Bei dem Buchstaben R befindet sich unten ganz klein еш 2е- chen wie ein offener Ring oder cin C oder G, und bei dem У das Abkiirzungszcichen S$, vielleicht um anzudeuten, dass wenn inan eines W bediirltig sei, zwei V dazu dienen kénnen, denn dass dieses Alphabet gefertigt worden, um zu Inilialen in Manuscripten und gedruckten Biichern verwendet zu werden, davon gibt uns jener Index in Basel cinen Beleg. Diese Be- stimmung macht es auch allein erklarlich, wie noch von andern Meistern des 15. Jahrhunderts mehrere ahnliche Alphabete in Kupfer gestochen worden sind. Leon de Laborde in seinen: Nouvelles recherches sur Uorigine de Vimprimerie. Paris 1840; gibt S$. 19 eine Nachbildung in Holzschnitt des V, fiigt aber beide obige Zeichen dazu, wiahrend doch das cine beim R steht. Merkwiirdig ist es nun, dass dieses Alphabet genau dicselben Buchstaben und Figuren enthalt, wie jenes in Holz (?) ge- schnittene im Britischen Museum, wo jedoch die Buchstaben S T und V fehlen und das A sehr beschadigt ist ). Sclbst die Inschrifl im Buchstaben K, wo ein junger Mann vor cinem ste- henden Weibe kniet, cinen Ring zeigt und ein Spruchband mit dem Rebus mon CO aticg halt, befindet sich gleichfalls auf dem Kupferstich. Ob nun der Holzschnitt dem Kupferstecher als Vor- bild gedient, oder umgekehrt, wage ich nicht zu bestimmen, denn die Behandlungsweisen oder Ausftihrungen sind unter sich ganzlich verschieden: stimmen die Holzschnille in ihren Schat- tenangaben genau iibercin mit jenem altniederlandischen Can- tico canticorum u. a. xylographischen Werken jener Zeit und jenes Landes, von meist fast horizontalen kurzen Strichen, so besteht dagegen die Schraffirung in den Kupferstichen jenes Meisters in vielen engen sich dfters durchkreuzenden Strichen, bei denen in den Gewadndern die senkrechten, oder dahin nei- genden, die vorherrschenden sind. Die Schwarze hat einen sehr blassen Ton und ist vermittelst des Reibers abgedruckt. Dies und tiberhaupt cine noch sehr ungeschickte Behandlung des Grabstichels dieses sonst phantasiereichen Kiinstlers, geben seinen Blattern ein sehr alterthtimliches Ansehen. Ob er ein Niederlander oder Niederdeutscher war, lasst sich nach seinen Kupferstichen nicht bestinmen, doch scheint er jenen Gegenden anzugehéren. Auch stimme ich mit Sotzmann in der Ansicht iiberein, dass er sich bei dem Glicksrad als einen der, durch Gerhard Groote gestifteten, Briiderschaft Angehérigen darge- stellt hat. Die haufigen lateinischen Inschriften auf verschie- denen seiner Kupferstiche beweisen selbst eine gewisse Gelehr- samkeit in den heiligen und profanen Schriften; cin Paar seiner sehr freien Blatter, wie das Verjiingungsbad und der Fechtsaal dagegen, dass er sich an keine strenge Geistlichkeit gehalten hat. Die mir bekannt gewordenen Stiche disses Meisters sind folgende. {. Die Verkiindigung mit reicher Umgebung und mehreren Spruchbandern. Q, Fol. im Dresdner Cabinet. 2. Die Familie der h. Anna, reiche Composition, von dem- selben Format. und in demselben Cabinet. 3. Die Geisselung Christi, oben mit einer Inschrift. KI. Fol. Eine geringere Arbeit als vorhergehende zwei Blatter. Im Dresdner Cabinet. 4, Die Auferstehung Christi, im Besitz des Hrn. Solzmann. Obgleich ich dieses Blatt nicht gesehen, sondern nur durch die Angabe des Eigenthiimers in diesen Blattern kenne, so verlasse ich mich hier auf das Urtheil dieses ausgezeichneten Kenners. 