132 Dass Warme, und zwar in ziemlichem Grade, angewendet wurde, beweist uns der spréde, briichige Zustand des Papiers, welcher sich bei der Festigkeit und Dauerhaftigkeit der alten Papiere sonst nicht wohl erklaren liesse. Dass ferner aus diesem Blatt zugleich die ersten An- finge der geschrottenen Manier, welche uns die dltesten bislang bekannten Druckdenkmaler lieferte, uns entgegentreten, wird ein giiltiger Beweisgrund mehr fir unsere Annahme sei- nes Alters sein. : Nicht minder deutet auf hohes Alter hin der Mangel einer Dornenkrone um das Haupt des Erlésers. Dagegen ist das Haupt des Leidenden, wie bei den dltesten Schrottblat- tern, barlig dargestellt. Ueber den Mangel der Dornenkrone auf den alteren Bildern des Gekreuzigten und namentlich aut den sogenannten Veronikabildern mag nachgelesen werden, was Wilhelm Grimm in dem Buche: ,Die Sage vom Ursprung der Christusbilder, Berlin 1843. 4.* 8. 21. Wichtiges und Bezie~ hungsreiches sagt. So roh auch in manchen Theilen, und namentlich durch die dunkle lederbraune Farbung selbst unscheinbar, dieses Bild- blatt sich darstellt, so spricht dennoch gar manches Sinnige des deutschen Geistes uns daraus an, und der Kinsiler, welcher die Platte zeichnete, war in aller kindlichen Einfalt seines Ge- miithes und seiner Darstellungsweise cin denkender. Die Umgebung des Bildes schon, durch Arabeskenranken, deutet ‘auf alte Vorbilder; spitere Kiinsiler (seit der Mitte des 15. Jahrhunderts) liessen mehr und mehr die Umrandung fallen, und fillten dagegen die Hintergrtinde mit Blumen, tapeten~ arlig, aus, oder punktirten dieselben mit der Bunze. Auf Mi- niaturen des 12., 13. und 14. Jahrhunderts fehlt die Umrankung selten. , Sinnig gedacht nennen wir es, dass der sterbende Chri~ stus sein Haupt der Mutter und nicht dem Jiinger zuneigt, was die alten Kiinstler auf Bildern der Kreuzigung nicht immer beobachteten, eben so, dass die Mutter dem Kreuzesstamm ganz пабе, der Jiinger in einiger Entfernung von demselben steht. — Es liegt darin ein gewisses Bewusstgewordensein des Naliir- lichen, Reinmenschlichen in der Seele des Kiinstlers, das er zur Erscheinung zu bringen bemiiht war. Ueber Gegend und Land, wo dieses uralte Kunstblatt ent- stand, wagen wir keine Conjectur. Der Ort der Auffindung deutet allerdings nach Stiddeutschland, und dass aus siiddeut- schen Kléstern manches analoge Kunstgebild hervorging, oder in ihnen in einzelnen, einzigen Exemplaren aufgefunden wurde, wie das bekannte Siegelbild des Plebens Johannes zu St. Mau- ritius in Augsburg, und der h. Christoph in der Karthause zu Buxheim, so auch die Schrottbilderreihe einer Passion, welche Stéger 1833 beschrieben, und die derselben abnliche, auch aus Herrn Meyer’s Sammlung in unserm deutschen Museum Bd. 2. beschriebene — ist bekannt. Noch mag nicht unbemerkt bleiben, dass die ganze Anord- nung und Zeichnung dieses uralten Bildblattes sich gegen das Licht gehalten am besten tiberblicken lasst. Da scheiden sich vier Téne des Braun ab. Der hellste umgiebt auf beiden Seiten die Linien; der zweite bildet den Grund; der dritte bildet die Linien der Zeichnung, und der tiefste bildet jene unregelmas- sigen, theils schwarzen, theils matisilberartigen Flecken, welche erkennen lassen, dass das ganze Bild urspringlich versilbert war, wie uns noch heute, auf Goldpapier gedruckt, Heiligen- bilder in katholischen Landern nicht selten begegnen. nien, vom Haupte Jesu gehen Strahlen aus, eine Dornenkrone ist nicht zu erkennen. Der Kérper ist, conform mit dem Bil- dertypus des 12.