Roof lat. Organ der deutSchen Kunstvereine. “aeitung fir bildende Kunst und Baukunst. Unter Mitwirkung yon Kugler in Berln — Passavant in Frankfurt’ — Waagen in Berlin — Wiegmann in Dusseldorf — Schnaase in Berlin — Schulz in Dresden — FGrster in Minchen — Eitelberger v. Edelberg in Wien Ein Madonnenbild von Raphael. sendschreiben an Herrn Dr. F. Kugler in Berlin. Дудина, durch die Hauptwerke seines Rubens wie durch seine bltihende Malerschule das Ziel der Wanderung so man- cher Jiinger und Forscher der Kunst, besitzt in der zwar klei- nen, doch ansgewahlten Sammlung des Herrn Kaufmann Wuyts einen Schatz, wie er nicht haufig in Privat-Galerien gefunden wird. Diese Sammlung, mit eben so viel Kenntniss als Glick von dem Besitzer zusammengestellt, umschliesst Werke аНегег und neuerer Meister, hier sci aber nur von einem Bilde die Rede, das die Welt allein dem Kunstsinne des glicklichen Be- sitzers verdankt, ohne den es vielleicht fir immer oder noch lange verborgen geblieben ware. Es war vor einigen Jahren, als Herr Wuyts auf dem Land- gute eines Freundes, in der Nahe Antwerpens, tiber dem Ka- mine eines Saales ein Gemalde bemerkte, das ihm, obgleich es durch die Zeit dunkel und kaum kenntlich war, in den ein- fachen grossen Linien der Figuren ,Maria mit dem Christkinde und Johannes“, dreiviertel Lebensgrésse, einen italienischen Meister erkennen liess. Herr Wuyts schlug dem Freunde vor, das Bild abnehmen und reinigen zu lassen und erbot sich fiir die Reinigung selbst Sorge tragen zu wollen. Das Bild wurde wirklich abgenommen und nach Antwerpen gebracht, wo es jedoch wieder einige Zeit stehen blieb, bis Herr Wuyts selbst in dessen Besitz gelangte. Schon bei den ersten Versuchen der nun vorgenommenen Reinigung sah der neue Besitzer seine Ahnungen von der Schénheit seines Findlings sich herrlich er- fiillen und bald entschleierte sich ein Meisterwerk, das ausser wenigen schadhaften Stellen rein erhalten, in allen Ziigen den Stempel der Meisterhand des géttlichen Urbiners trug. Des- halb séumte auch nicht der mit Kunst und Kunstgeschichte wohl- vertraute Herr Professor J. A. De Laet in Antwerpen, der- selbe, welcher in neuester Zeit durch seinen Catalogue du Musée @Anvers, welchen er im Auftrage der kénigl. Akademie verfasste, eine Probe ernsten kritischen Studiums ablegte, dem neuentdeckten Schatze durch die Benennung ,Madonna aux Langes* yon Raphael seine Stellung unter des gréssten Mei- sters Werken anzuweisen. Herr Wuyis suchte nun zu erforschen, auf welche Weise las Gemalde auf jenes Landgut gekommen sein mége, konnte redigirt von Dr. ЕР. Eggers in Berlin. Montag, den 6. Mai. aber mit Bestimmtheit nur erfahren, dass das Gut lange Zeit im Besitze von geistlichen Herren war, so dass das Bild wohl zwei Jahrhunderte hindurch jene Stelle cingenommen haben mag. Auf diese Weise theilte dies Werk das Loos manch andrer Werke Raphaels, die erst unsre Zeit so gliicklich war, der Welt wiederzugeben, wie z.B. die Madonna della Tenda in Turin und das Abendmahl zu Florenz. Um sich aber noch mehr Gewissheit tiber die Autorschaft seines Bildes zu verschaffen, unternahm Herr Wuyts selbst die Reise durch Italien, dort die Hauptwerke Raphaels durch eigne Anschauung kennen zu ler~ nen und brachte die vollkommene Genugthuung mit heim, dass seine Madonna wohl jeden Vergleich mit den Madonnen des grossen Schiilers Perugino’s aushalte. Wahrend meines Aufenthaltes im verflossenen Jahre zu Antwerpen lernte ich auch die Sammlung des Herrn Wuyts, so -wie jenes Gemalde kennen, und angezogen von dessen Schén- heit machte ich nach demselben eine Zeichnung und hoffe mir den Dank aller Kunstfreunde und Kiinstler zu erwerben, wenn ich durch den Kupferstich zur allgemeinen Kenntniss und Wiir- digung eines so bedeutenden und interessanten Werkes bei- trage. Bereits ist auch der Stich, dessen Dedication der Kénig der Belgiér auf die freundlichste Weise angenommen hat, be- deutend vorgeschritien. Versuch’ ich, es Ihnen zu beschreiben: In einer heiteren Landschaft, deren Horizont durch Berge und Architektur begrenzt wird, schlummert auf Decken und Kissen das Christuskind. Maria kniet an seiner Seite, hebt einen Schleier, der die Gestalt des gittlichen Knaben bedeckt hat, leise in die Héhe und ist ganz im Anschauen verloren. Mit dem linken Arm umfasst sie den kleinen Johannes, der, an ihren Schooss geschmiegt, sich mit der Linken auf das Knie der Gottesmutter stiitzt, wahrend er mit der Rechten auf den schlummernden Jesus zeigt. Die einfach naive Composition, die jedoch durch den dariiber gegossenen Zauber wirklich gottli- cher Grazie um so mehr zur Seele spricht, gehdért jener fri- heren Zeit Raphaels an, in der er noch weniger nach idealer Darstellung strebte; die Zeit der Entstehung méchte ohngefihr in die der Madonna del Fuligno fallen, mit der unser Bild auch hinsichtlich des kraftigen Colorits wetteifert. Mit der keu- schen Anmuth der Coniposition steht auch Haltung und Farbe im schénsten Einklange; wie in dem stisschlummernden Christ- kinde, in dem kindliche Freude strahlenden Gesichte des Jo~ hannes und auf den von der reinsten miitterlichen Seligkeit verklarten Ziigen der jungiraulichen Mutter noch keine Ahnung 18