Nicaise de Keyser ist Virtuose par exellence. Ey weiss,
worauf die Wirkung des Virtuosen beruht, und er hat alles
Vermigen, diese Wirkung zu erreichen. Er hat sich, seitdem
er sein friiheres Streben nach gewaltsamer Kihnheit (wie in
dem grossen Bilde der Schlacht von Worringen) bei Seite ge-
legt, der Elemente der Grazie bemachtigt und erscheint in der
Feinheit der Linienfiihrung, in dem weichen Schmelz der Farbe,
in den kosenden Spielen des Helldunkels so vollendet, dass es
nichts Liebenswirdigeres geben kann. Sein Ruhm steht auf
festen Saulen, so weit nur dem Virtuosenthum gehuldigt wird,
und ich weiss nicht, wo dies in heutiger Zeit nicht der Fall
wire. Was kiimmert ihn die kleine versprengte Schaar derer,
die in ihrer Unersattlichkeit noch mehr verlangt, z. B. Darstel-
lung des Lebens in simpel natiirlicher Naivetét! Was hat eine
solche Forderung mit der Machtvollkommenheit des Virtuosen
zu schaffen!

Das Bild der Albanerin, das der Diirer-Verein hat stechen
lassen, ist auch ein Glanzstick kiinstlerischer Virtuositat. Die
Dame, in ganzer Figur, sitzt zur Seite eines Brunnens, der mit
rémischer Sculptur geschmiickt ist. Dichtes Gebiisch umschaltet
den Brunnen; abendliches Licht fallt herein und streift die reiz-
volle Gestalt. Sie hat aus dem Grase, seitwirts, einige Stern-
blumen gepfliickt; mit dem rechten Arm auf die steinerne Brii-
stung gestiitzt, entblittert sie eine von den Blumen, indem sie
dazu das bekannte: ,,Er liebt mich, liebt mich nicht“ etc. 2u
sprechen scheint. Hemd und Achselband sind von der linken
Schulter niedergefallen. Wir wissen zwar nicht, wie dies ge-
kommen, da die Haltung und Bewegung yon aller Nachlassig-
keit eines unbewussten Selbstvergessens frei ist; aber wir ha-
ben dabei den Vortheil, mehr von diesen interessanten, juno-
nisch. schwellenden Formen zu sehen, als uns ohnedies vergonnt
gewesen wire. Das feine Gesicht, dessen hochgewolbte Augen
auf das Spiel mit der Blume gerichtet sind, die ganze Gestalt
hat einen eben so wohl erwogenen malerischen Reiz, wie das
gewahlte Kostiim, dass man sich immer aufs Neue gern vor~
fihren lasst und das selbst in der hervorstehenden Haarnadel,
welche die Form eines kleinen Brillantdegens hat, den Augen
des Beschauers verstohlen zuwinkt. Es ist von A bis Z ein
ungemein gliicklich berechnetes lebendes Bild, und wir lassen
unser Auge um so ungestérter daritber hinschweifen, als wir
sehen, dass die Dame ohne Beschwerde in ihrer Stellung ver-
harrt, dass sie gern sitzt und den Vorhang gar nicht herbei-
sehnt, der das Bild unsern Blicken wieder entzichen wird. Nur
das kénnte uns beunruhigen, dass der grosse Krug, den der
Kinstler als ein der Dame zugehdriges Requisit unter den Quell
des Brunnens gesetzt hat, schon bis zum Ueberlaufen voll ist.
Und nur das Eine méchte ich wissen: — was namlich unser
alter ehrenwerther Meister, was Albrecht Diirer sagen wiirde,
wenn er seinen Namen mit unter das Blatt geschrieben sahe!

