Bei Gelegenheit des Eybel’schen Bildes suchten wir nach- zuweisen, wie ein fiir sich ziemlich unmalerischer Stoff durch die Behandlung gewinnen und im Werthe gehoben werden kann, An einem Bilde von Grafle zeigt sich das Gegentheil. Ein guter Stoff: ,,die Schilderhebung Hermamns des Cheruskers“, — aber diese Figuren sind nicht so recht hineingetaucht worden in den Stoff, und haben ihr Leben nicht durchaus von und aus ihm. Es giebt Vieles an dem Bilde zu rihmen: die Zeichnung und Karnation der nakten Figuren, einzelne sehr gelungene Gruppen, ferner Lebendigkeit und Frische in den Farben, ein iiberall durchdringender Sinn fir schéne Formen, und vor al- lem durchweg ein redliches Streben nach charakteristischer Durchfiihrung der Aufgabe, was sich besonders an den Romer- figuren im Vordergrunde erweiset, wogegen die Deutschen viel zu weich und zart weggekommen sind; — allein, wir kénnen uns nicht helfen, es fehlt einmal die schlagende Wirkung, welches, wenn auch vielleicht zum Theil der nicht klar genug gesonder- ten Gruppirung, doch hauptsachlich dem Mangel historischer Realitat zuzuschreiben sein méchte. — Pg ist ein und dasselbe Mittel, welches sowohl diesen als jenen Fehler grindlich heben kann. Wir finden dasselbe in dem fleissigen Studium der Geschichte, vor allen Dingen der Kulturgeschichte der Volker und ihrer poetischen Literatur von Seiten unserer bildenden Kinstler. Dies ist es, wozu wir die Kistler auffordern méchten, und was die Akademien sich vorsetzen sollten, ihren Zéglingen vorzugsweise neben der tech- nischen Ausbildung zu iiberliefern. Ohne eine in diesem rea- len Boden wurzelnde Bildung wird die fruchtbarste Phantasie, ‘und gerade diese, sich in nebelhafte Traumregionen verlieren oder gar in Abstractionen, — beides Gebiete, wo keine Ge- stalten mit Fleisch und Blut gedeihen. Nach solchen Bemerkungen wird es nicht auffallen, wenn wir den konventionellen Typus bei der Darstellung biblischer Stoffe fiir einen der heutigen Anschauungsweise fernliegenden Standpunkt erkliren. Gleichwohl kann nur von ihm aus, und kaum, die Anerkennung cines grossen Bildes gelingen, welches Franz Schubert ausgestellt hat. Schubert war in Rom mit Rafaelischen Studien beschaftigt, Gvelche als naheres Resultat seine schatzenswerthen Radirpngen aus der Farnesina zur Folge hatten), als ihm von seinem Herzoge der Auftrag zu einem grosseren Bilde wurde. Da ist denn der Kiinstler auf die ,,Spei- sung der Israciiten durch Manna und Wachteln“ verfallen. Da- bei schicuen freilich eine Menge ausserlicher Motive zu allerlei Gruppirungen und Stellungen von selber gegeben. Diese hat der Kiinstler denn nun auch ausgefiihrt. Mit grossem Fleisse hat er die verschiedensten Lebensalter in der mannigfachsten Weise des Auftretens zusammengetragen, und dabei viel Talent in der Behandlung gut modellirter, nakler Formen und gefaili- gem Wurf der Gewandung gezeigt. Zudem, wenn auch die Haupt- massen klarer auscinander gehalten werden konnten, so bemer- ken wir doch sehr schéne kleinere Gruppen, wie z. B. das links im Vordergrunde mit dem nakten Knaben einhergehende Weib, die an der entsprechenden Stelle rechts im Bilde knieende Alte, welche von cinem Knabchen liebevoll umschlungen wird. Aber auch das Motiv zu diesen sammelnden und haschenden Menschen, sollle mit zur Anschauung gebracht werden, und das ist denn ganz in dem conventionellen Styl geschehen, der auf unsere Zeit nothwendig seine Wirkung verfehlen muss: Jeho- yah als Brustbild aus den Wolken ragend, mit vier Engeln neben sich, welche die Speisung vollbringen, indem sie Wachteln und Manna aus dem Schooss ihres Gewandes schiitten. Ausserdem be- fndet sich diese himmlische Gruppe in driickender, lastender Nahe und in fast gleich lebhafter Farbung dicht tber dem Haupte des flehenden Moses. Der Mangel an Wirkung wird noch ег- 990% rischen