5. Der h. Hieronymus in Kardinalskleidung zieht einem Lé- wen einen Dorn aus der Tatze. Im Grunde kniet er nochmals vor einem Kruzifix. Ein Liwe und zwei Kameelkipfe ragen in 1) S. J. Jackson, A treatise on Wood engraving. London 1839. S. 133., wo auch die Abbildung von vier Blattern. hoht durch die fehlende Charakteristik eines von dusserlicher Noth getroffenen und derselben plétzlich enthobenen Volkes, abgesehen davon, «ass der Stoff ein ganz interesseloser ist und die Wahrheit, dass der Herr die Seinen nicht veriadsst, durch viele andere nicht bloss in jener einen Bezichung dankbare Stoffe zur Anschauung gebracht werden kann. In der Farbung vermissen wir einen durchgebildeten Sinn fir Farbenzusammen— klang; das Roth in seiner verschiedenen Niiancirung pradomi- nirt auf eine unvortheilhafte Art. — Auch in der ,,Bestrafung des ersten Elternpaares nach dem Siindenfall“ iiberbietet das Interesse der Figurendarstellung das Herausarbeiten der Situa- tion, welche wir nun einmal trolz des Stylmassigen fordern. Die ersten Eltern finden sich in einer mit kraftiger Wirkung gemalten Landschaft, das Weib zu den Fiissen des Mannes ge- schmiegt, der auf einem Erdaufwurf [sitzt. Beide, vorztiglich aber das Weib, sind vortrefflich gezeichnet und weich und schén modellirt gemalt. Der Ktinstler hat sich Golt Vater nicht wie den erziirnten Jehovah, sondern wie den barmherzigen Gott gedacht, der die schwere Strafe forterbender Erdenmihe mit Schmerz iiber seine Kinder verhingt. Wie cs nun tiberhaupt eine bedenkliche Sache ist, unsern Herrgott zu malen, so ver- schmaht es auch hier der Versuch, sich tiber das Herkémmliche zu erheben, und eine bewusste oder unbewusste Familicnahn- lichkeit im Antlitze zwischen dem Schépfer und seinem Geschopf dient nur dazu, jeden Unterschied zwischen Gott und Menschen vollends aufzuheben. Andeutungen, wie das Sttickchen Wolke, das zu den Fiissen des Herrn angebracht ist und in Farbe und Form wie Staub aussielt, den das lange Gewand verursacht hat, liegen nun einmal ausser dem Bereich unserer heutigen Auffassungsweise, welche tiberall den vollen realen Ausdruck des kiinstlerischen Gedankens verlanet. (Forts. folgt.) 4ur Kunde der altesten Kupferstecher und ihrer Werke. Von J. №. Passavent. (Fortsetzung.) Der Meister von 1464. Die friiheste aller mir bekannten, auf Kupferstichen vor- kommenden Jahreszahlen befindet sich auf einem von Figuren gebildeten Alphabet von jenem Meister gestochen, welchen Duchesne den ,, Maitre aux banderoles“ nennt und von dem gleich Anfangs die Rede gewesen ist. Dieses Alphabet von 23 lateinischen Initialen und einer Blatterverzierung am Schluss (es fehlt das W) ist in zwei Reihen auf drei Querfolioblaiter gedruckt, von denen sich die zwei ersten im Dresdner Cabinet, ein Fragment des letzten (da das M und ein Theil der Blatt- verzierung abgeschnilten ist) in der Wiener Hof-Bibliothek in folgender Anordnung befindet: ABCD EFGb IKLM .. МОРО RSGV XYZ.. Ein anderes vollstandiges Exemplar besitzt nach einer Mitthei- lung von Docen im Kunstblatt von 1822 8S. 51 die Bibliothek zu Basel, und zwar als Initialen eines alphabetischen Index tiber die Naturgeschichte des Plinius dienend und aufgeklebt. Dieses Buch wurde 1478 in Deutschland gedruckt. Eine genaue Be- schreibung eines jeden figurirlen Buchstabens behalte ich cincr andern Gelegenheit vor, hier habe ich nur anzugeben, dass dass #l von zwei bartigen Mannern gebildet ist, die einen Schrift- zettel hallen, welcher im A den Querslrich bildet; auf ihm ste- hen scheinbar vicr Zeilen Schrift, die aber nur aus ganz klei- nen Strichen bestehen, wahrend eine finfte kurze Zeile die Jahreszahl CCCCLBUUL mit bewaffnetem Auge erkennen lasst.