131 von Vielen geglaubte Marchen Vasaris von der Erfindung des Metalldrucks durch Finiguerra langst hinter uns, das ja auch der geistvolle Kunstkenner von Rumohr in seiner Schrift: ,,Un- fersuchungen der Griinde fiir die Annahme, dass Maso di Fi- niguerra Erfinder des Handgriffes sei, gestochene Metallplatten auf genetztes Papier abzudrucken“, glanzend widerlegt hat. 1. Ein Prototyp des Metallschnitts fiir den Abdruck. Schon vor mehreren Jahren haben wir in unserm deutschen Museum ) Kunstfreunden Beschreibung und Abbildungen selte- ner und unbeschriebener Niellen, Metallschnitt- und Schrot- blitter, auch xylographischer Werke dargeboten, und dabei der reichen, wirklich tiberaus reichen Sammlung des Herrn J. Meyer in Hildburghausen, Chefs des bibliographischen Instituts daselbst, gedacht, welcher mit der uneigennitzigsten Freund- lichkeit uns nicht nur diese Seltenheiten zur Beschreibung an- vertraute, sondern auch mehrere Facsimile~Platten zum Ab- druck therliess. Aus derselben Hand ist uns nun abermals ein Bildblatt an- vertraut, das wir mit vollem Recht als einen Prototyp des Me~ tallschnittes fiir den Abdruck bezeichnen, und ihm nachstchende Beschreibung widmen. Der bedruckte Theil des Blattes misst 4 Pariser Zoll Hohe, 23 Zoll Breite, der Papierrand ist 4, Zoll breit, das Papier ist fest und briichig, und hat einige kleine Beschaidigungen erlitten. Das Blatt befand sich auf der innern Seite der Holzdecke eines Psalterium—-Manuscripts aus dem 14. Jahrhundert, stam- mend aus einer Klosterbibliothek zu Inspruck. Die Darstellung ist das so haufig wiederholte, typisch gewordene Passionsbild der Kreuzigung. Christus am Kreuze, das Haupt nach rechts (dem Beschauer links) geneigt, an dieser Seite dicht am Kreu- zesstamme stehend, Maria, und auf der andern Seite, etwas abwarts vom Stamm, Johannes, in héchster Einfachheit, ohne alles Beiwerk. In Folge der Anwendung einer Technik, welche vollig in das Kindesalter der Abdruckkunst hineinragt, erblickt man einen Grund von intensiv brauner Farbung, den an der rechten Seite die Platte nicht véllig deckte, daher derselbe ‘ 8 Zoll breit unbedruckt ist. dem Felde, worin sich die Maria befindet, zwei verehrende Ménche vorhanden sind, welche sich durch die beigefiigten Spruchbinder als der Maler und der Schreiber des Buches kundgeben. Auf dem einen, welchen der stehende Ménch hilt, liesst man in Capitalschrift: ,Ora p. illre. Miroslav. a. MCII.*, d.h. Bitte fiir den Maler (eigentlich illuminator d. h. Miniaturmaler) Miroslaw, auf dem anderen, bei dem knieenden Ménche ebenso: „Ога р. scre. Vacedo*, d.h. Bitte fiir den Schreiber Vacerado ), Jener Miroslav zeigt sich in der sauberen Ausfihrung in Guasch als einen fiir seine Zeit sehr geschickten Kinstler. In den Képfen der Ménche ist sogar ein Anstrich von Individualitét wahrzuneh- men. Ja in einer nackten Figur von schlankem Verhiltniss und guter Bewegung, welche Trauben sammelt, in einer Initiale 8. 379, spricht sich ein recht lebhaftes Naturgefiihl, in einem Affen ebenda, viel Sinn fiir das Komische aus. Unica et Nondescripta. Mattheilungen von Ludwig Bechstein, Unter dieser Aufschrift, die ihre Erlauterung in sich selbst trigt, haben wir uns vorgenommen, eine Reihe Werke der zeichnenden Kunst in moéglichst treuer Beschreibung, und wenn es sein kann, auch mit Facsimiles begleitet, in diesen Blattern bekannt zu machen, die sich theils in 6ffentlichen, theils auch in Privatsammlungen vorfinden. Dabei wird man an dem