—15. Jahrhunderts, hager, die Rippen und der Nabel sind stark markirt; die Leibbinde flattert in Falten nach links, bis nahe an die Auréole des Johannes. Bei Maria und Johannes sind die Augen, mindestens bei jeder Gestalt ein Auge, gross und markirt, ganz analog den dltesten Holaschnit- ten, die Gewande fallen in steifen Falten (deutlich den Styl der leiztern Halfte des 14. Jahrhunderts andeutend) weit herab; beim Gewand des Johannes, und nur bei diesem, erblickt man die Anwendung der engsten Kreuzschraffur in den stehen ge- bliebenen dunkeln Stellen, ganz in der Weise, wie die aller- altesten Schrottblaitter dieselbe, aber dann durchgangig haben, hingegen keine Spur von der bei den spatern Schrottblattern erst angewanditen Punktirung durch Bunzen. Der Grund hinter dem Kreuze und den Gestalten zeigt sich einfach braun, ohne die geblimte Zier der Schroitblatter, und tiberall werden missfarbige Spuren ehemaliger Versilberung, theils als grés- sere schwarze Flecken, theils als matter Metallglanz erblickt. Wir haben, um dieses uralte, vielleicht alteste aller bekannten Drucklatter (dergleichen wir nie vorher gesehen, oder von einem Bibliographen je beschrieben fanden), von drei Gesichispunkten aus zu betrachten, nach dem Alter, nach der technischen Herstellung und nach dem Geist, der sich aus ihm als Kunstwerk kundgiebt. Das Alter setzen wir mit Zuversicht in das Ende des 14., spatestens in das erste Jahrazehend des 15. Jahrhunderts. Der Blick des Kenners fiihrt zu diesem Zeitraum. Die Einfachheit der Anordnung, die Rohheit des Schnittes, die besonders bei den Augen hervortritt, und vor allem die untriglichen chro- nologischen Wegweiser: Gewandung, Faltenwurf und Zeichnung des Nackten, endlich das eigenthtimliche, urtypische gleichsam der muthmasslich angewandien Technik scheinen uns vollig dazu zu berechtigen, das Alter dieses Bildblattes an die Schwelle desjenigen Jahrhunderts zu legen, das durch seine Erfindungen wie durch die hohe Ausbildung jener, die vielleicht schon ge- macht waren, von der Vorsehung ausersehen war, die Mensch- heit auf eine héhere Stufe geistiger Entwickelung zu heben. Holzschneidekunst, Metallschnitt und Kupferstechkunst, Buch- druckerkunst und Pulvererfindung, wie miichtig haben sie den Weiterschritt europaischer Cultur gefordert! Die technische Herstellung dieses Blattes denken wir uns in folgender Weise: Nachdem die gravirte (oder vielmehr geschnittene) Plate, vielleicht von einem weichern Metall, Blei oder Zinn, erhitzt war, bestrich der Drucker so viel von der Papierfliche, als zur Aufnahme des Bildes ndthig war, mittelst einer Schablone mit heissem Leim. Im vorliegenden Falle bestrich er etwas mehr, oder es war vom Plattenrande, wie man sieht, etwas weggeschnitten. Auf diesen Leim trug er vor dem Trocknen eine feine, sehr diinne Schicht Bolus oder Kreide. Auf diese Schicht legte er das Blattsilber. Die Platte wurde so sehr erhitzt, als sie es vertragen konnte, und nun auf die noch feuchte Schicht gelegt, die das Bild empfangen sollte, oder aber diese auf die Platte gebracht, und hierauf mit dem Reiber und mittelst Anwendung einiger Druckkraft tiberfahren. Dadurch zog sich nun der zarte, halb- weiche Grund in die Taillen, wahrend das, was auf der Platte glatt war, auch auf dem Abdruck glatt und glanzend blieb, und dieser war nun, obschon nicht ohne manche Unvollkommenhceit, welche dieses Verfahren hervorrief, vollendet. Yon einem Ein~ druck auf das Papier, wie bei den Holzschnitten, auf der Riick- seite ersichtlich oder fihlbar, ist hier nichts zu gewahren.