaft be-
wegter Gestalten, und dem entspricht bei ihm Beleuchtung und
Behandlung; hier sehen wir aber, dass er auch der landlichen
Ruhe Reiz abzugewinnen weiss. Im ersteren Bilde ist die ge-
schickte Benutzung der gebirgigen Oertlichkeit zu loben; manche
haben genaue Felsstudien gemacht, aber wenige wissen ihre
richtige Anwendung zu treffen, indem die Figuren und die Sce~
nerie als ein Ganzes, gleich bei der Conception zusammenge-
dacht, wie hier geschehen ist, und nicht wie man es haufig
sieht, zufallig zusammengewirfelt sein miissen. Das zweite Bild
giebt charakteristisch die Holsteinische Natur, deren gesunde
Buchen auf ippigen Grasflichen einen so woblthatigen Eindruck
machen. Unter dem Schatten eines malerischen alten Baumes
liegen ein Madchen und ein junger Mensch in tiefem Schlafe,