Grund- satz halten, dass nur das wirklich Bedeutende Besprechung verdiene. Das Gebiet der Kunst, selbst das der deutschen Kunst, hat etwas gemein mit dem Gebiet der Natur: die Unerschépf- lichkeit. Da wie dort, wie viel auch schon erforscht und beschrieben worden, findet der Blick der Forschung noch tag- lich Neues, was sich ihm lange entzog, was wieder neue Schliisse hervorruft, neue Ahnungen weckt. Es ist vom héchsten Inter- esse, durch Auffinden noch unbeschriebener derartiger Kunst- seltenheiten den Gesichtskreis sich erweitern zu sehen, beson- ders in Bezug auf die Holz- und Metallschnittkunst, und es gehirt zu den reinsten und edelsten Freuden des Kenners und Sammlers, Entdeckungen zu machen, die auf schon Ent- decktes ein andres Licht fallen lassen, oder als neue Rathsel sich vor Augen stellen, welche den priifenden Verstand, das kritische Urtheil zu weiterer Uebung und zur Lésung heraus- fordern. Als eines der neuesten Beispiele zu diesem Gesagten diirfen wir ja nur Baron v. Reiffenbergs 1845 erschienene Bro- schiire: ,La plus ancienne gravure conmnue avec une date“ an- fihren. Mit Recht erregte die anziehende Mittheilung, begleitet von einem trefflichen Facsimile des mit der deutlichen Jahrzahl М: СССС XVIII. versehenen késtlichen Holzschnittblaites Stau- nen, Freude und Bewunderung; mit Recht wurde aber auch der Zweifel laut, der dieses hohe Alter des Blattes, trotz der Jahrzahl, nicht gelten lassen wollte, und sich auf Griinde stiitzte, die Jedem einleuchten, dem zur Vergleichung viele Incunabel- blatter der Holzschneidekunst aus deren Entstehungszeit zu Ge- bote stehen, und der in dem dargelegten Blatt in Zeichnung, Anlage, Ausdruck und Gruppirung der Gestalten einen Geist erblickte, welcher schon ganz nahe an die Zeit Wohlgemuth’s heranreicht, wie sie namentlich im Schatzbehalter sich kund giebt. Dass aber die deutsche Kunst im Metall- wie im Holzschnitt selbst vor 1418 schon thatig und lebendig gewesen, davon lebt in uns die feste Ueberzeugung, und wir haben jenes so lange 1) So lést namlich Wocel eine Abkiirzung bei Jenem Namen auf. Wo die Platte wirkte, erscheinen scharf und deutlich де. Conturen, und es ist durch das Abziehen der Platte der braune Grund da, wo es néthig war, abgehoben, so dass die tiefen Stellen lichtbraun erscheinen, und die Linien auf ihnen einiger- massen erhaben stehen. Wir fiihlen, dass es schwer ist, dies durch Beschreibung vollig deutlich zu machen. Das Bild hat einen Rand, welcher oben und unten +4 Zoll, an den Seiten aber nur + Zoll breit, und an diesen Seiten, wie man sieht, abgeschnitten ist. Er zeigt eine Ranke, von jener alterthiimlichen Form, wie wir sie nicht selten um Bildwerke erblicken, doch ist diese Form einigermassen unentschieden, sie ist nicht rein byzantinisch, aber auch keine gothische Blat- terranke. Der Kreuzesstamm stésst mit dem Querbalken unmittelbar an den obern Rand an, von einer Schrift mit dem INRI ist nichts zu sehen. Die welligen Holzfasern sind angedeutet, am Balken, wie am Stamm. Die Arme des Heilands sind diinn, die Finger nur durch Linien ausgedriickt. Weder an den Han- den, noch an den ibereinander gelegten Fissen die eisernen Nagel zu sehen. Den Heiligenschein bezeichnen, wie auch bei den Gestalten von Maria und Johannes, zwei umgrenzende Li- 1) Deutsches Museum far Geschichte, Literatur, Kunst und Alterthumsforschung. Herausgegeben von Ludwig Bechstein. 2 Bande mit 10 Bildtafeln und Facsimiles. Jena, F. Maucke. 1842 u. 1843. 47 *