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	Dekannt machte: die Kirche des Augustinerklosters Hamers-
leben, unfern von Gross-Oschersleben, vordem zum Halber-
stidtischen Sprengel gehérig. Das Kloster, von dem benach-
barten Osterwieck 1112 hierher verlegt, erstand bald zu hoher
Blithe. 1138 von Innocenz II bestatigt, vereinigte es von 1174
bis 1238 ein Ménchskloster und ein Frauenstift, bis letzteres,
Aergerniss halber, durch Bischof Ludolph von Halberstadt aufge-
hoben wurde. Die Anlage dieser noch wohlerhaltenen Kirche,
in der wir eins der wenigen, zugleich eins der glinzendsten
Beispiele von Saulenbasiliken besitzen, zeigt eine héchst merk-
wirdige Uebereinstimmung mit jener der zerstérten Kirche in
Paulinzelle, deren Ursprung (1106) nur um 6 Jahre héher hin-
aufreicht, als der ihrige. Die sechs Saulenpaare mit Wiirfel-
kapitélen, denen sich zunichst dem Querschiff ein Pfeilerpaar
anschliesst; die jenseits des Querschiffes neben dem Chore
weitergefithrien Seitenschiffe, deren jedes, wie das Mittelschiff,
durch eine Tribiine abgeschlossen wird, — alles das haben
beide Kirchen in der Anlage gemeinsam. Nur die Tribiinen,
die in Paulinzelle den Querschiffen angefiigt waren, scheinen
hier gefehlt zu haben. Bemerkenswerth ist, dass die etwa
8 Fuss hohe Balustrade, welche den mittleren Raum des Quer-
schiffes von den Seiten desselben trennt, noch auf den ganzen
Raum des ersten Arkadenbogens im Langhause verlangert ist
und diesen dadurch in den Bereich des Chores hineinzieht.
Auf der Brustwehr erhebt sich mitten im Querschiffe jederseits
eme Siéule, die zwei von der grossen Bogenvierung ausge-
hende Bégen tragt. Die Umfassung der Bogen ist wie die der
Arkadenbégen des Langhauses die bekannte rechtwinklige an
der Mehrzahl der sdchsischen Basiliken vorkommende eines mit
Zahnschnitten verzierten Wandstreifens. Wie die meisten Ka-
pitaéle des Langhauses in einem verschwenderischen Reichthum
von phantastischen Thier- und Pflanzen~Ornamenten prangen,
so ist dieses Saiulenpaar sowohl auf dem Polster der Basis, als
besonders auf dem Kapital sehr brillant durch Sculpturen ver-
ziert. Die Ecken des Kapitéls bilden aufrechtstehende Engel,
die auf jeder der vier Flachen ein Medaillon mit dem Bilde
eines Heiligen (vielleicht Christus) halten. An der dusseren
Seite waren die Balustraden, wie in S. Michael zu Hildesheim,
der Liebfrauenkirche zu Halberstadt und an andern Orten mit
Relieffiguren geschmtickt, die in Nischen zwischen zierlichen
und reichen arabeskenartig behandelten Friesen angeordnet wa-
ren. Hier scheinen es die Apostel gewesen zu sein, von de-
nen nur drei, unter ihnen Petrus, erhalten sind. Sie sind
sitzend dargestellt und stehen an kinstlerischer Bedeutung den
ungefahr gleichzeitigen der Liebfrauenkirche in Halberstadt nicht
nach. Dicke Tiinche verdeckt die unzweifelhaft vorhandene
Bemalung. — Noch eine Eigenthiimlichkeit dieser Kirche miis-
sen wir erwahnen. In der Ecke des siidlichen Kreuzfligels
steht in geringer Erhéhung tiber dem Boden ein schlichter mas-
siver Altar, dessen baldachinartiger, auf vier schlanken Saulen
ruhender Ueberbau durch die edle Grazie seiner Verhaltnisse
als ein ausgezeichnetes Beispiel spatromanischer Tabernakel-
architektur aus der Uebergangszeit Beachtung verdient. Auf
den Saulen ruht vermittelst schén geschwungener Spitzbogen
ein kraftiger, nach oben durch Eierstab und zierlichen Bogen-
fries horizontal abgeschlossener Aufsatz. Man kann nicht leicht
eine anmuthigere Verschmelzung von romanischen und germa-
nischen Motiven finden. — Dass die Kirche, die jetzt durch
ein hdlzernes Spitzbogengewolbe verunstaltet wird, urspriing-
lich flach gedeckt war, bedarf kaum der Bemerkung; nur die
erste Vierung der Nebenschiffe hat ein Kreuzgewélbe ohne Gur-
ten: es ist die Vierung, auf welcher sich die beiden Thiirme
der Kirche erheben. Auch das ist némlich cine Besonderheit
dieses inicressanien Baues, dass die beiden achteckigen Thiirme
	nicht am Westende der Kirche, sondern gleich hinter dem aus-
nahmsweise vom Hauptschiff an Hohe hetrachtlich tiberragten
Querschiffe angeordnet sind. Es scheint uns dies ein Vorzug: denn
so malerisch die Anlage der Thiirme an der Westfagade wirkt, so
findet doch nur ein loser organischer Zusammenhang mit dem
Langhause statt, da dieses durch die Thirme und deren hohe
Verbindungsmauer ginzlich verkappt wird. Was im Uebrigen
das Aeussere betrifft, so hat es in seinen einzelnen Theilen die
an ahnlichen Anlagen gewodhnlich angetroffene einfache Bogen-
friesverzierung; nur die Hauptapsis des Chores ist, minder reich
als an der Klosterkirche Neuwerk in Gosslar, aber in ahnlichen
Motiven, durch eine eigenthiimliche die einzelnen Fenster ein-
fassende Nischen-Architektur geziert. Der frihere Hauptein-
gang, in der Mitte der westlichen Facade, noch durch zierliche
Sdulen kennilich, ist gegenwartig vermauert, die Anlage einer
westlichen Vorhalle, wie in Paulinzelle (doch auch dort spite-
rer Anbau), hat nicht stattgefunden.