Doch wir haben es ja nicht mit dem Bilde, sondern mit dem
Kupferstich zu thun. Das Bild war da und seine Existenz un-
bestreitbar; der Kupferstecher hatte die Aufgabe, es, wie es
da war, mit der Nadel zu reproduciren. Mich diinkt, er hat
seine Aufgabe mit voller Meisterschaft. gelést. Wir fragen hier
nicht nach der Sache, nicht nach der kiinstlerischen Absicht
des urspriinglichen Meisters, sondern danach, wie der Kupfer-
stecher die Behandlungsweise des letzteren in seine Technik
iibersetzt hal. Er hat sich der Grazie, dem malerischen Reiz,
des Urbildes, mit grossem Gliick angeschlossen, und besonders
in der Figur sowohl das verschieden Stoffliche der Gewandung
als die zarten Téne und Farbenspiele des Fleisches aufs Beste
wiedergegeben. Es ist das achte alte Gesetz des Kupferstiches,
dem er hiebei durchaus gefolgt ist, ohne alles Streben nach
dieser oder jener Art von Glanzeffekt, was wir im fremdlan-
	phen, welche Wasser aus Gefassen giessen. Merkwtrdig Ist
die Weise, wie die Hand des Gott Vater den an Kriicken ge-
henden Henoch bei den Haaren zu sich zieht, Bl. 8.b. Vier
licbende Paare, Bl. 9. a., sind nicht ohne Ausdruck des Affects
und zeigen in einigen Képfen etwas Individuelles. So ist auch
unter einer Trinkgesellschaft, Bl. 10. b., ein faunisches Gesicht
von sehr lebendigem Ausdruck. Bei der Vorstellung von Abra~
ham und Melchisedech hat der erste den sonst nur Christus
eignen Kreuzesnimbus, und ist das Brod in der Hand des
zweiten als Hostie mit der Taube, als Zeichen des heiligen Gei-
stes, dargestellt. Das Bestreben nach Schénheil ist ungemein
gliicklich in den Engeln, z. B, auf Bl. 16.b. Besonders reich
und phantastisch ist die Behandlung der Apocalypse, z. B. die
Vorstellung mit dem Christus in der Mandorla, BI. 148. b., Jo~
hannes der Evangelist als Greis, Bl, 102, ist von hdchst edlem,
des Raphael nicht unwiirdigem Motiv. Auf dem letzten Bilde
sehen wir endlich den vor der h. Catharina knieenden Maler
als unbirtigen noch jungen Mann. Auf einem Spruchbande die
Inschrift: Sta. Katerina (sic) exaudie famulum tuum Vellizlaum.
Derselbe erscheint noch einmal knieend auf der oben ange-
fihrten Seite mit der Vorstellung aus der Apocalypse.

Das andere, etwa um 1300 fallende Denkmal ist die unter
dem Namen der Breznicer Bibel bekannte Handschrift im vater-
landischen Museum zu Prag. Die hier nur in den zahlreichen
Initialen enthaltenen Vorstellungen sind im Nackten sehr schwach,
in den Képfen von dem in der ersten Hialfte des 14. Jahrhun-
derts so verbreiteten, mageren Vortrag mit der Feder. Es
kommen mitunter arlige, scherzhafte Darstellungen und Schach-
brettgriinde von grosser Feinheit vor. BI. 340 in einem J der
sehr lange Maler mit Spruchband, worauf: ,,Bohusse Lutomi-
ciliense (also Leutomischl) pinxit. “

Bei der Seltenheit deutscher Miniaturen aus der ersten
Hafte des 14. Jahrhunderts halte ich es fiir meine Pflicht, auf
ein Psalterium in der Ambrasersammlung (No, 115) zu Wien
aufmerksam zu machen, welches nach dem Vorkommen des
heiligen Ludger in dem sehr hiibsch ausgeschmiickten Calen-
lender wohl in Westphalen und nach der Bemerkung unter dem
26. Juli, dass die Aebtissin Beatrix an jenem Tage gestorben,
wahrscheinlich fiir ein Nonnenkloster geschrieben worden ist.
Vorn, immer auf einer Seite von funfzehn Blattern in sechs
Runden Bilder, welche, im Ganzen 84 an der Zahl, Vorgange
von Erschaffung der Welt bis zum jiingsten Gericht darstellen.
In dem grossen B zu Anfang des Psalters oben Saul, im Begriff
David zu durchbohren, unten David und Goliath. Auf dem
Rande eine Art Leistenwerk, mit vier Runden und vier Rauten,
worin noch andere Vorgange aus dem Leben Davids. In neun
andern, sehr zierlichen Initialen meist noch je vier Vorstel-
lungen, deren letzte den Stammbaum Christi enthalt. Die Um-
risse sind hier mager, jedoch, zumal in den Képfchen, mit
seltner Pracision und Feinheit mit der Feder gezeichnet. In
den Gewandern von gothischen Motiven walten blau, zinnober-
roth und ein réthliches Braun, alle sehr kraftig, vor, doch
	begegnet man auch ешеш $сВблеп Стат. Ге Стапае 4ег Би-
	der sind abwechselnd braun und azur, die Zwickel von eimem
zierlichen Schachbrettgrund. Man gewahrt einen offenbaren
Hinfluss der Minialuren und der ganzen Auschmiickung von den

benachbarten Niederlanden her. (Schluss folgt.)
	Edupferstich.
	Die Albanerin. Der Albrecht-Diirer- Verein seinen Mit-
gliedern fiir das Jahr 1849. N. de Keyser p. Fr.
	Wagner se.