Hewiiches 4eltung fiir bildende Kunst und Baukunst, ar AA roovpillolatt. Organ der deutSchen Kunstvereine, Unter Mitwirkung youn Augier in Berlin — Passavant in Frankfurt — Waagen in Berlin — Wiegmann in Diisseldorf — Schnaase in Berlin — Schulz in Dresden — FGrster in Minchen — Hitelberger v. Edelberg in Wien Юле diesjahrige Berliner Ausstellung. (Fortsetzung.) Sogten wir nicht, es sei eine missliche Sache um die Ge- schichtschreibung der Gegenwart? Mussen wir heute doch schon den statistischen Theil unserer Mittheilungen in der vorigen Num- mer berichtigen. Zum Theil neuer Zuwachs, zum Theil Nume- rirung von bisher zwar vorhandenen, aber nicht mitgezihlten Bildern haben einen Nachtrag zum Verzeichnisse entstehen las- sen, der die Gesammtzahl der ausgestellten Werke schon auf 1422 bringt. Wir wollen aber die Rectificirung der einzelnen Zahlenangaben bis zum Schlusse der Ausstellung verschieben. Haben sie doch auch so den Werth, den sie tiberhaupt haben kénnen, den einer ungefahren Angabe der Verhiltnisse. Fahren wir in der Betrachtung der historischen Gemilde fort: Schon seit mehreren Jahren war Rosenfelder im Auf- trage des Kénigs mit einer Darstellung aus der brandenburgi- schen Geschichte beschaftigt. Wir erfreuen uns jetzt an dem fertigen, in grossen Dimensionen ausgefiihrien Werke, mit wel- chem er einen neuen Beweis seiner Meisterschaft in der Cha- rakteristik seiner Figuren und ihrer Gruppirung, so wie in der technischen Durchfiihrung abgelegt hat. Das specielle Ereig- niss, welches sich der Kiinstler zur Behandlung wahlte, war, was welthistorische Bedeutung anbetrifft, ein untergeordnetes ; dass gerade dieses ein Blatt aus der Brandenburgischen Geschichte reprasentiren sollte, machte die Aufgabe schwieriger. Der Vorfall ist dieser: Kurfirst Joachim I von Brandenburg, um den Landgrafen Philipp von Hessen mit dem Kaiser Karl auszusdhnen, hatte sich mit Moritz von Sachsen gegen den Landgrafen fiir dessen Sicherheit verbiirgt, wenn er sich dem Kaiser unterwiirfe. Trotzdem dass dieses geschah, ward Phi- lipp, als er mit den Biirgen auf der Moritzburg speiste, von Herzog Alba im Namen des Kaisers verhaftet, wortiber Joachim sich so entriistele, dass er den spanischen Granden erstochen hatte, wenn er nicht durch seinen Hofmarschall Adam v. Trotha zuriickgehalten worden wire. — Die eigentliche Handlung, aus der alle tibrigen Motive der Darstellung entspringen, ist doch hier die Gefangennehmung; da aber nicht diese, sondern das durch sie hervorgerufene Motiv der edlen Aufwallung des wackern Kurfiirsten Gegenstand des Bildes sein sollte, so konnte sie allerdings nicht die erste Stelle auf der Tafel einnehmen, durfte aber nicht so weit in den Hintergrund gedrangt werden, redigitt von Dr. F. Gegers in Berlin. Montag, den 27. Mai. dass der Faden ihres Zusammenhangs mit dem gegebenen Thema bis zur Unverstandlichkeit diinne wurde. Bei dem Nachtheil, in welchem der Historienmaler ohnehin gegen den dramatischen Dichter in so fern ist, dass er nicht die Nacheinanderfolge der Handlungen schildern kann, muss er um so mehr darauf ach- ten, dass er das kurz Voraufgehende und das unmittelbar Fol- gende entweder auf irgend eine Weise mit in die Darstellung zieht, oder wenigstens andeutet. Jenes hat der Kimstler zu wenig gethan, namentlich da hier, wie eben bemerkt, ein Ac- cent auf der voraufgegangenen Handlung liegt. Dass dieses ganz unterbleiben musste, ist Schuld des in so fern unmaleri- schen Stoffes, als dabei eine Verherrlichung des Branden- burgischen Fursten herauskommen soll. So schén, wir- kungsvoll und klar die Gruppen der deutschen Firsten und Herrn auf der einen, die der Spanier auf der andern Seite an- -geordnet sind, so dass kein Zweifel an einem hervorgesprun- genen Conflict zwischen ihnen oObwalten kann, so wenig fallt in die Augen, dass der im Hintergrunde rechts sich schon durch die Thiir entfernende, von Hellebardiren gefolgte Mann ein auf Grund des Papiers Verhafteter ist, das Herzog Alba in der Hand hat, dass dies die Ursache von dem jetzt erst losbrechen- den Zorn Joachim’s ist. So hat der Kimstler die Handlung von ihren unmittelbaren Folgen nicht blos im Raum, sondern auch in der Zeit getreant. Dadurch biisst das herrliche Bild den Vortheil unbedingter Verstandlichkeit ein. Und es wiirde ihm darin noch schlimmer ergehen, wenn Rosenfelder nicht eine so iberzeugende Gewalt im Individualisiren hatte. Innerhalb der beiden Gruppen aber ist keine Figur, vor Allem kein Kopf, dem man nicht deutlich die Art und Weise seines Antheils nachempfinden Кбище. Des Brandenburgers edle Entristung, Herzog Moritzens unwilliges Staunen, die Angst des treuen Trotha, auf der andern Seite die eiserne Ruhe in Toledo’s fah- lem Antlitz, die kalte Majestat des Bischofs von Arras, die fre- chen Gesichter der Begleiter, das Alles ist auf’s Trefflichste charakterisirt. Die technische Durchfiihrung ist kraftig, klar und gediegén, Kostiim, Gerith und Umgebung zeugt in seiner historischen Treue von einem fleissigen Studium. Die Farbe ist gesund und bliihend. Médchte der Kistler seine Hand an grossartigste und héchste weltgeschichtliche Stoffe legen, zu de- ren Bewéaltigung wir ihm alle Kraft zutrauen miissen. Lebhaft haben wir bedauert, dass sein angezeigter ,Columbus* bis jetzt noch nicht auf die Ausstellung gekommen ist. Schrader pflegte, seit er aus Rom zurtck ist, nur als 91