Darstellungen, wie viel zarte Schénheit und angenehme Farbenwirkung er zu entfalten versteht, wie viel Liebe zum Schaffen durch seine Schépfungen geht; wir méchten aber auch sagen, dass er niemals so recht in den innersten Gedanken-~ schacht seiner Figuren hineingestiegen ist, um das schwer zu formende Erz individueller Begeistigung herauszufordern und durchzuarbeiten. Darum ist: er auch in einfachen ruhigen Ge- stalten am vortrefflichsten. Ist das aber nicht eine Hinneigung zur statuarischen Kunst, nicht ein freiwilliges Aufgeben des Vorzugs der gréssern innern Lebendigkeit, welche die Malerei vor jener hat? — Sei uns bei dieser Gelegenheit noch eine Bemerkung erlaubt. Sie betrifft die Wahl der Stoffe. Wir glau- ben ein Recht zu haben, darauf-ein grosses Gewicht zu legen und finden die Zumuthung unstatthaft, dass wir vor allen Din- gen immer darauf sehen sollen, wie die Sachen gemacht sind, Bei den dramatischen Arbeiten unserer Dichter fallt es Nieman- dem ein, allzugrosses Gewicht auf die s. g. schéne Sprache zu legen. Das ist etwas, das sich ganz von selbst versteht. Man legt also den kritischen Maasstab des Gefiihls oder des Gedankens an den Kern, den kinstlerischen Gedanken des Wer- kes selbst. Heutzutage ist denn doch eine gute Technik nicht so etwas gar Apartes mehr. Wir tibersehen hierbei nicht, dass es Werke von anspruchsloser Idee giebt, die ihren vorwiegen- den Werth in der aussern Behandlung haben, wie das ja auch in der Dichtkunst der Fall ist; tibersehen nicht, dass tiberhaupt in der Malerei, weil sie im Raume erscheint, das Kérperliche an sich eine gréssere Berechtigung hat, und das geistige Moment im Ausdrucke gefesselter ist, als in der geistigsten der Kinste, der Poesie; allein eben deswegen méchten wir um so strenger darauf bestehen, dass dieses geistige Moment den Gestalten der Malerei, wo es irgend auf dasselbe ankommt, nie ausserlich bleibe oder gar ganz fehle. Was es unterstiitzt, dass die blosse Korperlichkeit eines Werkes der bildenden Kunst leicht zu ei- nem zu starken Anspruch auf Geltung gelangt, das ist der be- festigtere Charakter desselben, der vor uns ausgebreitete, mit einem Blicke zu tiberschauende, Fleiss des Kiinstlers, die Dauer-_ barkeit des Wurfes, er mag ein gliicklicher oder unglicktcher sein. Alles aber um so mehr Grund, den mit so vielen aus- seren Bedingungen der Existenz hervortretenden Gestalten, auch die inneren nicht mangeln zu lassen. Muss sich der Dichter doch tief hineinleben in das innerste Wesen seiner dramatischen Figuren, um sie reden zu lassen wie es ihnen nach ihrem Cha- rakter zukommt, warum wollen nicht die Maler dasselbe thun, um ihre Figuren aussehen zu machen, wie es deren Charakter - iiberhaupt und der jedesmaligen Situation insbesondere gemass ist? Diese haben ihren eignen Schépfern gegeniiber Recht auf Objectivitét und ditrfen nicht alle mit demselben subjectiven Stempel versehen, umhergehn. Von solchem Stempel der Subjectivitat der Schule haben auch Stilke’s ,Momente aus dem Leben der Jeane d’Arc“ etwas. Nicht minder die eine von den beiden Skizzen zu den Fresko~Gemalden, die der fleissige Kiinstler auf Schloss ‘Stolzen- fels ausgefihrt hat und die Philipp von Schwaben mit den deut- schen Sangern darstellt, Bei weitem freier davon ist jenes an- dere, wo Rudolf von Habsburg den Bauern und Birger gegen den Uebermuth der Rheinischen Raubritter schiitzt. Dieses Bild ist Klar und verstandlich komponirt, wirkungsvoll im Ausdruck. Ein Bauer tragt seine Klage vor, schiitzend halt der Kaiser tiber ihm seine tapfere Rechte, wahrend er, das strenge Auge auf die gefesselten Ritter gerichtet, mit der andern Hand auf den durch die Zeltéffaung in der Ferne sichtbaren Galgen hindeutet. Die trotzige Geslalt des einen der Wegelagerer erscheint fast elwas zu herkulisch und gedrungen fiir die Harmonie der gan- zen Composition.