Wenden wir uns, der Anordnung des Verfassers folgend,
zu den reinen Pfeilerbasiliken, so begegnet uns als zunichst
bemerkenswerth die Kirche von Fredelsloh bei Einbeck, am
Rande des Sollings. Das Augustinerkloster Fredelsloh, ein Jung-
frauenstift, ist im Jahre 1130 gegriindet. Das Aeussere der
Kirche wird durch die Thtirme sehr charakteristisch. Diese,
der gewéhnlichen Anlage nach die Westfagade bildend, nehmen
die ganze Breite der Facade ein. Sie sind viereckig, heben
mit einem hohen Sockel an und steigen von da in mehreren
Geschossen von schwach pyramidaler Verjiingung bis
zum Dache hinan. An die Mitte der Thurmfagade legt sich eine
halbkreisférmige Tribiine, in welcher eine Wendeltreppe, wie
es scheint, zu zwei tbereinander befindlichen Logen hinauf-
fihrt. Diese Doppelzahl der Emporen — wenn sie hier wirk-
lich stattgefunden hat — kommt unsres Wissens bei keiner an-
dern Kirche Niedersachsens vor, ausser in den Querschiffen von
8. Michael in Hildesheim. — Noch eine Eigenthimlichkeit dieser
Kirche ist eine 8—10 Fuss hohe Wand, welche die Mittelvierung
des Querschiffes von dem westlichen Theile des Mittelschiffes
trennt. Durch zwei in ihren Seiten angebrachte Spitzbogenthiren
stand der westliche Theil der Kirche mit dem dstlichen in Verbin-
dung; an die Mitte der Wand lehnt sich, nach dem Langhause zu
gerichtet, ein Altarhduschen von ahnlicher Construktion wie jenes
zu Hamersleben, auf welchem sich im vorigen Jahrhundert noch
eine steinerne Kanzel ‘erhob. Oberhalb der Thiiren ist die Wand
mit je 6 Relicfstatuen der Apostel geschmiickt, deren Styl und
Kunstwerth zu untersuchen Staub und Finsterniss verwehrten.

Lernten wir in der eben besprochenen Kirche eine flach-
gedeckte Pfeilerbasilika kennen, so haben wir in der Kirche
des Klosters Lippoldsberge, an der Weser bei Karlshafen,
eine gewolbte Pfeilerbasilika. Die nicht auf eigner Anschauung
beruhenden Notizen iiber dieselbe gehen dahin, dass die west-
liche Empore weit ins Innere vorgeschoben ist, dass die Sei-
tenschiffe mit dem Hauptschiffe, tiber den Querfliigel hinaus ver-
langert, in Altarnischen schliessen und durch Arkadenbogen
mit dem Chore in Verbindung siechen.

Eine héchst bedeutsame, der vorigen verwandte Anlage
bietet dic Kirche za Kénigslutter bei Braunschweig. Die
Benediktiner- Abtei Kénigslutter wurde 1135 von Kaiser Lothar
und seiner Gemahlin Frau Richsa gestiftet, deren Graber sich
dort befinden. Je reicher und grossartiger dieses ausgezeich-
nete Monument aus der Bliithezeit romanischer Architektur aus-

gestattet ist, um so auffallender, dass man, von der anmuthigen,
in jener Zeit beliebten Vermischung von Sadulen und Pfeilern
absehend, zu der etwas niichternen Anordnung reiner Pfeiler-
stellung griff. Die drei Langschiffe setzen sich jenseits des
Ouerschiffes fort und schliessen mit den entsprechenden drei